Kapitel 23

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Langsam schlich ich die Treppe nach unten. Die zweiflügelige Tür zum Wohnzimmer war geschlossen, aus dem Inneren hörte ich gedämpft den Fernseher. Rasch huschte ich an der Tür vorbei und hoffte, dass mich mein Erzeuger durch die Milchglaselemente nicht entdecken würde. 

Schnell schlüpfte ich in meine Schuhe. Dann fiel mein Blick auf das Schlüsselbrett an der Wand. Ich griff nach einem Schlüssel mit einem beigen Plüschanhänger und schob ihn in meine Tasche.

Timothy stand an der Straße im Schein einer Laterne. Schnell ging ich zu ihm. Sobald ich in seiner Reichweite war, schlang er seine Arme um meinen Hals. „Es tut mir leid!", meinte er mit erstickter Stimme, während er mich an sich drückte.

„Was tut dir leid?", fragte ich sofort.

„Dass ich dich mit diesem Typen allein gelassen habe. Ich hätte bei dir bleiben sollen."

„Ist schon gut. Ich dachte wirklich, dass er sich wieder beruhigen würde, sobald du weg bist." Ich hatte Timothy am Telefon noch nicht gesagt, dass er mich sogar geschlagen hatte. Erst als ich mich aus der Umarmung löste und er mir direkt ins Gesicht sah, erkannte er den blauen Schimmer unter meinem Auge. 

Sofort erschien auf seinem Gesicht eine Mischung aus Besorgnis und Wut. Zärtlich legte er seine Hand an meine geschundene Wange und in seinen Augen sammelten sich Tränen. Schnell drückte ich ihm einen Kuss auf den Mund. Ich wollte nicht, dass er traurig war, oder sich selbst noch die Schuld dafür geben würde.

„Hast du eine Idee, wo wir jetzt hingehen könnten?", fragte ich, um ihn abzulenken.

Er dachte kurz nach. „Hier ums Eck ist ein Park, da könnten wir hin. Die Picknickdecke haben wir ja noch." Er schmunzelte und hielt die Decke vor mein Gesicht.

Kurze Zeit später waren wir in besagtem Park und standen am Ufer eines kleinen Sees. Der Vollmond glitzerte auf der spiegelglatten Oberfläche. Dabei stand der Erdtrabant so hell am schwarzen Himmel, dass er, obwohl wir schon Nacht hatten, die Umgebung in ein blaues Licht tauchte. 

Es waren nicht mehr viele Leute unterwegs. Ein paar vereinzelte Personen spazierten noch mit ihrem Hund oder folgten rasch dem Kiesweg, der sich durch die Grünanlage schlängelte. Wir gingen ein Stück Hand in Hand um das stille Gewässer.

Als das Ufer von einigen Büschen und Sträuchern vor unseren Blicken verdeckt wurde, zog mich Timothy plötzlich mitten in das Gestrüpp. Sobald wir uns durch die Äste gekämpft hatten, standen wir einige Meter vom Wasser entfernt. Er ließ meine Hand los, entfaltete die rot karierte Picknickdecke und breitete sie auf dem kargen Rasen aus.

Wir setzten uns. Ich lehnte mich an ihn und er legte seinen Arm um meine Schulter. Liebevoll küsste er mich auf die Wange, während mein Blick über den glitzernden See wanderte.

„Schön", meinte ich.

„Finde ich auch", sagte er, ohne den Blick von mir abzuwenden.

Wie immer, wenn er mir ein Kompliment machte, errötete die Haut unter meinen Sommersprossen, was ihn wiederum dazu bewegte, mir direkt noch einen Kuss auf meine Wange zu hauchen.

„Ich will nicht, dass du nachher wieder zu deinem Vater gehst. Komm mit zu mir", bat er mich und etwas Flehendes erschien in seinen Augen.

Ich seufzte. Ich würde gerne zu ihm mitgehen, aber ohne es zugeben zu wollen, fürchtete ich mich immer noch vor seiner Mum. Mehr als vor meinem Vater.

Ich sah ihn an und anstatt ihm eine Antwort zu geben, küsste ich ihn. Er gab meiner Flucht aus dem Gespräch nach. Doch irgendwann löste er sich wieder aus unserem Kuss, lehnte seinen Kopf an meine Schulter und diesmal starrte er in die Ferne. Schweigend saßen wir eine Weile nebeneinander und lauschten den undefinierbaren Geräuschen aus der Natur.

Tristan und Timothy 2 [BxB] - Wenn Eis und Bernstein eins werdenOù les histoires vivent. Découvrez maintenant