Kapitel 20

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Der Rest des Weges nach Helms Klamm verlief glücklicherweise ohne irgendwelche Zwischenfälle, nicht zuletzt, weil Théoden ein ordentliches Tempo vorlegte.
Lumiel und Legolas ritten am Ende des Zuges und stellten sicher, dass niemand zurückfiel.
Endlich kam der Klammwall in Sicht und mit ihm die Hornburg.
Gamling verkündete mit lauten Rufen ihre Ankunft.
Sie ritten in die Hornburg ein, wo ihnen die Pferde abgenommen und in die Höhlen geführt wurden, wo sich die Ställe befanden.
Éowyn kämpfte sich zu ihnen durch.
"So wenige", flüsterte sie entsetzt. "So wenige von euch sind zurückgekehrt."
Théoden seufzte schwer, bevor er ablenkte: "Unser Volk ist in Sicherheit... Wir haben dafür mit vielen Leben bezahlt."
Er half einem verwundeten Soldaten vom Pferd.
Éowyn trat zu Lumiel.
"Wo ist Herr Aragorn?", fragte sie.
Lumiel wandte sich ab.
"Ich will nicht darüber reden."
Dann befahl sie, die Verletzten in die Höhlen zu bringen und sie nach Grad der Verletzung zu ordnen: Die Schwerverletzten, die sofort Hilfe benötigten gleich am Eingang; die, die nur leichte Verletzungen erlitten hatten, weiter hinten.
Sie schaute sich nicht um, als sie sich in die Höhlen aufmachte, doch sie wusste, dass Éowyn und Legolas ihr nachsahen und besorgte Blicke tauschten.
Sie versteckte sich in dem Raum, in dem sie die Verletzten versorgen würde. Noch war niemand da und so erlaubte sie sich, einige Tränen zu vergießen. Sie wusste, sie hätte nichts tun können. Um ein Haar wäre sie selbst gestorben. Doch wie überzeugt man sein Herz von etwas, das nicht einmal sein Hirn glauben will?
Stimmen waren vom Eingang her zu hören und sie riss sich zusammen. Sie musste sich konzentrieren, wenn sie Leben retten wollte. Und das tat sie.
In den nächsten Stunden machte Gebrauch von jeglichem Unterricht in Heilkunst, den sie je in Bruchtal bekommen hatte: Sie ließ die Frauen mit allen Kräutern und Heilmitteln, die sie finden konnte, Salben und Tränke zusammenrühren; mit ihren heilenden Kräften holte sie die Schwerverletzten von der Schwelle des Todes und ließ gebrochene Knochen wieder zusammenwachsen; klaffende Wunden schlossen sich wie von selbst und innere Blutungen verschwanden, als seien sie nie dort gewesen.
Legolas half so gut er konnte. Er hatte nie Unterricht in Heilkunde bekommen und tat daher alles, was Lumiel ihm auftrug. Sein eigentliches Motiv für seine tatkräftige Unterstützung war, dass er so ein Auge auf die Prinzessin haben konnte, die schon sehr erschöpft wirkte und - in seinen Augen - jeden Moment umzukippen drohte. Doch jedes Mal, wenn er auch nur ansetzte anzumerken, sie könne mal eine Pause einlegen, huschte sie schon in die nächste Ecke, mit mehr Energie, als sie eigentlich noch haben dürfte. Ablenkung ist alles war ihre Divise. Wenn sie nicht die Zeit hatte, daran zu denken, dass sie Aragorn nicht hatte retten können, hatte sie auch keine Zeit, sich einzureden, es sei ihre Schuld. 
Und wenn ich heute so viele Menschen wie möglich rette, beruhigt das vielleicht auch mein schlechtes Gewissen, dachte sie, während sie einen alten Mann an eine der Frauen übergab, damit sie ihm einen Verband anlegen konnte.
Irgendwann waren alle Verletzten soweit versorgt, dass Lumiel sich ruhigen Gewissens entfernen könnte: Niemand schwebte mehr in Lebensgefahr - zumindest nicht mehr als sie das alle taten - und die Frauen hatten alle Leichtverletzten, die theoretisch noch kämpfen konnten, vollkommen unter Kontrolle.
Lumiel lehnte sich an eine Wand und atmete tief durch.
Legolas nutzte die Gelegenheit, schnappte sich ihr Handgelenk und zog sie hinter sich her.
"Was soll denn das?! Legolas, lass mich los!", schimpfte sie und stemmte sich mit aller Kraft gegen den Prinzen.
"Nein", gab dieser zurück. "Du hast heute genug getan: Du hast gekämpft und hast beinah das Zeitliche gesegnet, hast geheilt und stirbst fast vor Erschöpfung. Jetzt suchen wir dir etwas zu Essen und dann ruhst du dich aus."
"Aber was, wenn die Verletzten meine Hilfe brauchen?", Lumiel ließ nicht locker.
Legolas blieb stehen und zog sie an sich. Er war ihr so nah, dass sie seinen Atem auf ihrer Stirn spürte.
"Meinst du etwa die Verletzten, die in den Höhlen sitzen und schon wieder so viel Energie haben, dass sie eine Schlacht schlagen könnten? Sind das die Verletzten, die du meinst?"
Lumiel wandte das Gesicht ab und schob die Unterlippe vor.
Legolas machte einen Schritt zurück, hielt ihr Handgelenk jedoch noch immer fest umschlossen.
"Deinen Verletzten geht es gut", meinte er. "Jetzt kümmre dich um dich selbst. Wer weiß, wann du deine Kräfte wieder brauchst."

Von Maerwyn und Lumiel (Der Herr der Ringe Fan-Fiction)Where stories live. Discover now