12. Kapitel

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Etwas strich über meine Schlüsselbeine, doch das Gefühl war sofort wieder verschwunden, so als wäre es nie da gewesen. Oder bildete ich es mir nur ein?
Ich versuchte, meine Beine zu bewegen.

Doch sofort ging ein scharfer Schmerz durch meinen ganzen Körper, so stark, dass Tränen in meine Augen traten.
Wimmernd schlug ich meine Augen auf. Grelles Licht blendete mich, sodass ich erst blinzeln musste, um mich an das Licht zu gewöhnen und etwas erkennen zu können.

»Nicht erschrecken Ella, io sono qui.« Ich bin hier.
Damianos sanfte, dunkle Stimme, ganz nah an mir.
Ich wollte etwas sagen, doch mein Hals war unglaublich trocken, so als hätte ich Tage lang nichts mehr getrunken.
»Warte kurz«, befahl mir Damiano, bevor er sanft ein kühles Glas an meinen Lippen hielt. Sofort trank ich das Glas leer, das Wasser tat mir unglaublich gut.

Erst jetzt sah ich mich wirklich um.
Damiano saß neben mir am Bettrand, diesmal sah er aber anders aus, irgendwie bedrückt und erschöpft.
Denn seine schwarzen Haare standen in alle Richtungen ab und unter seinen Augen lagen dunkle Schatten, als hätte er Nächte lang nicht schlafen können. Vorsichtig hob ich meinen Arm, dabei erfasste mich wieder dieser unglaubliche  Schmerz, doch ich versuchte ihn zu ignorieren.
Ich strich über eine seiner Haarsträhnen, sie war wunderbar weich und roch nach diesen typischen Männershampoo.

Doch plötzlich sah ich die Narben an meinen Armen, rote Narben, die zickzack förmig über meinen Arm schlängelten.
»Ella ...«, setzte Damiano an, doch ich unterbrach ihn.
»Warum?«, flüsterte ich fast tonlos.
Ich setzte mich auf, trotz der enormen Schmerzen, die wieder meinen ganzen Körper erfassten.
Aber ich trug kein Oberteil, stattdessen war mein Oberkörper mit Verbänden und Kompressen bedeckt.
Langsam hob ich eine der Kompressen auf meiner Brust an, darunter kam eine blutige rote Linie zum Vorschein.

Erst jetzt realisierte ich es.
Mein ganzer verdammter Körper war übersät mit Narben und Verletzungen, die für immer ihre Spuren hinterlassen würden.
»Ella, sie haben dir weh getan, immer wieder, das ist die Paura. Es war der schlimmste Moment in meinem Leben ... das musst du mir glauben. Deswegen habe ich danach versucht, die Wunden zu versorgen ... auch wenn die Narben bleiben werden.«
Tränen liefen ungehemmt über meine Wangen, aber ich nahm Damianos Worte nicht mehr wahr. 

Das Einzige, was ich wahrnahm, war der Schmerz, der bei jedem verdammten Atemzug meinen Körper durchfuhr, der mich immer wieder neu an die Verletzungen erinnerte.
Ich hatte die Kontrolle über meinen Körper verloren, sie hatten mir alles genommen, mich gedemütigt und ausgezogen. Auch wenn ich es nicht mitbekommen hatte, verletzte mich mehr als alles jemals zuvor.
Sie hatten mich gebrochen, auf eine der grausamsten Arten, aber ich hatte meinen Geschwistern das Leben gerettet.
Loyalität zur Familie, immer.
Ich hatte keine Wahl und würde auch keine mehr haben, denn ich hatte keine Kontrolle über mein Leben.

Damiano strich eine der Tränen sanft weg.
»El, bitte wein nicht. Sie werden dir heute nichts mehr tun«, versuchte er mich zu beruhigen.
Doch ich konnte die Tränen nicht mehr zurückhalten, ich besaß diese Stärke einfach nicht mehr und vielleicht hatte ich sie auch niemals besessen.
Mein ganzer Körper war entstellt, für immer, auch wenn ich nur noch drei Tage zu Leben hatte.

»Wer war ... dabei gewesen?«, fragte ich Damiano mit von Tränen erstickter Stimme.
Eigentlich wollte ich die Antwort gar nicht wissen, weil ich verdammt noch mal nicht wissen wollte, wie viele Menschen mich so verletzlich gesehen hatten. Aber ich musste es einfach wissen, sonst hätte die Ungewissheit mich noch verrückter gemacht.
Damiano wandte den Blick für einen Moment ab und biss seinen Kiefer so stark zusammen, dass es aussah, als wolle er jeden Moment eine Wand einschlagen. Mehrere Augenblicke lang schien er zu zögern.
»Domenico, mein Vater, ein paar seiner Handlanger und ich.«
Sein Vater, ich hätte mich übergeben können, so sehr hasste ich ihn. Entsetzen machte sich in mir breit.
Warum?

Lontano. Bis wir uns wiedersehen.Where stories live. Discover now