Kapitel 14-1

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Als die ersten Sonnenstrahlen Johannas Wimpern küssten, fühlte sie sich zunächst aufgeregt. Sie war es gewohnt, bereits vor Sonnenaufgang aufzustehen. Ruckartig warf sie die weiche Decke von sich, bis ihr bewusst wurde, dass sie in einem Federbett statt auf dem Boden geschlafen hatte. Sie rief leise nach Adam, der das Bett bereits verlassen hatte. Blinzelnd vertrieb sie den Schlaf und richtete sich auf. Eine Wasserschale stand neben dem Bett, mit der sie sich das Gesicht wusch. Zusätzlich ein leichtes Kleid, welches nicht aus ihrem Bestand war. Sicher ein Geschenk von Caroline, dachte sie mit einem Lächeln und zog es sich an.
Sie verließ das Schlafzimmer und folgte dem Geräusch leisen Fußgetrappels, der sie zum Esszimmer führte. Drinnen stellte Caroline Teller auf den Tisch, während Adam gerade ein Tablett mit geschnittenem Obst auftischte.
„Du bist schon wach?", fragte er.
„Normalerweise stehe ich weit früher auf."
Caroline wollte sie hinausschieben. „Du musst warten, bis das Frühstück fertig ist."
Johanna schüttelte lächelnd den Kopf. „Lasst mich euch zur Hand gehen."
„Auf keinen Fall!"
„Dann zumindest zum Tisch setzen. Wenn ich mich mit deinem schönen Kleid ins Bett zurücklege, knittert der Stoff."
„Gefällt es dir?"
Johanna machte einen leichten Knicks. „Es ist wunderschön, ich danke dir."
Sichtlich zufrieden holte Caroline Besteck, während Adam Suppe in die Teller einschenkte. Johanna musste sich damit begnügen, dass sie den beiden dabei zusehen würde. Einen Tag lang mochte sie sich diesen Luxus gönnen. Doch morgen würde sie früher aufstehen und an den Vorbereitungen teilhaben. Als alles vorbereitet war, küsste Adam sie auf den Kopf und setzte sich neben sie. Caroline nahm ihm gegenüber Platz.
„Wie hast du geschlafen, Schatz?"
„Himmlisch. Ich habe ganz vergessen, wie sich ein echtes Bett anfühlt."
„Ist es so schlimm, in einem Herrenhaus zu arbeiten?", fragte Caroline.
„Sie hat vor, bald selbst für ihren Unterhalt zu sorgen", fügte Adam hinzu.
„Es gibt gute und schlechte Herren", antwortete Johanna mit einem Heben der Schultern. „Aber wenn dein Bruder bald Erfolg mit seiner Manufaktur hat, wird das nicht nötig sein."
„Wenn ihr heiratet, werdet ihr alleine wohnen wollen."
Johanna sah mit einem Stirnrunzeln zu Adam, der nur die Brauen hob. „Ich würde mich über weibliche Gesellschaft freuen."
„Du willst, dass ich weiter mit euch wohne?"
„So lange du uns aushältst", erwiderte Johanna mit einem Grinsen.
Caroline kam um den Tisch herum und umarmte sie. Hiernach startete die erwartete Ausfragerei. Adam stellte nur höfliche oberflächliche Fragen zu ihrer Vergangenheit, die sie nicht in Verlegenheit bringen konnten. Caroline aber wollte jedes Detail wissen. Zunächst war es Johanna unangenehm, von den widrigen Umständen zu erzählen, doch schließlich befriedigte sie ihr Bedürfnis ohne weiter darüber nachzudenken. Sie war hier willkommen, wie nirgendwo sonst und egal, was sie berichtete, es würde nichts daran ändern. Zwischendurch musste sie Adam die Hand beruhigend auf die Schulter legen. Er fühlte sich schuldig für ihr Schicksal.
Als sie mit dem Essen fertig waren, entschuldigte sich Adam, dass er zur Arbeit müsse. Für Johanna hatte er vorgesehen, dass sie mit Caroline die Stadt unsicher machen solle. Sich neue Kleider kaufen und was sie sonst als Frau so alles brauchte. Aber Johanna verweigerte ihm diese Bitte aufs Deutlichste. Sein Geschäft stand kurz vor dem Durchbruch. Nun konnte er jede helfende Hand gebrauchen und sie hatte genügend Wissen, um ihn zu unterstützen. Zwar weigerte er sich zunächst, ihre Arbeitskraft sofort auszunutzen, aber schlussendlich war er doch dankbar, dass sie ihm half.
