Kapitel 9-2

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Geehrter Baron Bocken zu Raubstein,
mit Freude vernahmen wir, dass Fräulein Jeverbruch, die mein Vater unter seine Protektion gestellt hat, unter Euren Fittichen Zuflucht fand. Meine liebe Frau ist entzückt, dass sie es sogar geschafft hat, Einlass zu einem Hochschulstudium zu erhalten. Ich persönlich erwarte mir interessante Gespräche mit ihr über den Inhalt dessen.
Wie Ihr sicher erfahren habt, ist mein geschätzter Vater, der Graf von Arling, kürzlich verstorben. Als sein Erbe sehe ich mich in der Pflicht, seine getreuen Vasallen persönlich aufzusuchen. Im Zuge dessen wünsche ich Johanna anzutreffen, um mich von ihrem Wohlbefinden zu überzeugen. Alsdann will ich Euch die fortwährende Unterstützung für ihren Unterhalt persönlich entgegenbringen.

Mit verbindlichsten Grüßen


Graf Alexander von Arling

Baron Bocken zerknüllte den Brief und warf ihn in die Flammen, wo er gierig empfangen und verschluckt wurde. Er knetete seine Hände, während Anna mit besorgtem Blick auf seine nächsten Anweisungen wartete.
„Ich wünsche, dass Johanna heute den Salon säubert."
„Aber gnädiger Herr, sie ist bereits vollauf mit der Wäsche beschäftigt."
„Dann wird das heute deine Aufgabe sein. Und richte den Mädchen aus, sie sollen das Silber polieren. Wir erwarten hohen Besuch."
Anna machte einen tiefen Knicks und verließ den Raum. Kurz darauf kam Johanna herein, die Schürze noch feucht vom Waschen. Sie trug einen Eimer Wasser bei sich und staubte sogleich die höher gelegenen Flächen ab.
„Wie geht es dir heute, Johanna?"
Sie zuckte unmerklich zusammen. „Danke, gut, mein Herr."
„Bist du zufrieden mit deiner Anstellung?"
Sie zögerte mit ihrer Antwort. „Sie entspricht den Erwartungen, die man an eine Stelle als Dienstmagd hat."
„Sicher würdest du es bevorzugen, wenn jemand anderes deinen Pisspott leert, statt meine Geschäfte einzusammeln."
„Meine Familie war nicht vermögend. Ich bin es gewohnt, einige Handgriffe persönlich zu tun."
Bocken legte den Kopf schräg auf seine Hand und sah ihr beim Arbeiten zu, während er die Beine hochlegte. „Ich erhielt gerade Post von einem alten Freund."
Johanna hielt in ihrem Tun inne und sah ihn fragend an. Ein lauernder Blick lag in ihren Augen. Bocken lächelte genüsslich. „Eigentlich eher von seinem Bruder. Mein Freund ist an der Cholera gestorben – eine scheußliche Sache."
„Mein Beileid für Euren Freund, mein Herr. Hinterlässt er Frau und Kinder?"
Bocken schüttelte den Kopf. „Nein, er verbrachte sein Leben damit, seinen Wohlstand zu mehren, um einmal der Richtigen ein ansprechendes Zuhause zu bieten. Nun liegt er unter der Erde, ohne je die Liebe gekostet zu haben, von der er träumte. Denkst du, er hat sein Leben vergeudet?"
„Ich würde mir nicht anmaßen, darüber zu urteilen." Sie war mit dem Staubwischen fertig und machte sich daran, den Boden zu fegen.
„Die Zeit fließt so rasch dahin. Kaum hat man sich umgesehen, da wird aus einem jungen Mann ein Greis und eine Frau hat ihre besten Tage hinter sich. Was gedenkst du mit deiner Zeit anzufangen, Johanna? Sicher wirst du nicht ewig meine Dienstmagd sein wollen?"
„Irgendwann werde wohl auch ich heiraten."
Bocken nickte. „Sobald du das Geld zusammengespart hast. Ich sehe dich nie ausgehen oder dir neue Kleider kaufen. Sicher hast du schon ein hübsches Sümmchen zusammen?"
„Mit Sicherheit", erwiderte sie schüchtern, worauf Bocken genüsslich über seine Lippen leckte.
„Ich erhielt kürzlich einen Brief, der an dich adressiert sein sollte."
Johanna ließ den Besen fallen und trat an ihn heran. „Darf ich ihn sehen?"
Bocken machte eine wegwerfende Handbewegung. „Er würde dich nur beunruhigen. Es geht um die Hinterlassenschaft deiner Eltern. Wie du sicher weißt, ist der gute Sir Jeverbruch in der Ferne gefallen und deine Mutter ist ihm kurz darauf gefolgt."
Johanna presste die Lippen zusammen und stierte zu Boden. „Ja, ich habe davon gehört."
„Leider hat dein Vater schlecht gewirtschaftet. Sein Land ist kaum etwas wert und die Veräußerung seiner Besitztümer deckte nicht einmal annähernd seine horrenden Schulden." Bocken sah zur Seite und fuhr sich durchs Gesicht. Johanna beschäftigte sich wieder mit dem Fegen des Bodens. Als er vorsichtig zu ihr spähte, konnte er es in ihren Zügen arbeiten sehen. Er rieb sich die Hände, ehe er sie näher ans Kaminfeuer hielt. „Nicht auszudenken. Man will dir als seine Erbin diesen Schuldenberg zukommen lassen."
