Fünfunddreißig.

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Frau Stenzel stellte mir eine dampfende Tasse Kaffee vor die Nase. In ihrem Gesicht konnte ich tiefe Furchen von Besorgnis und einer schlaflosen Nacht sehen. Gut, das war verständlich, schließlich ist ein Straftäter aus ihrer Anstalt entkommen. Und ich hatte es mir zur Aufgabe gemacht, ihn auch draußen zu behalten.

"Ich bin so froh, dass Sie Herrn Tjarks gefunden haben. Ich will mir gar nicht ausmalen, was alles hätte passieren können, wenn er auf der Straße gesichtet worden wäre", begann sie und klang dabei so unendlich müde. Sie lies sich in ihren Schreibtischstuhl sinken und stützte ihren Kopf mit den Händen. Wie sie so da saß, tat sie mir schon leid, obwohl ich wusste, dass es ihr nur darum ging, dass es den Ruf ihrer Psychiatrie geschadet hätte, wenn Thaddeus irgendwelchen Unfug angerichtet hätte. Und genau dieses wissen musste ich jetzt ausspielen.

Bevor ich sprach, nahm ich einen Schluck vom Kaffee. Er war viel zu süß, aber ich brauchte jetzt unbedingt etwas Koffein.
"Frau Stenzel, ich weiß, dass Sie überglücklich sind, dass ich Herrn Tjarks gefunden. Aber ich muss Ihnen sagen, dass ich es nicht bin."

Mich überraschte es selber, wie kühl meine Stimme klang. Verwundert sah sie mich an. "Ich bin nicht sicher, ob ich recht verstehe..."

"Dann lassen Sie mich erklären. Aber sagen Sie zuerst, hatten Sie in letzter Zeit Kontakt zu Herrn Tjarks? Haben Sie ihn überhaupt gesehen?"

Sie schüttelte leicht mit dem Kopf. "Um ehrlich zu sein, nein. Ich selbst komme nur selten mit Patienten in Kontakt. Eigentlich kümmere ich mich eher um den Papierkram und...um die Leitung der Anstalt."

"Gut, dann ist das verständlich. Aber als Leiterin sollten Sie sich schon über den katastrophalen Zustand Ihrer Patienten im Klaren sein."

In ihrem Gesicht spiegelte sich Verwirrung mit einem leichten Anflug von Panik. "Was genau wollen Sie damit sagen, Frau Schüler?"

"Nun, ich arbeite jetzt ja schon eine Weile mit Herrn Tjarks zusammen. Mir ist...der Wandel, den er durchgemacht hat, durchaus aufgefallen. Es scheint fast so, als wäre er Opfer von seelischer Misshandlung geworden..."

"- Unmöglich!", unterbrach sie mich, "Nicht hier! Nein, niemals!"

"Aber Frau Stenzel, seien Sie doch einmal ehrlich zu sich selbst. Wissen Sie überhaupt über den Zustand, in dem sich ihre Patienten befinden Bescheid? Gerade eben noch sagten Sie mir, dass Sie in keinem Kontakt zu ihren Schützlingen stehen!"

"Ich kann Ihnen versichern, dass unsere Patienten sich in einem - für ihre jeweilige geistige Verfassung - tadellosen Zustand befinden!"

"Aber Frau Stenzel", redete ich weiter auf sie ein, "ich habe Herrn Tjarks mit eigenen Augen gesehen. Er sieht wirklich schlimm aus!"

"Dann ist er eine Ausnahme!", antwortete sie mir patzig und ich fragte mich ernsthaft, wer von uns die Ältere war.

"Aber leider sind es immer die Ausnahmen, auf die sich die Medien schmeißen und sie ausschlachten..."

Und da hatte ich sie. In ihren Augen sah ich nun die reinste Panik. Sie war eine Weile in einem Kampf mit sich selbst verwickelt, den ich zu gewinnen schien.

"Was...aber was soll ich tun?", fragte sie mich nach einer gewissen Zeit der Ruhe mit voller Verzweiflung.

Ich seufzte mitfühlend. "Ich bin keinesfalls hergekommen um ihre Karriere zu zerstören. Im Gegenteil, ich will Ihnen helfen!"

Etwas misstrauisch beäugte sie mich. "Wie wollen Sie das tun?"

"Überlassen Sie Thaddeus mir. Ich werde die Therapie auch woanders fortsetzen können und sichergehen, dass er in ein...geeigneteres Umfeld eingegliedert wird." Die Tatsache, dass ich mit geeigneteres Umfeld zumindest vorübergehend meine Wohnung meinte, lies ich unausgesprochen.

"Ich weiß nicht...wenn die Medien..."

"Machen Sie sich keine Sorgen um die Medien! Erzählen Sie ihnen, dass Herr Tjarks eine..spezielle Behandlung braucht, mit Spezialisten. So etwas wie Sozialarbeiter. Das klingt interessant genug, damit sie es schlucken."

Sie hatte gar keine andere Möglichkeit, als mein Angebot anzunehmen.

"Warum tun Sie das, Frau Schüler?"

"Nicht wegen Ihnen, da sein Sie sich mal sicher. Aber wenn ich mich einem Fall annehme, dann sorge ich auch dafür, dass ich das Beste für diesen hinausholen kann."

Die Anstaltsleiterin rieb sich ihre Schläfen. "Fein. Ich werde alles Nötige veranlassen. Wir telefonieren?"

Ich lächelte über meinen Triumph. "Aber natürlich. Sie haben die richtige Entscheidung getroffen. Für uns alle!"

Bevor sie sich umentscheiden konnte, verließ ich fluchtartig das Gebäude, um Thaddeus von den guten Nachrichten zu erzählen.


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Hallo :3

Die Eltern vom besten Freund meines Bruders haben mir Marabou Schokolade aus Schweden mitgebracht. Ich bin im Himmel.

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-xx Lali


The Psychopath || Taddl||Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt