18. Kapitel

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Der bekannte Speisesaal von Herrn Zitterlippes Restaurant war beinah gänzlich in Dunkelheit gekleidet. Die sonst so prunkvoll erleuchteten Tische und hohen Wände waren kaum noch zu erkennen, die weite Fensterfront war von Stoff bedeckt, kein Lichtstrahl schaffte es hinein. Schatten jagten einen jeden auf Schritt und Tritt.

Nur in der Mitte des Saals, wie eine letzte Bastion des Widerstands, flackerte ein kleines Licht auf einem Tisch, umrundet von halbleeren Flaschen. Die Weine und Schnäpse warfen schwache Schatte auf den Boden, eine müde Mischung zwischen Hell und Dunkel.

An diesem Tisch saß gerade Herr Zitterlippe, noch immer trug er das Bild eines blauhaarigen Elfen mit scharfem Gesicht. Sonst wirkte der Mann in seinem Restaurant wie ein frecher König auf fremden Thron, nun aber schrumpfte seine Statur, als fürchte er ein Raubtier direkt an seinem Nacken.

Seroin traute sich langsam zu dem Tisch hervor, der sonst wohlriechend Raum barg diesmal keinen Duft, wirkte unnatürlich steril. So roch sie nur die Reste ihres Erbrochenen an ihrer Kleidung.

So wie Herr Zitterlippe seine Nase hochzog tat er dies wohl auch. „Seroin, eine Freude. Bitte setz dich. Hat das Brot gereicht? Oder soll ich dir Fleisch oder anderes bringen lassen?" Der hagere Mann zwang sich ein Lächeln auf.

Die junge Frau nahm behutsam Platz und legte die Hände nervös ineinander. „Nein. Vielleicht. Gleich. Du wolltest mich sprechen."

„Natürlich. Erst einmal bin ich so froh, dich noch unter den Lebenden zu sehen, in diesem Sein. Dein Verlust würde mich zerspalten."

„Und dir einen nicht unerheblichen Gewinn nehmen. Deswegen sitze ich hier wieder, oder?" Seroin warf ihm einen ausdrucklosen Blick zu, kein Vorwurf oder Vorfreude in ihrer Stimme. „Du willst wissen, was passiert ist? Diese Frau, diese Halbgöttin, sie hat mich einfach ..."

Das erste Klacken eines hohen Schuhs auf festen Boden ertönte von einem Ende des Saals. „Wenn Ihr mir die Zeit schenkt, so würde ich sehr gerne diese Geschichte im Detail hören. Falls diese für Euch nicht zu schlimm zum Erzählen ist." Eine noch kaum erkennbare Gestalt trat langsam an den Tisch heran, der Gang sicher und die Stimme fest.

Seroin drehte sich zögerlich zu dieser um, eine seltsame Erkenntnis wachte in ihrem Verstand auf, sofort weiteten sich die Augen der Söldnerin wie noch nie zuvor.

„Ich vermute sehr, ich muss mich Ihnen nicht vorstellen, doch solch Formalitäten sind nicht schlicht wegzuwerfen. Liebe Frau Seroin, eine Freude Sie kennen zu lernen. Mein Name ist Bema Sandevi."

Die Elfe war schmal und filigran, schlichte, doch feine Kleidung hing an ihrem Leib. Ihr glattes, blond beinah grünes Haar fiel nur von einer Seites ihres Haupts hinab, an der anderen war es kahl rasiert. Ihr eines, zu erkennendes Auge blickte gefasst auf Seroin, eine selten gesehene Wachsamkeit lag darin.

„Frau ... Frau ..." Seroin konnte nicht gegen den Reflex ankämpfen, er lag ihr im Blut wie das Atmen selbst. Sie stand gerade auf und vollzog den Gruß von Badazan. „Wir sind die neuen Götter!"

Bema Sandevi schmunzelte kontrolliert und neigte ihr Haupt. „Wenn auch nur die Hälfte der heutigen Inspektoren Euer Herz hätte, Frau Seroin, ich müsste mich nie mehr um meine Stadt sorgen." Die Elfe nahm auf einem Stuhl Platz und strich ihre Kleidung glatt.

Sofort beugte sich Zitterlippe vor. „Einen Schnaps, Frau Sandevi, oder Taubpulver, A.M.I.s?"

Bema schüttelte fast gewohnt den Kopf. „Keines davon, nie. Mir ist nur nach dem Geschmack, nicht dem Rausch. Wärst du so freundlich und bringst mir meinen Lieblingswein, Zitterlippe? Diesen und einen Krug Wasser."

Wie gesagt eilte der Mann aus dem Saal und kehrte kaum drei Atemzüge später mit den gewünschten Sachen wieder. Er stellte diese vorsichtig vor Bema ab, traute sich nicht zum Einschenken.

Träume aus Badazan - Stadt ohne GötterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt