Kapitel 6

23 1 0
                                    

Bei Tagesanbruch erhob sich Maerwyn aus ihrem Bett und machte sich bereit für das bevorstehende Abenteuer.
Während sie ihre Rüstung und ihre Waffen anlegte, verabschiedete sie sich in Gedanken von dem weichen, bequemen Bett. Sie seufzte wehmütig bei dem Gedanken, wann sie wohl wieder in einem - vernünftigen - Bett liegen würde - falls sie überhaupt jemals wieder in einem liegen würde.
Sie redete sich ein, dass sie deshalb nach ihrem Gespräch mit Legolas zu Bett gegangen war, anstatt Ilmare ein weiteres Mal Auf Wiedersehen zu sagen, wie sie dem Elb weiß gemacht hatte. Natürlich hatte sie ihn angelogen - dass er das wusste, wusste sie auch. Sie hatte sich schon ausführlich von ihrer Freundin verabschiedet, doch das zweite Auf Wiedersehen würde heute stattfinden, wenn die Gemeinschaft aufbrach.
Als sie die Armschienen anlegte, die sie von Königin Naira geschenkt bekommen hatte, wanderten ihre Gedanken zu ihrer eigenen Mutter. Hätte sie dieses Abenteuer gutgeheißen? Bestimmt nicht. Hätte sie sich von ihr aufhalten lassen? Würde sie heute ihre Mutter treffen und sie würde ihr sagen, sie solle nicht gehen, würde sie bleiben. Doch hätte sie sie ihr ganzes Leben lang gekannt... Wahrscheinlich nicht.
Sie flocht ihre langen Haare zu einem festen Zopf. Dabei musterte sie ihr Gesicht eingehend im Spiegel. Ihr ganzes Leben lang hatte man ihr gesagt, sie sei ihrer Mutter wie aus dem Gesicht geschnitten. So hatte sie sich oft eingebildet, das Gesicht ihrer Mutter im Spiegel zu sehen. Das war eine Weile ganz schön gewesen. Sie hatte ein Gesicht zu der Person gehabt, von der immer gesprochen wurde, die sie aber nie kennengelernt hatte und auch nie kennenlernen würde. Doch je älter sie geworden war, desto trauriger war dieser Gedanke geworden. Wenn sie jedes Mal das Gesicht ihrer Mutter sah, wie sah dann ihr eigenes Gesicht aus?
Ein weiterer Seufzer verließ ihre Lippen, ehe sie sich abwandte.
Bevor sie die Tür öffnete und in den Gang hinaustrat, schaute sie sich noch einmal in ihrem Zimmer um.
Dies würde für eine ganze Weile das letzte gemütliche Zimmer sein, in dem sie sich befinden würde.
Hoffentlich komme ich zurück, dachte sie, bevor sie die Tür hinter sich schloss und sich auf den Weg zu ihren Gefährten machte.

Nachdem die Sonne aufgegangen war und ihr Licht auf Bruchtal scheinen ließ, waren alle Gefährten versammelt. Jeder von ihnen hatte sich von seiner Delegation und seinen Freunden verabschiedet und war - mehr oder weniger - bereit, die Reise anzutreten.
Die Delegationen und Freunde der Gefährten hatten sich mit ihnen im Hof eingefunden, um sie bei ihrem Aufbruch zu unterstützen.
Ilmare zwang sich, Maerwyn ein aufmunterndes Lächeln zu schenken. Ihre Freundin sah problemlos durch ihre Fassade.
Der Blick der Prinzessin fiel auf Naira, die ebenfalls versuchte, ihre Sorge hinter einem Lächeln zu verbergen und kläglich scheiterte.
Ihre Aufmerksamkeit wurde jedoch bald von Herrn Elrond beansprucht, der vor die Gefährten trat und meinte, eine Rede halten zu müssen.
„Der Ringträger bricht auf zu seiner Suche nach dem Schicksalsberg", verkündete er das Offensichtliche. „Euch, die ihr mit ihm reist, wird kein Eid oder Zwang auferlegt, weiter zu gehen, als ihr wollt."
Maerwyn tauschte einen letzten Blick mit Ilmare, dann mit Königin Naira.
„Lebt wohl", sprach Herr Elrond. „Haltet fest an Eurem Ziel. Möge der Segen von Elben, Menschen und allen freien Völkern mit Euch gehen."
Er machte eine Geste, als segne er die Gemeinschaft, was Aragorn, Legolas und Maerwyn beantworteten, indem sie die rechte Hand auf ihre Brust legten. Die anderen, insbesondere Boromir, guckten doof oder taten gar nichts. Gimli dachte sich seinen Teil.
„Die Gemeinschaft erwartet den Ringträger", erklärte Gandalf.
Frodo wandte sich von den Elben ab und ging als Erster zum Tor hinaus, der Zauberer folgte ihm auf dem Fuße, der Rest hinter ihm.

Die Gemeinschaft verließ das schützende Tal von Bruchtal.
Maerwyn hielt sich an Aragorn und Legolas. Ursprünglich hatte sie Sam angeboten, Lutz das Pony, an seiner Statt zu führen, doch der Hobbit hatte abgelehnt. Danach war sie mit Merry und Pippin gelaufen, doch diese waren zu sehr damit beschäftigt, sich auszumalen, was sie tun würden, wenn sie wieder heimkämen.
Frodo verbreitete Weltuntergangsstimmung und Gandalf war nicht viel besser, also hielt sie sich von ihnen fern.
Boromir redete ausschließlich über Gondor und wie toll es doch sei und was sein Vater für ein großartiger Mensch sei. Alles Dinge, von denen Maerwyn lieber weniger wusste.
Gimli war nicht viel besser mit seiner Quatscherei über Zwerge und Minen und Essen.
Nein, da blieb sie doch lieber bei dem Waldläufer und dem Elbenprinzen. Nicht, dass die drei sich viel unterhielten, aber wenigstens war die Stille nicht so peinlich wie mit den anderen, wenn sie darauf warteten, dass die Prinzessin eine Frage stellte, was sie nicht tun würde, weil sie das Thema so gar nicht interessierte.