Johannas Atmen wurde lauter, ihre Haltung zittrig, als beherrsche sie sich, nicht in Tränen auszubrechen. „Sicher hast du reiche Verwandtschaft oder einen Gönner, der das für dich übernehmen könnte?"
„Niemanden, mein Herr."
„Sei unbesorgt. Ich sorge dafür, dass du es in Raten zurückzahlen kannst. Wir werden deine Bezahlung einfach direkt an die Bank entrichten. So bleibt dir die Schuldknechtschaft erspart."
„Aber Herr, womit soll ich dann etwas ansparen?"
Bocken seufzte voll gespielter Betroffenheit. „Ein so hübsches Mädchen wie du hat doch sicher einen Verehrer, der die Kosten für eure Ehelichung zu stemmen weiß?"
Johanna bückte sich, um den zusammengekehrten Dreck auf die Schaufel zu fegen. Sie ließ sich dabei auffällig viel Zeit, als drücke die gerade erfahrene Last sie zu Boden. Eine Antwort blieb sie ihm schuldig. Bocken erhob sich, füllte sich ein Glas mit Wein und schwenkte es in seiner Hand, während er das Aroma einatmete. „Auch ich denke manches Mal über meine Zukunft nach. Der Bericht über meinen Freund erinnerte mich an mich selbst. Ich arbeitete stets auf mehr Wohlstand hin, nun bin ich besitzend, aber was gilt das schon, ohne eine passende Frau neben mir?"
„Sicherlich gibt es viele, die sich an Eure Seite sehnen", antwortete Johanna gepresst.
„Da hast du Recht. Ich habe die freie Wahl. Eine Frau aus gut betuchter Familie würde meinen Reichtum weiter mehren. Doch ich frage mich, sollte ich nicht eher die Wahl meines Herzens treffen?"
Sie schwieg dazu und er trank einen kleinen Schluck. „Ich wäre durchaus in der Lage, deine Schulden zu übernehmen. Ich muss zugeben, dass du eine ansehnliche Frau bist, Johanna. Nicht mehr im typischen Heiratsalter, aber darüber könnte ich hinwegsehen."
Johanna erhob sich und starrte ihn mit einer Mischung aus Ekel und Schockierung an. „Ihr überlegt, mich zu heiraten? Eure Dienstmagd?"
Er stellte das Glas beiseite und berührte sie am Kinn. Sie zuckte unter seiner Berührung zusammen. „Nichtsdestotrotz bist du von edler Geburt. Überleg es dir. Nie wieder einen Nachttopf leeren, die Wäsche machen und am Webstuhl sitzen."
„Euer Angebot ehrt mich, aber ..."
„Bedenke deine Alternativen, Mädchen", fuhr er ihr streng dazwischen. „Es wird dein Leben aufbrauchen, diese Schulden zu tilgen. Sollte ich deiner überdrüssig werden, wirst du sie nicht mehr begleichen können und in der Schuldknechtschaft landen. Vielleicht malst du dir ein Leben an der Seite eines netten Manns aus. Aber hier draußen kennt dich keiner und niemand weiß über deinen Verbleib. Das hier", sagte er und deutete damit auf den Dreck zu ihren Füßen, „wird dein einziger Lebensinhalt sein."
Nun war es um Johanna Selbstbeherrschung geschehen und Tränen rannen ihre Wangen hinab. Bocken lächelte gütig und legte die Arme um sie, worauf sich ihr Körper versteifte. Er ignorierte es und tätschelte ihren Rücken. „Aber, aber meine Liebe. Ich weiß, es ist ein großer Schritt, doch schon bald wirst du mich lieben gelernt haben."
„Ich erbitte mir Bedenkzeit."
„Du stehst am Scheideweg. Ich mache dir dieses Angebot einmalig aus Herzensgüte. Entscheide dich jetzt für mich und beweise mir, dass du meine Herzlichkeit zu schätzen weißt, oder deine Gelegenheit verfällt."
Er löste sich von ihr und gönnte sich einen weiteren Schluck Wein, ehe er sich auf dem Sofa ausbreitete und sie mit gefalteten Händen ansah. Sie sah ins Leere, starrte in die Flammen des Kamins, die ihre Hoffnung gerade zu verzehren schienen. Schließlich rang sie sich ein schwerfälliges Nicken ab.
„Ich wünsche, dass du es laut ausspricht."
„Ich werde Euch ehelichen, mein Herr."
Bocken lächelte raubtierhaft. „Ausgezeichnet, meine Liebe." Er richtete sich auf, griff sie fordernd bei den Haaren und zog mit sanfter Gewalt ihren Kopf in die Höhe, sodass sie ihm in die Augen sehen musste. Danach küsste er sie grob und ließ auch nicht von ihr ab, als sie sich sanft wehrte. Schließlich löste er sich von ihr und sah sie begierig an. „Und jetzt bist du an der Reihe, mir deine Liebe zu beweisen."
Er spitze auffordernd die Lippen und mit sichtlichem Ekel küsste sie ihn, worauf er sie erneut packte und ihre Münder zusammenpresste. Sie erschauderte unter der Verbindung. Ihr Widerwille trieb ihn nur weiter an, doch als er sich an ihrer Brust zu schaffen machte, stieß sie ihn von sich. „Es ist Unrecht, so etwas vor der Ehe zu tun!"
Bocken leckte sich über die Lippen. „Ich werde die Zeremonie ehestmöglich anberaumen, mein Schatz."
Damit verließ er den Salon und ließ sie ihre Arbeit weiter verrichten. Als er die Tür hinter sich schloss, hörte er sie laut schluchzen.


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