9. Kapitel

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„Du hast ihn durch diese Ecke des Drecksfingermarkt gezogen? Bist du flatterkrank? Selbst die Einheimischen meiden diese Teile. Ich dachte, du kennst diese Gassen hier, Sero." Die Diebin Dala Mesmoli warf Seroin ein verschmitztes Grinsen zu. „Die besondere Art der Stadtführung, he? Hier weiter runter." Dala trat an die Kante des flachen Dachs und sprang einen knappen Schritt auf das Nächste herunter. Dort ließ sie sich sofort auf ihr Gesäß fallen und klopfte auf den Stein neben sich.

Seroin folgte ihr vorsichtig, begutachtete jeden Kiesel auf dem Dach.

Hinter ihr schnaufte noch immer Tomga, der Elf warf der Diebin verächtliche Blicke zu, sein Gesicht zu seltenem Zorn verzogen.

„Setzt euch. Keine Tricks. Keine Falle oder Magie."

„Hände raus und auf die Kniee legen." Seroin deutete auf das Gewand von Dala. „Du hast genug A.M.I.s um dir die besten Glaskugelzauber zu leisten. Ich gehe kein Risiko ein. Finger zeigen." Die junge Frau machte kein Geheimnis um ihre Hand an ihrer Handarmbrust.

Doch Dala lächelte und legte ihre Finger offen vor sich auf ihre Stiefel ab, während sie sich in einen Schneidersitz begab. „Meinst du, ich plane meine Rache an dir, Sero? Für die kleine aber feine Aktion von letztem Mal. Lieb-Viertel. Ich muss dich nicht erinnern. Ich habe es gesehen." Dala strich sich behutsam durch ihr kurzes, rotes Haar, ihre hellen Augen zu Anschuldigung geformt. „Du hast mir ja freiwillig die Hand gegeben."

Tomga nahm einen Schritt vor, so gewaltig, das Dach bebte schwach. „Dreckiges Wesen! Abbild von Diersa selbst gestohlen für dein widerliches Handwerk!"

Die Diebin kümmerte sich nicht, was Seroin nur noch mehr ein Unwohlgefühl schenkte. „Oh du kleiner Ritter. Wie sehr hast du dich gefreut, als du mich erblickt hast. Hättest mich mal besser nicht gefunden. Aber bitte setzt euch. Ich will keine unnötigen Blicke erleiden. Und bald kommen mehr hier her, sich auszuruhen oder einen erfolgreichen Tag zu feiern."

Seroin sah sich kurz um. Sie waren eine Treppe zurück in den Drecksfingermarkt gelaufen, befanden sich nun direkt unter einem der hohen Handelsplätze der Fütterstraße. Um sie herum thronten die festen Steinsäulen, die die Plätze in der Luft hielten.

An dem Stein waren unzählige dicke Taue befestigt, daran hingen Beutel, Säcke und sogar kleiner Kisten. An den Säulen selbst war eine Vielzahl von morschen Holzhütten aufgerichtet, manche hingen direkt seitlich an dem Stein befestigt, nur mit einer losen Seilleiter versehen. Zwischen diesen beinah schwebenden Hütten hingen schmale, wacklige Brücken, ein jeder Tritt auf diese wirkte wie der Letzte.

Unterhalb der Holzhütten an den Säulen lagen die flachen Häuser des Drecksfingermarkt, die sich zu engen Gassen zusammenkuschelten.

Dazwischen lag ein kleiner Platz. Von überall führten rostige, schmale Rohre in die Mitte dieser quadratischen Fläche, immer wieder schoss ein Schwall Wasser aus diesen hervor und sammelte sich in einem kleinen, mittigen Becken.

Dort trafen sich Jung und Alt, Mensch, Elf, Zwerg und Ork, und wuschen ihre Kleidung, fühlten ihre Flaschen auf oder putzen sich selbst sauber. Es erinnerte an eine verlorene Oase in einer Wüste aus Armut und Verzweiflung, doch die Stimmung war von Frohsinn und Erholung geprägt. Kinder spielten Fangen zwischen den Erwachsenen, man tratschte über den Tag, zeigte sich die erkaufte oder gestohlene Beute. Viele sorgte sich darum, dass ein jeder wenigstens ein Bissen und einen sauberen Schluck Wasser abbekam.

Der Platz des Handels über ihnen beanspruchte die natürliche Sonne für sich, doch hier unten halfen Fackeln und teils künstliches Licht gegen den breiten Schatten. Es war der Trubel einer kleinen, engen Gemeinde, nie sah man eine der hohen Illusionen der Großfamilien Badazans hier aufleuchten.

Träume aus Badazan - Stadt ohne GötterWhere stories live. Discover now