Der Haustyrann - Teil 1

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Vollkommen entspannt lag der neunjährige Karl im Gras unter der uralten Eiche und betrachtete mit einem kleinen Lächeln das prächtige, grüne Blätterdach über ihm. Die Sonne stand hoch am strahlend blauen Himmel und ihre Wärme fühlte sich herrlich an. Schon den ganzen Morgen war an diesem Tag im Juli des Jahres 1870 kein einziges Wölkchen zu sehen.

Wie alle Kinder liebte auch Karl die großen Sommerferien. Dies war eindeutig die schönste Zeit des Jahres. Den ganzen Vormittag hatte er mit seinen Freunden gespielt, aber jetzt hatte einer nach dem anderen Hunger bekommen und war nach Hause gegangen.

Doch Karl wollte noch nicht nach Hause gehen. Hier draußen auf der Wiese vor der kleinen Stadt Rehna war es so schön und gegen Mittag war immer die Zeit, in der sein Vater immer die Apotheke für zwei Stunden zusperrte und zum Essen heim kam. Eine Begegnung mit ihm wollte er lieber vermeiden. Solange er zurückdenken konnte, hatte er seinen Vater gefürchtet. Es gab keinen einzigen Tag in seinem Leben, an dem er ihm keine Angst gemacht hätte.

Über ihm, im Geäst der Eiche, sang ein Vogel sein Lied, aber der Junge nahm den Gesang kaum wahr. Er hatte die Augen geschlossen und versuchte sich zurückzuerinnern, so weit es ihm möglich war. Da waren ganz frühe Bilder in seinem Kopf, das liebevolle Gesicht seiner Mutter und ein paar vage Erinnerungen, die keine Bedeutung hatten. Aber schließlich fand er die erste zusammenhängende Erinnerung seines Lebens.

Damals war er höchstens zwei oder drei Jahre alt gewesen, als er vom Lärm in der Küche aufwachte. In seinem Nachtzeug war er aus dem Bett geklettert und mit bloßen Füßen durch das Haus gelaufen. In der Küche sah er seinen Vater und auf dessen Knien lag sein großer Bruder.

Kurt war mehrere Jahre älter als Karl und sein Held. Doch in diesem Moment strampelte er mit den Beinen in der Luft. Vater hatte sich über ihn gebeugt und schlug mit aller Kraft auf seinen Ältesten ein. Der brüllte vor Schmerz, aber seine Schwestern und seine Mutter schrien vor Angst. Doch niemand fiel ihm in den Arm.

Ganz genau erinnerte er sich, wie er als kleiner Knirps in diesem Moment vorgetreten war. Mit piepsiger Stimme hatte er seinen Vater angeschrien.

„Du sollst meinen Bruder nicht schlagen!"

Zum Erstaunen aller hatte sein Vater tatsächlich mit der Prügelei aufgehört und Karl war sehr stolz auf seinen Erfolg. Er liebte seinen großen Bruder Kurt und konnte es nicht ertragen, dass der so sehr verprügelt wurde. Achtlos ließ Vater sein Opfer los, griff nach seinem Jüngsten und legte sich jetzt ihn über die Knie.

„Du kleines Aas willst mir sagen, was ich zu tun habe?", zischte er grimmig.

Mit Wut im Bauch und einem hochrot angelaufenen Gesicht schlug er jetzt mit aller Kraft auf seinen Jüngsten ein. Der Schmerz überraschte Karl sehr. So etwas Furchtbares hatte er noch nie in seinem Leben gefühlt. Doch das Schlimmste war, der Schmerz hörte gar nicht wieder auf. Immer weiter schlug sein Vater auf ihn ein. Karl schrie wie am Spieß und konnte gar nicht glauben, was ihm da passierte.

Er hatte doch nichts Unrechtes getan! Seine Schwestern schrien mit ihm. Auch seine Mutter weinte und Kurt hatte sich in eine Ecke verkrochen. Auch er heulte laut vor sich hin und noch immer klatschte die große Hand in einem immer wiederkehrenden Takt auf Karls Hintern.

Das war so demütigend! So unfassbar grausam, dass er keinen klaren Gedanken fassen konnte. Wie betäubt hörte er durch sein eigenes Geschrei hindurch seine Mutter.

„Wilhelm, hör auf! Der Junge ist doch noch klein! Was ist nur los mit dir?", schrie sie ihren Mann an.

„Halt dein Maul! Oder willst du auch eine Abreibung?", brüllte er zurück. Er war von seinem Stuhl aufgestanden, hatte Karl losgelassen und drohte ihr mit der offenen Hand.

Das Geheimnis der weiblichen LustWhere stories live. Discover now