24. Kapitel

64 7 15
                                    

Mittlerweile musste es schon längst nach Mitternacht sein. Durch die großen Fenster meines Zimmers sah ich die Schatten der Wachposten an meinem Fenster, die mein Vater dort aufgestellt hatte. Wahrscheinlich mehr zu meiner Kontrolle, als zu meinem Schutz.

Aber das wunderte mich auch nicht wirklich, denn seit ich mich erinnern konnte, musste mein Vater alles kontrollieren, das war seine Überlebensstrategie in dieser Welt. Deshalb fragte ich mich manchmal wirklich, wie meine Mutter das überhaupt aushielt, aber wahrscheinlich lag es daran, dass sie genauso kalt sein musste wie er.
Mein Vater, unsere Familie, hatten sie mit der Zeit dazu gemacht.

Ich schüttelte den Gedanken ab, denn er zeigte mir deutlich, wer mein Vater war.
Erbarmungslos, eiskalt und vor allem skrupellos.

Vorsichtig rutschte ich unter der Decke in Richtung der Luke an der Wand. Noch ein letztes Mal sah ich aus dem Fenster hinaus, aber alles blieb ruhig, nur die Schatten der Soldaten waren noch zu sehen.

Tief durchatmend ließ ich mich in die enge Luke zwischen Bett und Wand gleiten, dabei spüre ich den Staub auf meiner Haut, doch ich ignorierte es so gut ich konnte. Obwohl mich ein Schaudern erfasste, als der Staub meine Haut berührte.
Langsam bewegte ich mich durch die enge Luke, bis ich endlich den Zwischenraum zwischen der Wand und meinem Kleiderschrank erreicht hatte.
Mein Herz schlug mir dabei bis zum Hals, weil ich dieses Gefühl beobachtet zu werden nicht abschütteln konnte, obwohl ich wusste, dass es nicht real war.

Also wartete ich trotzdem mehrere Minuten hinter dem Schrank, bis ich mir sicher war, dass niemand mich bemerkt hatte. Ich durfte auf gar keinen Fall irgendein Risiko eingehen, denn ich wusste nicht, was sie mit mir tun würden.

Darauf bedacht, keinen Laut zu machen, beugte ich mich hinter meinem Schrank hervor, nach unten zu den Fließen.
Ein letztes Mal lauschte ich, doch es blieb alles still, nur die Geräusche von Autos waren zu hören. Also drückte ich die Fließe ganz rechts, die zehnte der Reihe nach unten, bis der Geheimgang unter ihr zum Vorschein kam.

Tief durchatmend, ließ ich mich in die Luke hinab senken, bis meine Beine den sandigen Boden erreichten. Die kalte Luft traf auf meine nackten Beine, sofort bekam ich Gänsehaut.

Wieder stieg in mir die Angst auf, obwohl ich genau wusste, dass in diesem Tunnel niemand war. Aber dieses Gefühl blieb trotzdem, genauso wie früher, als ich mit Bella Angst hatte, den Tunnel zu betreten, weil wir dachten, Geister würden hier spucken.
Der Gedanke daran ließ mich lächeln, diese Zeit war die schönste meines Lebens gewesen, da wir noch nicht wussten, in welcher Welt wir lebten.

Eilig suchte ich im Dunklen nach der Lampe, die ich an der Wand des Tunnels zurückgelassen hatte. Das helle, weiße Licht erleuchtete den Tunnel.

Sofort fiel mein Blick auf die schwarze Packung, die unter etwas Geröll hervorragte, mein Wegwerf-Handy.

Nervös sah ich mich nochmal um, obwohl ich genau wusste, dass hier unten niemand war.

Langsam beugte ich mich nach unten, nahm die Packung in die Hand und öffnete sie, dort lag das Handy.

Vorsichtig schaltete ich es an, dabei überkam mich das schlechte Gewissen wieder. Wenn ich das tat, brachte ich Damiano in Gefahr, sein Leben.
Nicht, dass es wegen der Familienfehde nicht schon genug in Gefahr war, aber sollte irgendjemand davon erfahren, würde mein Vater alles daran setzen, ihn tot zu sehen, das wusste ich ganz genau.

Wir hatten schon so viele Menschen auf dem Gewissen, aber ich wollte nicht auch noch für seinen Tod verantwortlich sein. Das war irgendwie absurd, früher wäre es mir egal gewesen, weil es so immer endete.
Egal, wie ich es drehte.

Jetzt aber war es mir nicht mehr egal.

Zögernd starrte ich auf die Kontaktliste. Andererseits hatte ich es ihm versprochen, wenn ich es brach, würde ich es mir selber nicht verzeihen können.

Lontano. Bis wir uns wiedersehen.Where stories live. Discover now