Kapitel 1

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Mein Longboard ratterte gleichmäßig über den rauen Asphalt, während der harte Metalsound durch meine Kopfhörer viel zu laut in meine Ohren drang. Ich war nervös. Verdammt nervös! Fuck! Mit zitternden Fingern führte ich meine Zigarette zum Mund und zog hastig daran.

Heute war der erste Tag nach meinem Klinikaufenthalt, an dem ich wieder in die Schule musste und meine Gedanken hörten nicht auf, unentwegt in meinem Kopf zu kreisen. Ich hatte Angst vor dem, was mich heute erwarten würde. 

Wussten die anderen Schüler*innen inzwischen Bescheid, was mit mir los war? Timothy hatte gemeint, dass niemand etwas Genaues erfahren hätte. Unsere Klassenlehrerin hätte nur erwähnt, dass ich krank sei und für längere Zeit nicht am Unterricht teilnehmen könnte. Spekulationen gab es sicher trotzdem. 

Aber das war nicht meine einzige Sorge. Ich fragte mich, wie schwierig es werden würde, den ganzen verpassten Stoff nachzuholen. Schließlich war ich über fünf Wochen nicht in der Schule gewesen. Und zu guter Letzt machte ich mir Sorgen um Micha. Würde er mich wieder mobben, nach allem, was an den Wintersporttagen passiert war, oder hielt er sein Versprechen? Ich konnte es nicht einschätzen, schließlich hatte ich seither nicht mehr mit ihm gesprochen.

Während ich Schwung holte, um mein Longboard unter mir anzutreiben, starrte ich auf die graue Straße vor mir. Der Schnee war schon fast geschmolzen. Nur noch dreckige, vereiste Reste, die mit dem eigentlichen wunderschönen Schnee nichts mehr gemein hatten, waren am Straßenrand übrig geblieben. Ich fühlte mich genauso – eingefroren. 

Es wurde Zeit, dass ich endlich den Menschen wieder sah, der es jedes Mal schaffte, das Eis zum Schmelzen zu bringen. Unser letztes Treffen war zwar erst zwei Tage her, als er mich zusammen mit Mama abgeholt hatte, meiner Meinung nach war das aber trotzdem viel zu lange her. Am liebsten wäre ich rund um die Uhr nur noch mit ihm zusammen. Doch das war laut unseren Eltern wohl nicht möglich ...

Ich fuhr über den Schulhof und sah ihn vor dem Haupteingang stehen. Unausweichlich begann mein Herz ein bisschen schneller zu klopfen. Timothy trug wie immer seine dunkelblaue Winterjacke und seine hellblaue Wollmütze. Er schaute auf sein Smartphone in der Hand. Doch als er mein Longboard hörte, blickte er auf und sein wunderschönes, charmantes Lächeln erschien auf seinen Lippen. 

Er hob den Arm und winkte mir zu. Sofort erfüllte die wohlige Wärme seiner Ausstrahlung mein Herz. Fast so, wie wenn im Frühling endlich die Sonne stärker schien und auch noch die letzten vereisten Reste von der Straße taute. Auch auf meinem Gesicht breitete sich ein glückliches Lächeln aus.

Noch ein paar Meter von ihm entfernt, sprang ich von meinem Board und bückte mich, um danach zu greifen. Lässig ließ ich meinen Rucksack über meinen anderen Arm nach vorne rutschen und befestigte dann mein Rollbrett an den dortigen Schnallen. Ich warf mein Gepäck wieder zurück über die Schulter und dann wurde ich auch schon in eine Umarmung gezogen, die ich sofort erwiderte.

„Na, alles klar, Babe?", fragte er, während ich meine Arme um seinen Hals schlang. Ich grinste. Wie hat er mich gerade genannt? „Babe?"

Er lachte und ein süßer rosa Schleier färbte seine Wangen. „Jap, was dagegen?"

Ich zuckte nur, immer noch grinsend, mit den Schultern. „Ist jetzt nicht so kreativ, oder?" Herausfordernd funkelte ich ihn an. Doch anstatt auf meine kleine Provokation einzugehen, stupste er einfach nur mit seiner Nasenspitze gegen meine und sagte: „Deshalb bist auch du der Kreative von uns beiden. Denk du dir was aus."

Sein Gesicht so nah an meinem ließ mich für eine Sekunde die Welt um mich herum vergessen, doch dann lachte ich auf. „Den Teufel werd' ich tun und mir einen Spitznamen für mich selbst ausdenken."

„Okay, du hast recht. Ich überlege mir selbst was anderes. Solange musst du dann aber mit Babe vorliebnehmen." Ich verdrehte nur die Augen, aber immer noch mit einem Lächeln auf den Lippen, um ihm zu zeigen, dass ich damit ganz gut leben konnte.

„Wollen wir rein?", meinte er dann und löste sich aus unserer Umarmung. Shit, da war ja was.