Sie spazierten Hand in Hand durch den morgendlichen Sonnenschein, wurden freundlich von Passanten begrüßt und unterhielten sich über Belanglosigkeiten. An seiner Seite zu gehen und einfach nur das Hier und Jetzt zu genießen, war mehr, als Johanna sich wünschen konnte. Selbst wenn sie als Wäscherin und er als Knecht leben würde, so machte das für sie keinen Unterschied. So lange sie beide zusammen waren, schien nichts ihr Glück trüben zu können.
In der Manufaktur angekommen, stellte Adam sie auf ihr Anraten noch einmal kurz vor. Jedoch nicht als Frau an seiner Seite, sondern als Fachkundige, die den Frauen unter die Arme greifen sollte. Johanna nahm sich zunächst die Zeit und folgte Adams Beispiel, lernte die Frauen kennen, sprach mit ihnen über ihre Erfahrungen. Die Spinnerinnen waren für sie von zweitrangigem Interesse. Sie beherrschten ihre Kunst ausreichend und stellten das Grundmaterial aus Werg und Wolle her, mit dem die Weberinnen ihre Tücher produzierten. Unter diesen suchte sie sich fünf Frauen heraus, die ihrer Meinung nach über die notwendige Fertigkeit verfügten, dass sie in angemessener Zukunft Seidenstoffe herstellen konnten. Sie würden zunächst mit einfacher Flachsfaser anfangen und die Einrichtung des Webstuhls bis ins Genaueste studieren. Sobald es die finanziellen Möglichkeiten erlaubten, würden sie nur die Faser austauschen und könnten ohne Umschweife Tücher für die höheren Schichten herstellen.
Auch Justina war unter ihren Favoritinnen. Das lag nicht daran, dass sie gewissermaßen Johannas Retterin war, sondern schlicht darin begründet, dass sie eine unheimliche Fingerfertigkeit besaß. Sie beendete gerade ein Stück Stoff und Johanna beobachtete sie dabei, wie sie den Webstuhl für Samtstoff einstellte, wobei sie auf Kleinigkeiten hinwies und Vorschläge für das Muster einbrachte. Justina schien sich durch ihre Anwesenheit gestört zu fühlen, gleichwohl sie emsig bemüht war, ihren Anweisungen zu folgen.
„Wie lange arbeitest du schon für Adam?", fragte Johanna.
„Seit rund neun Monaten schätze ich."
„Ist er ein guter Dienstherr?"
Justina sah sie forschend an. „Selbstverständlich, sonst suchte ich mir einen anderen."
Johanna hob die Brauen. Justina schien ihr eine selbstbewusste Frau zu sein. Allein mit einem Fuhrwerk ohne Begleitung vor die Stadt zu fahren, war ein Wagnis. Sie hatte Adam zu ihr befragt; immerhin musste er ihr großes Vertrauen und Dankbarkeit schenken, für das, was sie für ihn tat. Doch er hatte sich auffällig verhalten gezeigt.
Justina war eine hübsche Frau. Es hätte sie nicht gewundert, wenn sich zwischen den beiden eine Liebschaft ergeben hätte. Der Gedanke machte sie überraschenderweise in keiner Weise eifersüchtig. Es war nur naheliegend, dass er nicht in völliger Enthaltsamkeit gelebt hatte, unwissend, ob Johanna überhaupt noch lebte. Doch er hatte nicht geheiratet, hatte auf sie gewartet. Sollte sich ihre Befürchtung als wahr herausstellen, so wollte sie, dass Friede zwischen ihnen herrschte. Wenn Justina in ihr eine Kontrahentin um seine Gunst sah, würde das nur für Unmut sorgen.
„Adam spricht viel über dich. Er lobt dich für deinen Einsatz."
Justina hielt im Einfädeln der Fäden inne und sah sie mit leichtem Erröten an. „Tut er das?"
„Immerhin bringst du ihm so viele gute Arbeiter. Es wundert mich ein wenig, dass er hier in der Stadt keine fand."
Darauf biss sich Justina auf die Unterlippe und war wieder völlig auf den Webstuhl fokussiert. „Sicher wird er Euch noch über die Umstände in Kenntnis setzen."
„Du kannst mich duzen. Immerhin hast du mich hierhergebracht und ich schulde dir Dankbarkeit."
„Wenn Herr Kloppenburg Euch ehelicht, werdet auch Ihr meine Dienstherrin sein."
„Es tut mir leid, dass ich dir im Weg zu seinem Herzen bin."