Weiter und weiter ging die Reise. Irgendwann latschte die Gemeinschaft wahnsinnig episch an einem Stein vorbei.
Gandalf hatte Maerwyn darüber in Kenntnis gesetzt, dass sie zur Pforte von Rohan wandern würden, um von dort aus nach Mordor zu gehen.
Die Prinzessin freute sich, ihre Heimat wiederzusehen, doch sie machte sich auch Sorgen. Sarumans Bleibe Isengard mit dem Turm Orthanc, befand mehr oder weniger genau neben der Pforte.

Sie rasteten bei einer Ansammlung von Findlingen.
Die Hobbits - insbesondere Sam - kümmerten sich um eine Mahlzeit. Boromir brachte Merry und Pippin den Umgang mit Schwertern bei, einer der wenigen vernünftigen Vorschläge, die er bisher gemacht hatte - also eigentlich der einzige.
Gandalf hockte auf einem Stein, rauchte und schaute gewichtig ins Nichts.
Frodo schaute Merry und Pippin beim Üben zu, wie auch Aragorn, der immer mal wieder Tipps gab, während auch er dem Pfeifenkraut frönte.
Legolas und Maerwyn standen in der Gegend herum, hielten Ausschau und dachten sich ihren Teil.
Gimli jammerte.
„Wenn mich jemand nach meiner Meinung fragen würde, wobei ich festhalte, dass es keiner tun, würde ich sagen, dass wir den langen Weg nehmen."
Prinz und Prinzessin spitzten die Ohren und lauschten. Und verdrehten die Augen, als sie den Vorschlag des Zwergs hörten: „Gandalf, wir könnten durch die Minen von Moria gehen. Mein Vetter Balin würde uns einen königlichen Empfang bereiten."
„Das ist die dümmste Idee, die ich auf dieser Reise gehört habe", murmelte Maerwyn.
Legolas nickte.
„Nein, Gimli", widersprach der Zauberer auch prompt. „Ich würde nicht durch Moria gehen, außer, ich hätte keine andere Wahl."
Die Prinzessin grinste erfreut. Im nächsten Moment verschwand Legolas von ihrer Seite.
Nach einem Augenblick des Doof-guckens, folgte sie ihm auf die andere Seite des Lagers, von wo aus man einen schwarzen Fleck am Himmel erkennen konnte.
Merry und Pippin waren unterdessen damit beschäftigt, Boromir auf den Boden zu ringen, nachdem er einen von ihnen mit seinem Schwert erwischt hatte.
„Was glaubst du, was das ist?", fragte Maerwyn ihren Freund.
Der Prinz antwortete nicht.
Auch Aragorn machte Bekanntschaft mit dem Boden, als er versuchte, die beiden Hobbits von Boromir herunterzuziehen und sie ihm stattdessen die Beine unter dem Körper wegzogen.
Maerwyn, für einige Sekunden durch den Tumult abgelenkt, kicherte.
Auch Sam hatte nun den Schatten am Himmel bemerkt und erkundigte sich nach seinem Wesen.
„Gar nichts", behauptete Gimli, „nur ein Wolkenfetzen."
Auch die anderen Gefährten wandten sich nun der möglichen Bedrohung zu.
Boromir äußerte Zweifel an der Theorie des Zwergs: „Es bewegt sich schnell. Und gegen den Wind."
„Crebain aus Dunland!", warnten Legolas und Maerwyn, sobald sie erkannten, dass es kein einzelner Schatten, sondern viele einzelne Körper waren, die sich teilweise vom Schwarm lösten.
Sofort brach Panik aus.
Die Erfahrenen der Gruppe wiesen die Hobbits an, ihren Sachen zusammenzusuchen und sich zu verstecken.
Maerwyn nahm Sam den Eimer Wasser ab und löschte das Feuer selbst. Ein letztes Mal sah sie sich um, ob alle Sachen und Gefährten versteckt waren.
Bevor sie sich selbst einen Ort zum Verkriechen suchen konnte, schlossen sich starke Arme um ihre Taille und zogen sie in ein Gebüsch. Ein überraschter Laut löste sich aus ihrer Kehle, doch eine Hand legte sich über ihren Mund und erstickte jegliche Geräusche.
Die Krähen rauschten unter lauten Rufen über der Gemeinschaft hinweg.
Erst, als sie wieder in die Richtung zurückflogen, aus der sie gekommen waren, erhoben sich die Gefährten aus ihren Verstecken.
Die Prinzessin verpasste ihrem Retter mit der flachen Hand einen Schlag vor die Brust.
„Erschreck mich doch nicht so, Legolas!", schimpfte sie.
Der Prinz hatte nicht einmal den Anstand, schuldbewusst auszusehen.
„Späher Sarumans", spuckte Gandalf aus, während er sich hinter seinem Stein hervorwagte. „Der Durchgang im Süden wird beobachtet."
Die Gemeinschaft versammelte sich um den Zauberer, gespannt auf eine Lösung wartend, die dann nicht ganz so zufriedenstellend ausfiel wie erhofft: „Wir müssen den Pass des Caradhras nehmen."
Klettern, oh Freude... Schlimmer kann es kaum noch werden...
Oh, wie falsch Maerwyn da lag...

Von Maerwyn und Lumiel (Der Herr der Ringe Fan-Fiction)Donde viven las historias. Descúbrelo ahora