10. Kapitel

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Seroin eilte über die Hauptstraßen weiter ins südliche Sagvi-Viertel, ermahnte sich nicht zu rennen oder zu gehetzt auszusehen. Gerade kniff sie noch die Augen gegen die Sonne zusammen, da bewarf der gigantische Säulenturm ihr Gesicht mit einem Schatten. Das Gemäuer vor ihr ragte beeindruckend in die Höhe, traute sich beinah an die tiefsten Wolken heran. Doch dessen Anblick verpasste der jungen Frau wieder einen gewissen Spurt.

Seroin schlängelte sich an Händlern vorbei, an herumlungernden Menschen und meckernden Greisen, die auf moschen Kisten längst vergessene Kartenspiele ausreizten. Die meisten hier kannten sie und wichen ihr respektvoll aus dem Weg. Der Trubel Badazans war für sie gewohnte Gewässer.

Schreie, Prügeleien und die ewig schimmernden Illusionen der Großfamilien Zweimeer, Ringa und Sandevi am Himmel lenkten sie kaum noch ab und nach einem letzten Zug stand Seroin am Fuß eines hohen Säulenturms. Das Erdgeschoss war von kleineren Läden erfüllt, viele für Essen und Trank, manche zur Pflege für die Haut oder dem Fleisch, andere für gewisse Kleidung.

Doch Seroin suchte keinen dieser Läden auf, stattdessen lief sie durch ein großen Torgang in das Gemäuer hinein. Nach einem dunkeln Tunnel stand sie im Innenhof des Säulenturms.

Das hohe Gemäuer hatte einen hohlen Kern. Ewig weit starrte man von unten nach oben, hinauf zu dem runden Loch im Dach, das gerade noch einen Hauch von Sonne und einen kleinen Blick auf das ewige Blau zuließ. Die Säulentürme hatten alle diesen leeren Innenbereich, teils um frische Luft über all die Stockwerke zu verteilen, teils um Müll hier einfach herunter zu werfen. Auf jedem Stockwerk spannten sich kleine Schnüre mit Wäsche auf. Ein altes Orkpaar stand an einem Geländer auf der Hälfte des Turms, plauderte vor sich hin, ihre Stimmen hallten bis zu Seroin herunter. Auch hier spielten Kinder herum und man sah genug Bewohner des Turms von dem Geländer ihres Stockwerks herunterspähen.

Seroin hielt kurz inne und genoss die Kühle. Badazan konnte in praller Sonne eine gewisse Hitze aufbauen, das Innere der Säulentürme speicherte immer eine angenehme Brise dagegen auf. Dass der Boden teils mit schon müffelndem Müll bedeckt war gab dem Wind hier nur noch einen vertrauten Beigeschmack.

Schließlich pfiff Seroin auf und sofort erkannte sie ein winziges Gesicht weit oben im Turm zu ihr herunterblicken. Wenig später hörte man ein Knarzen, dann senkte sich eine Platti am Rande der Mauer des Innenhofs zu ihr herunter. Mit einem dumpfen Schlag landete das Gefährt in der dazu vorgesehenen Halterung im Erdgeschoss, zerdrückte dabei noch ein wenig Müll.

Mit einem Grinsen und seiner kleinen Feile in der Hand lächelte ihr der Ork Roscha entgegen. „Nein, die gute Seroin schon wieder. So schnell? Der neue Begleiter auch schon tot?" Der Orkleibwächter trat von der Plattform, glitt sich seine feine Robe zurecht und musterte sie von Kopf bis Fuß. „Falls du für sein Restaurant hier bist, wir öffnen erst mit Sonnenuntergang."

Seroin grinste gezwungen auf und trat schlicht an dem Ork vorbei. „Fahr mich hoch. Ich muss mit ihm reden. Dringend."

Rosche steckte seine Feile weg, strich mit seinen breiten Fingern über seine glatte Haut und pullte schließlich an seinen Hauern im Unterkiefer herum. Mit seiner frisch geölten, grünbraunen Haut und dem gekämmten schwarzen Haar könnte er beinah als Mitglied der Ringa Familie durchgehen. „Eigentlich fragt man nach ihm. Und stürmt nicht einfach herein, das weißt du Seroin."

„Und ich weiß, dass, wenn ich das nächste Mal bei Oma Gomscha mir eine gute Suppe bestelle, ich sicherstelle, dass jeder Gast im Dampfenden Dackel sofort weiß, was für eine Enttäuschung du für deine eigene Familie bist. Und vor allem, dass du an Kleider der Hopas Schneiderei kommst anstatt Gomscha mit ihrem ach so geliebten Laden zu helfen." Die junge Frau warf ihm einen Blick halb spielerisch, halb ernst zu.

Träume aus Badazan - Stadt ohne GötterWhere stories live. Discover now