2. Kapitel

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„Wo ist der Mensch?" Der Ork rückte näher von hinten an Seroin heran. Seine Schritte bargen Zeugnis von seinen massiven Muskeln und ein schleichender Hauch von Rotwein prägte seinen Atem. Er stand keine Handbreite hinter Seroins Stuhl und starrte auf ihren Schädel hinab.

Doch die junge Frau stützte sich und den Stuhl nur noch weiter im Bauch des Orks ab. „Und das geht dich was an, weil? Wir kennen uns zu lange für deine Grunzerei! Schenk mir lieber auch noch nach, bevor Zitterlippe uns den guten Wein wegnimmt." Sie kniff in seinen Arm und zog sich ihn spielerisch an den Tisch heran.

Der Ork kicherte auf und ließ sich auf einem der feinen Holzstühle fallen. Geschwind nahm er einen vollen Schluck aus der Flasche vor ihnen auf dem edel verzierten Stahltisch. „Kam grade erst rein. Ganz feiner Tropfen. Angeblich von den Erna Ir, den Meereselfen."

Seroin hob eine Braue und schnappte ihm die Flasche aus der Hand. „Was für Taubpulver du auch immer nimmst, halte es mir fern. Meerelfen und guter Wein. Sind die nicht ausgestorben?"

Der Ork zuckte mit den Schultern und spielte mit der dünnflüssigen Spucke in seinem Mund herum. Nach einem kräftigen Gurgeln schluckte er einmal schmatzend auf. „Kann sein, wen bockts. Man hört in letzter Zeit viel Komisches vom restlichen Kontinent."

Seroin nahm noch einen Schluck und ergriff einen Krug Wasser. Vorsichtig fühlte sie es zu dem Rotwein dazu, auf dass die Flasche gleich voll aussah. „Unser Kontinent Auervam ist groß, das sagt uns der Zuwachs immer. Groß und leer. Kannst du dir das vorstellen, Roscha? So eine große Fläche ohne Lärm, Schreien, Rufen und Brüllen?"

Der Ork namens Roscha grinste breit. „Nein. In keinen Träumen. Aber du und ich sind auch kein Zuwachs oder, Seroin? Man sagt mir, die Orks da draußen seien ein wildes Volk. In Leder und Dreck gekleidet jagen und bumsen sie wie Tiere. Stetig Axt in der Hand und ihre Hauer schimmeln grob und ungefeilt."

Seroin musterte ihn einmal von Kopf bis Fuß. Als Ork war Roscha stämmiger gebaut als die meisten, seine Haut glänzte dunkelgrün bis ins dunkelbraune hinein. Dafür war er einen guten Kopf kleiner als sie. Die für Orks normalerweise wilden und wuscheligen, schwarzen Haare waren bei ihm zu einem einzigen festen Zopf zugebunden. Und trug seine Art sonst ein grobes Gesicht, seines war mit feinsten Cremes sanft und glatt behandelt.

Seroin spitzte die Lippen. „Und der Unterschied zu dir ist?"

Roscha gackerte auf und strich sich über seine Kleidung. „Du kleiner Drachenschiss! Ich kann es mir nicht vorstellen, Leder und Dreck. Ich wüsste keinen Tag zu überleben ohne meine Roben der Hopas Schneiderei und meine kleine Hauerfeile." Sein burgunderrotes Gewand, ehrwürdig für einen Adelsmann, schwang sich bei seiner eleganten Drehung und er fühlte nach der Glattheit seiner beiden breiten Hauer an seinem Unterkiefer. Dann kicherte er wieder frech. „Nur bumsen wir ein Tier, ai, gibt es überhaupt andere Wege?!"

Seroin schüttelte augenverdrehend den Kopf und erhob sich von ihrem Stuhl.

Die Halle, in der die beiden alleine verweilten, wuchs hoch und war erfüllt von einer leichten Dunkelheit. Eine Mehrzahl von schweren Stahltischen und feinen Stühlen standen in ihr verteilt, zwischen ihnen einzelne Putzeimer mit Wasser. Die Vorbereitungen für das nächtliche Feierleben waren wohl noch in Gange.

Die Halle wies nur eine einzige Fensterfront auf, doch wuchs das Glas dort empor wie ein Baum. Dennoch war es unmöglich, Genaueres durch dieses zu erkennen, so grau und matt schimmerten die Scheiben. Mit größter Mühe waren die gröbsten Umrisse der Stadt wahrzunehmen, doch könnte es sich dabei auch nur um Dreck handeln.

Mit leerem Blick starrte Seroin durch die breite Fensterscheibe. „Der Turm hier steht mitten im Sagvi-Viertel, könnte über die halbe Stadt sehen. Aber Zitterlippe lässt matte Scheiben einbauen. Frech."

Träume aus Badazan - Stadt ohne GötterWhere stories live. Discover now