Kapitel 26

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„Das wird schon Kätzchen", versuchte Timothy mich zu beruhigen.

Wir standen vorm Haus seiner Großeltern und ich zitterte am ganzen Körper. Ich hatte Angst vor Timothys Mum. Immer und immer wieder spulten sich die Erinnerungen vor meinem inneren Auge ab, wie sie mich auf den Boden schleuderte und plötzlich mit blutroten Augen und Vampirzähnen über mir erschien, bereit mich umzubringen. 

In meiner Brust machte sich dieses beklemmende Gefühl bemerkbar. Gleich würde ich wieder keine Luft mehr bekommen. Ich dachte darüber nach, einfach umzudrehen. So schlimm würde es bei meinem Dad schon nicht werden. Bestimmt hatte er sich inzwischen wieder beruhigt.

Timothy ging einen Schritt nach vorne, doch ich ließ mich nicht von ihm mitziehen. Wie angewurzelt blieb ich in der Einfahrt zum Haus stehen. Er schaute mich liebevoll und motivierend an. 

Ich schüttelte den Kopf und starrte auf meine Vans. Dann ließ ich seine Hand los und drehte mich um, bereit die restlichen Tage nochmal bei meinem Vater zu wohnen. Doch bevor ich auch nur einen Schritt gehen konnte, war mein Freund wieder bei mir und umarmte mich.

Eine Weile stand ich einfach nur schweigend da und schmiegte mich an ihn, während seine Arme beschützend um meinen Körper lagen. „Ich schaffe das nicht", flüsterte ich.

Er drückte mich noch fester an sich. „Doch, du bist stark, du schaffst das. Ich bin bei dir und auch Grace und mein Dad sind da. Davon abgesehen, wird sie dir nichts tun. Ich weiß, dass es schwierig ist, aber bitte vertrau mir."

Ich war nicht überzeugt.

„Bitte, Tristan. Ich lass' dich nicht zurück zu deinem Vater gehen."

Noch eine Weile standen wir schweigend da, bis ich mir einen Ruck gab. „Okay", flüsterte ich kaum hörbar.

„Danke", flüsterte mein blonder Lockenkopf zurück.


Er drückte den Klingelknopf. Meine Lunge zog sich zusammen. Ich drückte Timothys Hand so fest, dass es sicher weh tat, doch er ließ sich nichts anmerken. Ich will hier weg. Ich schaffe das nicht. 

Gerade als ich Timothy wieder loslassen und umdrehen wollte, öffnete sich die Tür. Eine kleine Frau mit kurzen grauen Haaren lächelte uns an. „Da seid ihr ja", meinte sie. Die Lachfalten um ihre Augen und ihren Mund waren mir direkt sympathisch und beruhigten mich etwas. „Kommt rein", sagte sie freundlich. 

Ich atmete tief durch und trat über die Türschwelle. Hinter Timothys Großmutter wartete schon Grace mit einem breiten Grinsen im Gesicht. „Timmy, ich hab' unsere Betten schon getauscht. Du kannst mit Tristan in meinem Zimmer schlafen und ich bin die letzten Tage noch bei Andrew."

„Danke, das ist lieb", antwortete Timothy.

Ich hörte gar nicht richtig zu. Vorsichtig sah ich mich um und scannte den Flur. Die Decken waren ziemlich niedrig und mit dunklem Holz vertäfelt. Eine alte Holztreppe führte in den oberen Stock. Rechts von uns befand sich ein Durchgang zu einer alten kleinen Küche. Die Tür, die links vom Flur führte, war geschlossen. Man sah dem Haus an, dass es schon einige Jahre auf dem Buckel hatte. 

Dann öffnete sich die bis eben noch geschlossene Tür. Timothys Vater erschien darin. Er musste den Kopf einziehen, um sich an dem niedrigen Türpfosten nicht den Kopf zu stoßen. „Hallo Tristan, schön dich zu sehen. Ich hoffe, es geht dir den Umständen entsprechend gut. Fühl dich bei uns wie zu Hause." Leichter gesagt als getan, trotzdem nickte ich höflich.

„Wo ist der Rest?", fragte Timothy.

„Wir sind alle im Wohnzimmer und spielen Activity", antwortete Grace kichernd, „Opa zockt uns beim Pantomime alle ab."

Tristan und Timothy 2 [BxB] - Wenn Eis und Bernstein eins werdenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt