Kapitel 7

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Maerwyn hatte schlechte Laune. Ihr war kalt, ihre Finger - vor allem die, die Lutz' Zügel hielten - waren blau, ebenso ihre Lippen, ihr war kalt und sie war sich ziemlich sicher, dass sie ihre Zehen nicht mehr spürte.
Hatte ich erwähnt, dass ihr kalt war?
In Gedanken verfluchte sie Saruman aufs Übelste. Bei den Ausdrücken, die ihr Gehirn zum Besten gab, wäre sogar ein Pirat rot angelaufen und hätte sich, peinlich berührt, aus ihrem Dunstkreis entfernt.
Noch schlechter als der Prinzessin ging es den Hobbits. Sie waren noch einmal einen halben Meter kleiner als Maerwyn, hatten kürzere Beine und nackte Füße, die sie nur minimal gegen die Eiseskälte isolierten, und hatten deshalb gleich noch mehr Probleme voranzukommen. Deshalb hatte sie Sam auch irgendwann Lutz abgenommen, damit er sich ganz darauf konzentrieren konnte, nicht im Schnee zu versinken.
Als wolle er Maerwyns Gedankengang bestätigen, stolperte Frodo und kugelte den Weg, den sie gerade gekommen waren, zurück. Er kam erst zum Halt, als Aragorn ihn auffing.
Ginge es ihr nicht so beschissen, hätte die Prinzessin zumindest verhalten gekichert. Nun schaffte sie es nicht einmal, müde zu Lächeln.
Und hier kam gleich der nächste Schreck: Frodo hatte den Ring verloren.
Und als wäre das nicht genug, war es ausgerechnet Boromir, der das Accessoire mit eigenem Willen aufhob.
Mittlerweile war die ganze Gemeinschaft zum Stehen gekommen. Maerwyn beobachtete den Mann argwöhnisch, jederzeit bereit, ein Messer nach ihm zu werfen, und Aragorn hatte seine Hand an das Heft seines Schwertes gelegt.
"Boromir", sagte er warnend.
"Es ist ein seltsames Schicksal, dass wir so viel Furcht und Zweifel erleiden müssen wegen eines so kleinen Dinges", murmelte er vor sich hin. "So ein kleines Ding..."
Er war hob die Hand und war kurz davor das kleine Ding anzutatschen, als Maerwyn genug hatte.
"Verflucht noch mal, Boromir, nimm die Pfoten von dem Scheißteil!", keifte sie und riss ihn damit aus seiner, durch den Ring herbeigeführten, Trance.
Bevor irgendwer irgendetwas tun konnte, hatte sie Legolas die Zügel in die Hand gedrückt und marschierte, so schnell sie das mit ihren kurzen Beinen konnte, zu dem Sohn des Truchsesses. Diesem pflückte sie kurzerhand die Kette mit dem Ring aus der Hand, gekonnt sein gezwungenes "Wie du wünschst. Mir ist es gleich.", genau wie sein ebenso gezwungenes Lachen, ignorierend und reichte sie an Frodo zurück. Währenddessen beschwerte sie sich grummelnd über Männer und Machtgier und Dummheit und, dass sie alle ja schon längst verloren seien, wenn sie nicht da wäre, um sie aus jeder misslichen Lage zu befreien - dass sie letzteres noch nicht einmal gemacht hatte, übersehen wir jetzt einfach mal wohlwollend, schließlich ist der armen Frau kalt.
Dann bewegte sie sich zu Legolas zurück, schnappte sich die Zügel und zog das Pony weiter.

