6. Kapitel

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„Sowas kostet dich deinen verdammten Hals!" Seroin beugte sich weiter zu Tomga herüber, der immer noch tief in den Bierkrug vor ihm starrte. „In feineren Vierteln, da kann man einfach so umherirren, aber nicht im Sagvi! Und nicht bei irgendwelchen Nebengassen."

Seroin blickte sich einmal schnell im Raum um. Die Kneipe war spärlich erleuchtet, einzige Fenster wiesen zu der engen Nebengasse nach draußen hin, der Schein der Sonne war dort nur zu erahnen. Im Schankraum selbst standen kleine, klapprige Tische aus müdem Holz, improvisierte Hocker engten sich um diese herum. An der hinteren Wand schlängelte sich ein schiefer Tresen entlang, die Regale dahinter waren kaum noch mit vollen Flaschen gefüllt.

Die wenigen Besucher in der Kneipe taten es Tomga gleich und starrten in ihre Getränke, alle von ihnen waren ältere Menschen mit dichtem, grauem Haar oder kahlem Kopf. Der Barmann schüttete vergebens eine Flasche in die nächste, versuchte seinen Vorrat besser aufzuteilen. Niemand schenkte ihnen groß Beachtung, doch dies war kein Zeichen von Sicherheit, nicht in Badazan.

Seroin blieb über den Tisch gebeugt, ihr Mund nah an Tomgas Ohren, ihre Finger klammerten sich um ihre Handbarmbrust und scharfen Dolch.

„Ich weiß ... ich ... ich brauchte ..." Tomga deutete im Raum umher. „Es sieht aus wie daheim. Holz, Fenster, das Gefühl, die Leute. Licht von der Sonne oder Kerzen, keine künstliche Magie, kein ... kein Zauber." Er nahm einen Schluck und schüttelte sich etwas. „Ich ... ich sah sie. Die Frau."

„Deine Schwester? Ich auch. Halte dir das Bild vor Augen! Bei der Magie der Erinnerungsübertragung ist es wichtig, sich häufig und genau die Erinnerungen heranzuziehen, vor allem bei Fremden. Ansonsten verblassen diese wieder schnell, wie ein schöner Traum direkt nach dem Aufwachen. Und ich habe mir alles gemerkt. Wir finden sie, keine Sorgen."

„Es war zu viel. Du sagst, du hast es nicht gespürt, aber ich ... ich war wieder da. An meinem Hof, meinen Apfelfeldern. Ich sah meine Kinder, mein Leben, meine Heimat. Es war ... hätte ich das gewusst, hätte ich mich vorbereitet, gewappnet. Aber dazu kam ich nicht. Es war zu viel ..."

„Und deswegen läufst du einfach mit fremden Menschen weg? Der Ibis-Bande?"

„Man sagte mir, hier werden Soldaten aus dem Daumaje noch mit Achtung gegrüßt. Hier wäre das Leben noch etwas langsamer. Und es stimmt. Ich nannte nur meinen Rang und schon bekam ich ein Bier umsonst. Für nächstes kann ich mit diesen komischen Zylindern zahlen. Oder ... oder wie daheim. Schlichte Tauscharbeit. Handwerk für Handwerk. Nicht so etwas ..."

Seroin roch argwöhnisch an seinem Bier. „Wenigstens scheint dich niemand hier vergiften zu wollen. Warum? Warum wollen sie dich hier?"

Tomga zog seinen Krug an sich zurück und starrte wieder in das Spiegelbild seiner eigenen Augen. „Die Ibis bestehen wohl teils aus Leuten wir mir ... Soldaten aus dem Daumaje. Wollen mich anwerben. Ich sagte bereits nein, aber ... ich bekam ein Bier. Also schulde ich ihnen wenigstens ein Gespräch. Oder warnst du mich jetzt auch vor einem schlichten Gespräch. Kann man dies auch nicht in eurer Stadt der Wunder?!"

Die junge Frau seufzte aus und strich sich ihr dunkelbraunes Haar zurecht. „Nein Tomga, ich halte dich nicht auf. Tausch dich aus mit deinen Kumpanen von diesem Krieg aus. Ich bleibe hier sitzen, pass einfach nur ein wenig auf deine und meine Taschen auf, ja?"

Der Elf nickte dankend und setzte sich etwas gerader hin. „Hier erinnert es mich wirklich mehr und mehr an daheim. Wisst Ihr warum?" Als Seroin den Kopf schüttelte hob Tomga einen Finger. „Hört Ihr das? Nichts. Stille. Kein Geschrei, kein Lärm, nicht das Zischen dieser Plattformen oder das ewige Gejaule der Illusionen. Schlicht ruhig."

Seroin musste feststellen, er hatte recht. Doch genau diese Stille war es, die ihr ein mulmiges Gefühl schenkte. Stille war in Badazan unnatürlich, fremd, wie ein Fischer, der den Köder selbst isst, oder ein Fluss voll Tinte anstatt Wasser.

Träume aus Badazan - Stadt ohne GötterWhere stories live. Discover now