„Am liebsten nicht", murmelte ich.

„Komm, du schaffst das! Ich bin bei dir." Und mit diesen Worten nahm er meine Hand und verschränkte meine Finger mit seinen.

„Bist du dir sicher?", fragte ich und deutete mit einem Nicken zu unseren miteinander verbundenen Händen. „Wenn wir so durchs Schulhaus gehen, outest du dich vor allen. Meinetwegen musst du das jetzt nicht machen." Ich schaute ihm besorgt in die bernsteinfarbenen Augen, doch er schien kein bisschen unsicher zu sein. 

„Das ist mir egal. Ich halte es sicher keinen ganzen Schultag aus, ohne dich zu berühren. Und außerdem, kannst du dich noch erinnern, was ich dir über die spezielle Wirkung von uns Halbvampiren erzählt habe?" Ich nickte, doch war immer noch besorgt. Ich war mir nicht sicher, ob er diese Wirkung auch auf homophobe Arschlöcher haben würde. 

„Mach dir keine Sorgen", sagte er und drückte mir einen Kuss auf die Wange, „ich komm' klar. So, aber jetzt sollten wir wirklich rein. Sonst kommen wir noch zu spät."

Die Gefühle in mir spielten verrückt, als wir über den dunkelgrünen Linoleumboden gingen, vorbei an Klassenzimmern und Mitschüler*innen. Auf der einen Seite hatte ich immer noch Angst vor diesem Tag und vor all dem, was heute passieren würde. Auf der anderen Seite war ich gerade überglücklich, mit dem schönsten Jungen der Welt händchenhaltend durch den Schulflur zu gehen. Normalerweise hätten mich die Blicke und das Getuschel der anderen Schüler*innen verunsichert, doch mit ihm an meiner Seite fühlte ich mich irgendwie selbstbewusster.

„Diggi, schau dir das an!" Ich zuckte zusammen. Timothys Hand umschloss die meine sofort fester. Fuck, die Idioten hatte ich fast vergessen ... 

„Die Emo-Schwuchtel ist wieder da. Und Alter, Micha! Du hattest recht! Sein schwuchteliger Freund ist einfach wirklich schwul." Ich schaute zu meinen drei Peinigern und erwartete schon irgendeinen dummen Kommentar von Micha oder Leon. Doch während Leon nur dumm über Raffis Aussage grinste, verzog Micha keine Miene. Er schaute mir einfach nur mit einem eiskalten Blick in die Augen, der mich mit einem Anflug von schlechtem Gewissen strafte.

Während meines Aufenthaltes in der Klinik hatte Micha mir noch öfter geschrieben. Doch ich hingegen hatte einfach nicht die Kraft dazu gefunden, ihm zu sagen, dass ich nichts auf diese Art für ihn empfand und ignorierte seine Nachrichten. Mein schlechtes Gefühl hatte ich damit beruhigt, dass er mir während unserer gemeinsamen Zeit gesagt hatte, dass er weiß, dass er nur mein Trostpflaster ist. Außerdem waren die letzten zwei Schuljahre dank ihm die Hölle gewesen. Vielleicht hatte er es also auch ein bisschen verdient. Doch als ich jetzt seinen Blick auf mir spürte, fühlte ich mich schlecht.

„Alter, jetzt sag doch auch was", versuchte Raffi ganz aufgekratzt seinen Anführer anzustacheln. Michas Blick ließ mich endlich los und dann schaute er zu Raffi. „Alter, kannst du nicht wenigstens morgens mal deine nervige Fresse halten und mich mit deiner Scheiße in Ruhe lassen?" Raffi schaute seinen wütenden Kumpel komplett verwirrt an und tauschte einen fragenden Blick mit Leon aus. Der zuckte nur mit den Schultern und sah mindestens genauso fassungslos aus.

Ich hingegen schaute glücklich zu meinem Freund.

„Na, sag' ich doch", grinste dieser, „der Tag wird nicht so schlimm, wie du ihn dir in deinem hübschen Kopf ausgemalt hast." Vielleicht hatte er ja recht. Vielleicht würde dieser Tag wirklich nicht so schlimm werden.


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Hallöööööchen,

OMG! Ich freue mich gerade einfach so darüber, dass es endlich weiter geht und das schneller als erwartet.

Voraussichtlich werde ich ein bis zwei mal die Woche ein neues Kapitel hochladen, ich muss mal schauen, wie es mir zeitlich passt. Ich gebe euch aber nochmal Bescheid.

Aber jetzt: Was sagt ihr zum ersten Kapitel? Bin gespannt und freue mich wie immer über eure Votes und noch mehr über eure Kommentare!

Love ya,
Elena <3

Tristan und Timothy 2 [BxB] - Wenn Eis und Bernstein eins werdenWhere stories live. Discover now