Kapitel 28

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„Hallo, mein Liebling", sagte Mama und drückte mich an sich, „war's noch schön in Hamburg?"

„Ja, sehr. Timothys Familie ist echt lieb", antwortete ich und löste mich aus ihrer Umarmung, um ins Auto einzusteigen. Während wir vom Bahnhof nach Hause fuhren, erzählte ich ihr, was wir noch alles erlebt hatten. 

Nach dem Abend im Musical war das Wetter wieder schlechter geworden und der Regen hielt uns über das Osterwochenende die meiste Zeit im Haus von Timothys Großeltern. Während wir Gemeinschaftsspiele spielten, oder draußen in der näheren Umgebung zusammen spazieren gingen – Timothy zeigte mir das Haus, in dem er aufgewachsen war und seine frühere Schule – fühlte ich mich bei seiner Familie immer wohler. 

Nicht nur, weil Andrew immer seltener dumme Sprüche abgelassen hatte, auch meine Angst gegenüber Timothys Mum war nach und nach immer weniger geworden, auch wenn das mulmige Gefühl noch nicht ganz verschwunden war.


Obwohl ich erst abends zu Hause angekommen war, besuchte ich am nächsten Tag direkt Irina. Unsere Osterferien gingen noch fast eine Woche und ich musste meiner besten Freundin unbedingt so schnell wie möglich alles erzählen. Außerdem wollte ich wissen, wie es ihr nach der Trennung von Chi Chi inzwischen ging.

Ich stand vor der Haustür und suchte unter den vielen Klingelschildern nach Irinas Familiennamen. Da wir uns sonst immer in der Schule sahen oder für die Lerngruppe bei mir oder Henry waren, war ich bisher noch nicht so oft bei ihr zu Hause gewesen. 

Ich drückte den Knopf neben dem Namen Koslow. Kurz darauf rauschte die Freisprechanlage und die Stimme von Irinas älterem Bruder Vitali ertönte: „Ja?"

„Hier ist Tristan, ich bin mit Irina verabredet."

Ein genervtes Stöhnen erklang am anderen Ende der Leitung und dann ertönte der Summer. Schnell drückte ich gegen die Tür, die sich mit einem Klacken öffnete. Außer Puste kam ich im vierten Stockwerk bei der angelehnten Wohnungstür an. 

Als ich sie öffnete, stand Vitali mit vor der Brust verschränkten Armen im Flur und musterte mich genervt. Er gehörte zu Andrews Sport-Gorillas und obwohl er Irinas Coming-Out total positiv aufgenommen hatte, hatte er etwas gegen mich beziehungsweise gegen meine sexuelle Orientierung. Mitläufer!

Unter seinem kritischen Blick schlüpfte ich aus meinen Schuhen. „Ist Irina in ihrem Zimmer?", fragte ich ihn. Doch anstatt mir zu antworten, stellte er sich mir in den Weg und schaute mich herablassend an. Ich verdrehte die Augen und wollte mich an ihm vorbeidrängen. 

In diesem Moment öffnete sich die Küchentür. Abgesehen von dem duftenden Essensgeruch, der sich sofort im Flur breit machte, erschien dort auch ein junger Mann. Er hatte blonde Haare, war ein Stück kleiner als ich und an seinen Gesichtszügen erkannte ich sofort, dass er Trisomie 21 hatte. 

Das musste Irinas Cousin sein. Sie hatte schonmal von ihm erzählt. Der Blonde musterte mich neugierig und fragte dann: „W-w-w-wer b-b-bi-bi-bist du?" 

Ich lächelte ihn an. „Ich bin Tristan und du?" 

„A-A-A-Adrian. Was m-m-machst du hier?" 

„Ich besuche Irina. Sie ist meine Freundin." 

„F-F-Freundin? A-a-a-also verliebt?" 

Ich grinste. „Nein, wir sind befreundet. Verliebt bin ich in wen anders." 

Seine Augen weiteten sich interessiert, als Vitali unser Gespräch genervt unterbrach: „Wolltest du nicht in der Küche helfen, Adri?" 

Ich nickte Adrian lächelnd zu und drückte mich dann an Vitali vorbei. Schnell ging ich zu Irinas Zimmertür und klopfte an.

Tristan und Timothy 2 [BxB] - Wenn Eis und Bernstein eins werdenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt