Zwei.

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Als ich den Raum betrat hob er den Blick, ohne seinen Kopf auch nur ansatzweise zu bewegen. Ich würde nicht sagen, dass er mich angesehen hat. Nein. Es fühlte sich eher so an als sähe er durch mich hindurch. Er hatte stechend blaue Augen, die aber komischerweise sehr gut in sein Gesamtbild passen. Zu seiner blassen Haut und zu seinen hellen Haaren, deren Farbe ich nicht ganz identifizieren konnte. Vermutlich hing noch ein Rest Tönung in ihnen.

Ich ging geraden Schrittes zu dem freien Stuhl gegenüber von ihm. Erst jetzt schien er mich zu bemerken. Als ich mich setzte, sah er mir direkt in die Augen. Nun gut, ich hatte immer noch das Gefühl, dass er durch mich hindurch sah, als würde er wissen wollen, was hinter meinen Augäpfeln liegt.

Bevor mir seine Blicke unangenehm werden konnten, begann ich zu sprechen und hoffte, dass meine Stimme sicherer klang, als ich mich fühlte.

"Guten Morgen, Herr...", ich seufzte, genervt von mir selbst. Ich hatte es doch tatsächlich hinbekommen, trotz Vorbereitung den Namen des Straftäters zu vergessen. Ich kramte wie wild in meinen Unterlagen.

"...Tjarks", beendete mein Gegenüber den Satz für mich. Ich sah zu ihm auf. Natürlich hatte ich mir einige Lieder seiner Band angehört, trotzdem passte seine Stimme nicht ins Gesamtkonzept.

Zur Antwort nickte ich.

"Also Herr Tjarks. Ich nehme an, Sie wissen warum sie hier sind."

"Ich habe 4 Menschen getötet", sagte er mit einer Gelassenheit, als würde er mir erzählen, was er an diesem Morgen gefrühstückt hatt. Ein typisch psychopathisches Merkmal.

"Werden Sie das auch aussagen, wenn Sie in wenigen Wochen als Hauptverdächtiger vor Gericht stehen?", fragte ich ihn mit einer Ruhe, die ich mir über die Jahre hart antrainiert habe.

"Würde mir das irgendetwas bringen?".
Er lachte matt.

"Vermutlich genau das Gleiche, als wenn Sie alles abstreiten. Sie sind der Einzige Mensch im Umfeld der getöteten Familie, der kein Alibi hat, Herr Tjarks."

Ich war immer darauf bedacht, dass meine Stimme zu keinem Zeitpunkt vorwurfsvoll klingt.

"Wenn ich also sowieso keine Chance habe, warum sind Sie dann hier?", seine Stimme zeigte das erste Mal eine leichte Spur von Interesse.

"Ich bin hier um zu verstehen."

Er zog seine Augenbrauen überrascht ein kleines Stück nach oben.

"Warum?", hauchte er.

"In der Sozialpsychologie heißt es, dass jeder Mensch sowohl eine gute, als auch eine böse Seite besitzt. Es kommt ganz auf die Umstände an..."

Ich beschloss den Teil mit der Psychopathie auszulassen, da ich noch keine Ahnung hatte wie er reagieren würde.

Jetzt lachte er nur. Ein bisschen zu sarkastisch für meinen Geschmack.

"Sie sind wirklich so naiv, wie sie aussehen", immer noch lachend schüttelt er den Kopf.

The Psychopath || Taddl||Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt