Kapitel 14

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Obwohl Timothy die ganze Nacht bei mir war, hatte ich keine Minute geschlafen. Jedes Mal, wenn ich meine Augen schloss, blitzten die roten Augen und scharfen Vampirzähne vor mir auf. Ich fühlte mich dementsprechend beschissen. 

Irgendwann hörte ich im Flur ein Geräusch. Ich schaute auf mein Handy. Es war halb sieben. Mama stand also gerade auf. Vorsichtig löste ich mich aus Timothys Umarmung. Er schlief noch tief und fest und bemerkte nichts. 

Leise schlich ich mich aus dem Zimmer. Mama kam gerade aus dem Badezimmer und zuckte kurz zusammen, als sie mich im Flur stehen sah. Ein mitleidvoller Blick huschte über ihr Gesicht. Auch wenn sie nicht wusste, was mich wirklich beschäftigte, bemerkte sie trotzdem, dass es mir schlecht ging. 

Ohne etwas zu sagen, kam sie die wenigen Schritte auf mich zu und drückte mich fest an sich. Liebevoll streichelte sie mir immer wieder über den Kopf. Ein paar stumme Tränen liefen mir die Wange hinab.

„Wenn du magst, entschuldige ich dich heute für die Schule", meinte sie dann. Insgeheim hatte ich das gehofft. Wobei ich mir auch nicht sicher war, ob ich das wirklich wollte. 

War es mir lieber, mich wie ein Zombie durch die Schule zu quälen und einen Heulanfall vor anderen zu riskieren, oder wollte ich lieber den ganzen Tag alleine und vor allem ohne Timothy daheim sitzen? Beide Optionen klangen nicht wirklich prickelnd. Trotzdem meinte ich dann: „Mhm, vielleicht besser."

„Alles gut, mein Schatz. Ich rufe bei der Schule an und du versuchst nochmal etwas zu schlafen."

„Danke, Mama."

„Nicht dafür, mein Liebling. Ich muss bald zur Arbeit, aber ich bin den ganzen Tag erreichbar, wenn etwas ist, okay?"

„Okay."

Ich ging auf die Toilette und dann zurück ins Zimmer. Draußen dämmerte es schon und im Zimmer wurde es langsam hell. Ich legte mich zurück ins Bett, wo ein ziemlich verschlafener Timothy „Wo warst du?" murmelte und mich zu sich in seinen Arm zog.

„Ich hab' nur kurz mit meiner Mum gesprochen. Sie meldet mich für heute krank."

Schlagartig war er wach, richtete sich auf und schaute mich besorgt an.

„Wie geht's dir?"

„Nicht so gut. Ich konnte die ganze Nacht nicht schlafen."

„Warum hast du nichts gesagt. Ich wäre mit dir wach geblieben und du darfst mich immer wecken, wenn es dir nicht gut geht!"

Ich lächelte ihn an. „Ist schon gut, ich wollte, dass du wenigstens schlafen kannst."

Er umarmte mich. „Du bist ein Dummkopf, weißt du das?" Dann küsste er mich auf die Wange. „Am liebsten würde ich jetzt meinen Dad fragen, ob er mich auch krankmeldet. Aber ich glaube nicht, dass er das erlaubt." Seine bernsteinfarbenen Augen schauten mich wehmütig an.

„Schon gut, meine Mum würde es bestimmt auch nicht erlauben. Ich versuche einfach zu schlafen und vielleicht kannst du dann gleich nach der Schule zu mir kommen?"

„Mach' ich! Auf jeden Fall!" Dann ließ er sich zurück ins Kissen fallen und gähnte. Ich kuschelte mich nochmal an ihn, bis sein Wecker klingelte und er sich für die Schule fertig machen musste. Er drückte mir gefühlt hundert Küsse auf den Mund, bevor er sich verabschiedete und dann ausnahmsweise von Andrew abgeholt wurde.

Ich lag noch einige Zeit alleine in meinem Bett und fiel irgendwann doch noch in einen unruhigen Schlaf. Auch in diesem verfolgten mich Vampire, aber ich träumte auch davon, dass ich in der Schule komplett versagte, dass Micha mich doch wieder mobbte und dass Timothy dabei die ganze Zeit auf sein Handy starrte und nach William recherchierte, anstatt mir zu helfen. 

Als ich nach drei Stunden Schlaf aufwachte, war ich immer noch müde. Ich starrte an die Decke. Ich fühlte mich gerade so unglücklich.

Und dann wurde mir bewusst, was mich die ganze Zeit so niederdrückte. Die Dunkelheit, die ich für einige Zeit vergessen hatte, war wieder da. Und umso mehr ich in mich horchte, umso stärker wurde sie. 

Ich wurde davon überrollt wie von einem Tsunami. Panik erfüllte mich. Mein Herz begann plötzlich zu rasen und obwohl ich immer wieder tief einatmete, schien der Sauerstoff einfach nicht in meiner Lunge anzukommen.

Ich sprang aus dem Bett, blieb mitten im Raum stehen und begann zu hyperventilieren. Angsterfüllt griff ich mir an die Brust. Es dauerte einige qualvolle Minuten, bis ich endlich wieder richtig atmen konnte. Fuck! Was war das?

Wie in Trance begab ich mich nach unten in die Küche und füllte mir eine Schüssel mit Müsli und Hafermilch. Doch schon nach dem ersten Löffel wurde mir schlecht. Ich bekam keinen weiteren Bissen runter. 

Ich wusste nichts mit mir anzufangen. Aufgewühlt tigerte ich durch die ganze Wohnung. Ich ging in jeden Raum, öffnete Schränke und Schubladen, ohne mir selbst eingestehen zu wollen, wonach ich suchte.

Mama hatte gute Arbeit geleistet. Es gab keinen einzigen scharfen Gegenstand im ganzen Haus mehr. Selbst wenn ich meinen Rasierer brauchte, um die zehn Barthaare in meinem Gesicht zu entfernen, musste ich sie erst danach fragen. 

Kurz erwog ich, an die Küchenschublade zu gehen, doch der Gedanke, ein Messer zu verwenden, war mir dann doch zu heftig. 

Irgendwann resignierte ich und ging zurück in mein Zimmer. Ich setzte mich an meinen Schreibtisch und fing bitterlich an zu weinen. Ich wollte Timothy hier haben. Sofort! Aber er musste noch einige Stunden in der Schule absitzen.

Ich überlegte, was ich nun tun könnte und dann schrieb ich Maja, ob sie vielleicht Zeit hätte. Sie antwortete nach ein paar Minuten, dass sie erst in einer Stunde wieder Vorlesungen hätte und fragte mich im gleichen Zug, ob irgendwas passiert sei. Sie wunderte sich vermutlich, warum ich während der Schulzeit telefonieren wollte. Und bevor ich ihr zurückschreiben konnte, vibrierte mein Handy auch schon.

„Brudi? Was ist los?" Es tat unheimlich gut ihre Stimme zu hören und ohne zu antworten, schluchzte ich nur ins Telefon. Sie versuchte mich durch liebevolle Worte zu beruhigen. 

Zwar konnte ich auch ihr nicht die ganze Wahrheit erzählen, aber ich konnte zumindest mit ihr darüber sprechen, dass ich gerade sehr versucht war, etwas Dummes zu tun. Ich redete ziemlich lange mit ihr und am Ende fühlte ich mich wirklich um einiges Besser, vor allem als sie noch einen Vorschlag machte:

„Wie wär's, wenn ich am Wochenende mal wieder heimkomme? Wir könnten mit Mama und Timothy einen Ausflug machen?" Tatsächlich schaffte es nun ein Lächeln in mein Gesicht. „Das wäre wirklich sehr schön, Schwesterherz", antwortete ich strahlend.

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Oje, Tristan geht's wirklich nich gut und er kam wieder ganz schön in Versuchung. Gut, dass er stattdessen mit Maja telefonieren konnte <3

Im nächsten Kapitel gibt es dann den Ausflug :))

Freue mich natürlich wie immer über eure Reads, Votes und sehr über eure Kommentare :))

Love ya, Elena <33

Tristan und Timothy 2 [BxB] - Wenn Eis und Bernstein eins werdenWhere stories live. Discover now