Wie man eine Szene macht - Teil 24

694 11 22
                                    

Mit einem kleinen, stolzen Lächeln dachte Liesel an den Moment in der Schule zurück, als sie im letzten Jahr eine Klassenarbeit nicht mitschreiben wollte. Damals hatte sie einfach nur daran gedacht, wie ihr Kater gestorben war. Der war schon alt und hatte nur noch einen halben Schwanz, aber sie kannte ihn ihr ganzes Leben lang und sie hatte ihn unglaublich lieb. Als er dann starb, war das so herzzerreißend für sie, dass ihr hinterher sofort die Tränen in die Augen schossen, wenn sie nur daran dachte.

In der Schule hatte das richtig gut funktioniert. Als dort die Tränen liefen, war der Lehrer sehr besorgt und hatte sie sofort nach Hause geschickt. Aber würde es ihr auch hier beim Abendessen gelingen? Papa und ihr kleiner Bruder Friedbert saßen ihr gegenüber und Mama saß an ihrer Seite. Ihr Bruder Fridi konnte sie manchmal zur Weißglut bringen und es konnte schwer werden, in seiner Gegenwart loszuheulen, aber sie wollte es versuchen.

Intensiv dachte sie an ihren Kater, wie er so leblos da lag und sich nicht mehr bewegte. Mit ihrer Gabel stocherte sie in ihrem Essen herum. Ganz steif lag er da und Papa musste ihn hinausbringen... Schon lief die erste Träne. Das hatte ja richtig gut geklappt! Jetzt nur dran bleiben! Nur nicht das Gefühl verlieren!

Der Gärtner hatte am Rand des Gartens, direkt neben der Hecke, eine Grube ausgehoben... Laut heulte Liesel los. Alles kam aus ihr heraus.

Ihr Vater Helmut war entsetzt! „Was ist denn nur los mit dir?"

„Ich weiß es nicht!", heulte sie laut und ihr Bruder grinste.

„Sie ist schon wieder hysterisch!", sagte ihre Mutter Rosi.

„Das hat Doktor Westphal auch gesagt!", heulte sie.

„Wer ist Doktor Westphal?", fragte ihr Vater.

„Mama und ich haben ihn im Zug kennengelernt. Weißt du noch? Nein, vermutlich weißt du es nicht. Du hast ja die ganze Zeit geschlafen. Ich habe mich auf der Fahrt mit ihm unterhalten und er hat mir richtig viel über die Hysterie erzählt. Da ist es mir wie Schuppen von den Augen gefallen. Ich bin tatsächlich hysterisch! Und das ist einfach nur furchtbar! Das fühlt sich so schrecklich an!", schrie sie.

In diesem Moment weinte sie richtig heftig und ihre Tränen waren echt, weil sie sich so sehr in die Situation hineingesteigert hatte. Achtlos schob sie den Teller zur Seite und legte die Stirn auf den Unterarm.

Papa griff über den Tisch und streichelte ihr das Köpfchen. Irgendwie wusste sie, dass ihr Bruder jetzt nicht mehr grinste, auch wenn sie ihn gerade nicht sehen konnte.

Ihr Vater war besorgt. „Na ja, das kann schon sein, dass du hysterisch bist, denn du bist ja jetzt in dem Alter. Aber was kann man da machen?"

Auf diese Frage hatte Liesel gewartet. Sie hob den Kopf und schaute ihn an.

„Doktor Westphal hat mir dieses Heft mit seiner Werbeanzeige gegeben und gesagt, dass ich in seine Praxis kommen soll. Dann kann er mir helfen und viele meiner Symptome lindern. Er hat gesagt, ich werde danach sehr viel ruhiger und ausgeglichener sein und mich sehr viel wohler fühlen. Hier Papa! Schau dir mal die vielen Symptome der Hysterie an! Die treffen fast alle auf mich zu!", sagte sie unter Tränen.

Interessiert nahm ihr Vater das Heft in die Hand und schaute auf die Anzeige. Du meine Güte! Was für eine lange Liste! Wie furchtbar! So einiges traf tatsächlich auf Liesel zu. Schnell ging er die Symptome noch einmal durch und machte in Gedanken hinter denen ein Häkchen, die zutreffend waren.

Wutausbrüche? - Auf jeden Fall!
Schmerzen im Unterleib? - Darüber hatte sie schon geklagt!
Weinen ohne ersichtlichen Grund? - Ja! Gerade eben!
Atemnot oder Hyperventilation? - Natürlich!
Schlafstörungen oder Albträume? - Hatte sie auch schon!
Schwindel oder Benommenheit? - Ja.
Appetitlosigkeit? - Auch das kam schon vor.
Nervosität, Unruhe oder Angstzustände? - Eher selten.
Stimmungsschwankungen? - Aber ja, ständig!
Übersteigertes sexuelles Verlangen? - Gott sei Dank! Das hat sie nicht!

Das Geheimnis der weiblichen LustWhere stories live. Discover now