Die Landstreicherin - Teil 7

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Sehr früh an diesem Morgen war Wilhelm Westphal auf dem Weg zu seiner Apotheke. Er wollte die Bücher in Ordnung bringen und das konnte er am ehesten erledigen, wenn er nicht andauernd von Kunden unterbrochen wurde. Mit langen Schritten ging er durch die Stadt und erfreute sich an der frischen Luft.

In der Nacht hatte es geregnet, noch immer war das Kopfsteinpflaster der Straße nass. Kaum ein anderer Mensch lief zu dieser frühen Stunde draußen herum, doch vor seiner Apotheke saß eine junge Landstreicherin. Ganz offensichtlich fror sie, denn ihr Kleid war noch immer nass vom Regen. Zusammengekauert hockte sie neben ihrem Bündel.

Ihr Gesicht sah schlimm aus, ihr linkes Auge war vollkommen zugeschwollen und auch auf dem rechten Auge trug sie eine tiefblaue Farbe. Ihre Lippe war aufgeplatzt und das getrocknete Blut hatte einen dunklen Schorf gebildet. Anscheinend hatte jemand diese Göre schlimm verprügelt.

Wilhelm kannte diese Sorte Mädchen. Ganz bestimmt hatte sie sich ihre Prügel redlich verdient. Ohne sie eines weiteren Blickes zu würdigen, ging er an ihr vorbei, schloss die Tür auf, ging hinein und schloss wieder ab.

Frederike wusste genau wer dieser Mann war und eigentlich wollte sie ihn ansprechen, doch seine Körpersprache und sein hochmütiger Blick hatten ihr gesagt, dass es überhaupt keinen Zweck hatte, ihn zu fragen, wann Karl aus der Schule kam. Dieser Apotheker würde ihr gar nichts sagen! Doch sie musste Karl unbedingt sprechen, denn nur er konnte ihr sagen, wo Otto wohnte.

Unentschlossen nahm sie ihr Bündel auf und lief durch die kleine Stadt. Mitten in der Nacht hatte sie sich aus dem Dorf geschlichen und war abgehauen. Nie wieder wollte sie dort hin zurückkehren! Vor allem wollte sie Hermann nie wieder sehen!

Zwei Tage nach den Ereignissen an der Lehmgrube hatte er ihr aufgelauert und sie wieder einmal nach Strich und Faden verprügelt. Sie hatte schon geglaubt, dass er sie dieses Mal umbringen würde, aber dann hatte er doch von ihr abgelassen, als sie wimmernd am Boden lag und sich nicht mehr erheben konnte.

Nie wieder würde sie diesem Dreckskerl den Schwanz massieren! Sollte er doch selbst wichsen, bis er blau anlief! Ihre Wunden würden schon bald heilen und mit der Zeit würde sie Hermann einfach aus ihrem Gedächtnis streichen. Doch im Moment war er noch immer sehr präsent. Jedes Mal, wenn sie um eine Ecke bog, schaute sie in alle Richtungen, ob er nicht irgendwo stand und auf sie lauerte.

Siebenmal schlug die Uhr des Kirchturms und Frederike seufzte. Es dauerte ganz bestimmt noch ewig, bis Karl aus der Schule kam und dann seinem Vater in der Apotheke half. So lange musste sie irgendwie die Zeit totschlagen. Doch hier in der Stadt wollte sie nicht so lange warten. Lieber folgte sie einem Weg hinaus und so bald sie nicht länger von Häusern umgeben war, fühlte sie sich auch wieder wohler. Die Angst verschwand und als sie das glitzernde Wasser des Wedendorfer Sees entdeckte, lächelte sie. Diese Städter hatten sogar eine Bank an ihren See gestellt!

Hier legte sie ihr Bündel ab und holte ihr riesiges Brot heraus, das sie selbst noch gebacken hatte. Mit ihrem kleinen Messer schnitt sie den Kanten ab und verstaute das Brot wieder. Vorsichtig biss sie hinein und war darauf bedacht, ihre Lippe zu schützen. Ganz langsam kauend, dachte sie nach.

Hermann würde sie nicht klein kriegen! Sie würde nicht wieder nach Hause gehen und ihn auf gar keinen Fall heiraten, egal wie schwer der Weg auch war, der jetzt vor ihr lag. Entschlossen biss sie erneut in ihr Brot.

*

„Eine Streunerin hat nach dir gefragt!", rief Gregor, als Karl die Apotheke betrat. Der stutzte einen Moment, denn er kannte keine Streunerin.

„Wie sah sie denn aus?", wollte er wissen.

„Potthässlich! Sie hatte ein vollkommen zerschlagenes Gesicht. Wenn ich schätzen muss, würde ich sagen, es war eine Bauernmagd. Sie war etwa 15 Jahre alt und trug ein altes, verwaschenes Kleid."

Das Geheimnis der weiblichen LustWhere stories live. Discover now