Sie hielt in der Arbeit inne, ihre Finger zitterten und sie sah zu Boden. „Er hat Euch davon erzählt?"
Johanna schüttelte den Kopf. „Ich werde ihn auch nicht dazu befragen."
„Ich habe ihm viel Kummer bereitet."
„Und deine Bemühungen scheinen diesen wieder auszubügeln."
„Ich freue mich für euch zwei. Du bist eine sehr schöne Frau, Johanna."
Johanna legte ihr die Hand auf die Schulter. „Es liegt mir viel daran, dass zwischen uns kein Zwist aufkommt."
Justina schüttelte den Kopf. „Es war nur eine Schwärmerei. Wie bist du an Adam geraten?"
„Das war lange zuvor. Als Adam noch mit Wolle handelte und die Manufaktur nur ein Traum war."
Justina drehte sich zu ihr um und sah sie abwartend an, worauf Johanna tief einatmete und die Geschichte erzählte. Es dauerte lange, sie zu erzählen, und immer wieder musste sie an sich halten, um nicht von den Gefühlen übermannt zu werden. Schließlich nahm Justina sie in die Arme, als wären sie alte Freundinnen. Sie hatten ihren Frieden miteinander geschlossen.

Am Nachmittag erhielten sie unerwarteten Besuch. Herzogin Aisenberg, die Johanna nur vom Sehen kannte, wünschte, Adam zu sprechen. Als sie Johanna sichtig wurde, leuchteten ihre Augen nur kurz auf, als hätte sie bereits erwartet, sie anzutreffen. Sie gingen zu dritt in sein Arbeitszimmer und setzten sich auf schlichten Stühlen im Kreis zusammen.
„Es freut mich, zu sehen, dass ihr endlich zueinandergefunden habt", begann Aisenberg das Gespräch.
„Ihr wusstet von uns?", fragte Johanna.
„Sagen wir, ich hatte meinen Anteil daran, Eure Heirat mit Herrn Arling zu verhindern."
Johanna hatte unzählige Fragen auf den Lippen, die sie dieser Frau stellen wollte, aber Adam kam ihr zuvor. „Ich dachte, ihr wolltet Euch von Eurem Anteil an dem Geschäft zurückziehen?"
„Der Herzog zeigt persönliches Interesse an Eurem Tun, was es mir ermöglicht, mich geringfügig einzubinden. Wie gehen die Geschäfte voran? Ich hörte von einem Vorfall."
Adam schürzte die Lippen. „Wir hatten ein paar Rückschläge. Nun haben wir genügend Stoffrollen, um am Jahrmarkt für Aufsehen zu sorgen."
„Konntet Ihr Erfolge bei der Seidenweberei verzeichnen?"
Er schüttelte den Kopf. „Der Rohstoff übersteigt zurzeit meine finanziellen Möglichkeiten."
„Wenn ihr bei Eurem ersten Mal nur den Eindruck erweckt, gewöhnliche Stoffe in Massen zu verkaufen, wird man Euch auch zukünftig so wahrnehmen." Sie nahm einen klimpernden Beutel aus ihrer Handtasche und überreichte ihn Adam. „Eine letzte Investition in Eure Unternehmung. Setzt sie weise ein. Wir bauen darauf, dass Euer Geschäft floriert."
Adam öffnete den Beutel und starrte blinzelnd hinein. „Wie kommt es dazu?"
Aisenberg legte den Zeigefinger auf ihre Lippen. „Sprecht nicht groß darüber und seht zu, dass Ihr Eure Kapazitäten rasch ausbaut. Wir werden möglicherweise in Bälde auf Euch zurückgreifen."
„Wie kann ich Euch danken?"
Aisenberg sah zwischen beiden hin und her. „Heiratet. Es ist in unser aller Interesse, dass eure Beziehung nicht in Verruf gerät. Darum bringt zu Papier, was ihr wahrscheinlich ohnehin schon getan habt."
Johanna sah verlegen zu Boden und die Herzogin legte ihr die Hand auf die Schulter. „Euch muss ich um Verzeihung bitten. Ich habe Euch aus den Augen verloren und bedauere zutiefst, dass Ihr so lange auf die Erfüllung Eurer Liebe habt warten müssen."
„Woher wisst ihr ...?"
Die Herzogin hob beschwörend die Brauen, sagte aber nichts weiter. Sie verabschiedete sich von beiden und kündigte an, spätestens nach dem Jahrmarkt wieder vor Ort zu sein. Bis dahin erwartete sie Ergebnisse.


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