Die Reise wurde nicht besser: War Maerwyns Laune vorher nur schlecht gewesen, so war sie jetzt ins Bodenlose gesunken.
Ihr war kalt, der Schnee war zu hoch - er reichte ihr inzwischen bis zur Brust, noch dazu war er überall, sogar vom Himmel fiel er, begleitet von einem furchtbar kalten Wind - ihr war kalt, sie zog ein absolut nicht begeistertes Pony hinter sich her und ihr war kalt.
Ihre Nase fühlte sich an wie ein Eiszapfen - falls sie sie überhaupt noch spürte, was sie absolut nicht mit Sicherheit sagen konnte. Ihre Finger und Zehen spürte sie auf jeden Fall nicht mehr.
Ihr Zopf war steif. Das Eis, das sich darin festgesetzt hatte, knackte jedes Mal, wenn sie ihren Kopf bewegte. Mittlerweile hatte sie Angst, dass ihre Haare abbrechen könnten.
Aragorn und Boromir hatten die Hobbits auf den Arm genommen, damit sie nicht im hohen Schnee versanken, doch auch ihnen reichte er Schnee schon bis zur Hüfte.
Gimli ging es nicht viel besser als Maerwyn.
Gandalf benutzte seinen Stab, um wenigstens etwas leichter voranzukommen.
Der Einzige, der keine Probleme mit dem hohen Schnee hatte, war Legolas, der, dank seiner elbischen Leichtigkeit, auf dem weißen Zeug gehen konnte. Deshalb ging her am Ende der Gemeinschaft, um sicherzustellen, dass nicht doch irgendjemand im Schnee versank und zurückgelassen wurde. Als sich jedoch eine Stimme erhob, kaum zu verstehen über das Rauschen des Windes, bewegte er sich doch nach vorne.
"Da ist eine grausame Stimme in der Luft", verkündete er besorgt.
Normalerweise hätte Maerwyn jetzt einen Witz darüber gemacht, wie die Stimme denn in die Luft gekommen sei und wie er sich sicher sein konnte, dass es eine Stimme sei und kein Vogel oder ähnliches, aber sie war überhaupt nicht in der Stimmung dazu.
"Das ist Saruman!", brüllte Gandalf und machte allgemeine Gemütslage damit nicht besser, ganz im Gegenteil.
Und als wäre das nicht genug, kamen von oben große Steinbrocken gefallen.
Die Gemeinschaft drückte sich an den Berg.
"Er versucht, den Berg zum Einsturz zu bringen!", schrie Aragorn über den Lärm. "Gandalf, wir müssen umkehren!"
"Nein!", gab der Zauberer zurück.
Er kletterte aus dem Schnee heraus - wie auch immer er das gemacht hatte, vielleicht ein Bonus des Istar-Seins oder die Valar hatten in genau dem Moment beschlossen "Hey, wieso geben wir Olórin nicht die Gabe, auf dem Schnee zu gehen, das wird ihm eine große Hilfe sein." - und begann, Beschwörungen auszusprechen.
Das funktionierte auch ganz gut - nicht - denn im nächsten Moment schlug ein Blitz - hoffentlich von Saruman und kein fehlgeleiteter Zauber von Gandalf, der eigentlich den Mistkerl, der auf seinem Turm stand und ihnen gerade die Reise vermiesen wollte, hätte treffen sollen - in ein Schneebett über ihnen, das sich löste und von oben herabgefallen kam.
Maerwyn stieß einen Fluch aus und dann - sie hatte keine Ahnung, wie er es angestellt hatte, so schnell von neben Gandalf zu ihr zu kommen - tauchte Legolas vor ihr auf und stieß sie gegen die Wand des Berges, während er schützend über ihr stand und sie zwischen dem Berg und seinem Körper einklemmte.
Dann umfing sie Dunkelheit.
Maerwyn hatte kaum Zeit, über das komische Gefühl nachzudenken, das sie angesichts Legolas' Aktion gerade und seiner Nähe empfand, da fiel auch schon wieder Licht von oben, denn der Elb war fleißig dabei, sie aus dem Schnee zu befreien.
Und anstatt das zu tun, was in so einer Situation angebracht gewesen wäre, nämlich sich für die Rettung zu bedanken, versetzte sie ihm mit der flachen Hand einen Schlag vor die Brust.
"Was sollte das?", schimpfte sie. "Du hättest dich verletzen können! Wenn du auf jemanden aufpassen willst, dann pass auf die Hobbits auf!"
Legolas lächelte nur und entgegnete: "Aragorn und Boromir passen auf die Hobbits auf. Wer passt auf dich auf?"
Das machte die Prinzessin sprachlos.
In der Wildnis war es immer sie selbst gewesen, die auf sie aufgepasst hatte. Natürlich, Aragorn war immer an ihrer Seite gewesen, manchmal auch Legolas oder Gandalf, aber trotzdem war es immer sie selbst gewesen, die ihr am nächsten stand, trotz ihrer vertrauensvollen Art allen gegenüber, die einen guten ersten Eindruck bei ihr hinterließen.
Sie fing sich wieder und schoss zurück: "Ich kann auf mich selbst aufpassen. Pass auf Gimli auf, wenn du nichts Besseres zu tun hast."
Besagter Zwerg buddelte sich gerade hustend und prustend aus seinem eigenen Schneeberg, wie auch der Rest der Gemeinschaft, und sein Blick zeigte eindeutig, dass er nicht wollte, dass der Elbenprinz auf ihn aufpasste.
"Wir müssen von diesem Berg herunter!", gab nun auch Boromir eines der wenigen sinnvollen Dinge, die er auf der ganzen Reise sagen würde, zum Besten.
Er zerstörte den guten Eindruck mit seinen nächsten Worten: "Gehen wir zur Pforte von Rohan und über die Westfold zu meiner Stadt!"
"Die Pforte von Rohan bringt uns zu nah an Isengard heran!", sprach Aragorn das aus, was Maerwyn gesagt hätte, wäre sie nicht noch immer damit beschäftigt gewesen, Legolas trotzig anzustarren und zu versuchen, ihm per Gedankenübertragung mitzuteilen, dass seine Schutzmaßnahmen, aufgrund der Verletzungsgefahr nicht erwünscht waren und, dass er sich doch gefälligst jemand anderen zum Beschützen suchen sollte, der nicht in Schuldgefühlen ertrinken würde, wenn er währenddessen verletzt würde.
"Wir können den Berg nicht überqueren!", erklärte Gimli. "Lasst uns unter ihm hindurchgehen! Lasst uns durch die Minen von Moria gehen!"
Das zog Maerwyns Aufmerksamkeit von Legolas zu Gandalf, der einen Moment lang ziemlich unglücklich in die Leere starrte, bevor er die dümmste Entscheidung aller Zeiten fällte: "Lasst den Ringträger entscheiden!"
"Bist du wahnsinnig!", keifte sie. "Du kannst ihn nicht so eine wichtige Entscheidung treffen lassen, wenn er nicht weiß, was es bedeuten würde!"
Gandalf ignorierte sie und forderte Frodo ein weiteres Mal auf, die Entscheidung zu treffen.
Der Hobbit war wahnsinnig überfordert.
"Wir können hier nicht bleiben!", schrie Boromir. "Das wird der Tod Eurer Hobbits!"
"Ich will nicht sagen, dass du unrecht hast, aber du musst ihnen wirklich keine Angst machen!", meckerte Maerwyn.
Leiser fügte sie hinzu: "Angst um sie zu haben kannst du uns überlassen..."
Legolas legte ihr eine Hand auf die Schulter.
"Wir werden durch die Minen gehen", beschloss Frodo, nachdem Gandalf ihn ein weiteres Mal angesprochen hatte.
"So sei es."

Von Maerwyn und Lumiel (Der Herr der Ringe Fan-Fiction)Where stories live. Discover now