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Sie waren fort.

Alle Beide. Fort.

Minseok hatte sie sterben lassen.

Es war seine Schuld.

Er hatte Mina nicht retten können und Jino hatte er im Stich gelassen. Er hatte ihm versprochen mit Essen und Decken zurückzukehren, aber Minseok war nicht zurückgekehrt und als bereits der neue Tag angebrochen war, war es längst zu spät gewesen.

Es war seine Schuld.

Seine Gottverdammte Schuld.

Sobald Minseok von dem eisigen Schnee gegen seine taube Wange geweckt wurde, noch bevor die Sonne aufgegangen war, hatte er sich verzweifelt durch den Schnee und zu seiner Schwester gezogen. Sie war ganz still dort gelegen, etwas Schnee lag auf ihrem bläulichen Gesicht, aber ansonsten lag sie ganz ruhig da. Als würde sie schlafen.

„Das ist nicht wahr", hatte Minseok mit zitternden Lippen geflüstert und langsam den Schnee von ihrer eiskalten Wange gestrichen. „Wach auf", flüsterte er anschließend sanft. „Bitte wach auf!" Er war immer lauter geworden, bis er irgendwann anfing zu schreien und sie zu schütteln. Heiße Tränen lagen ihm auf den Wangen und wahrscheinlich hatte er Fieber, weil sein Körper inmitten all der Kälte brannte wie Feuer.

Er nahm sie letztlich auf den Rücken und beugte sich weit nach vorne, damit sie ihm nicht davon glitt. Ihr Körper war ganz starr vor Kälte und Minseok spürte ihren Atem nicht.

„Wir sind gleich bei Jino", versprach er flüsternd. „Keine Sorge, wir sind gleich bei ihm." Minseok trug das kleine Mädchen auf zitternden Beinen durch die vereiste Stadt. Kaum ein Mensch war bei dem Wetter auf der Straße und wenn jemand an ihm vorbeilief, dann duckte er den Kopf nur in seine dünne Jacke und ging etwas schneller.

Die Sonne stand weit oben am Himmel, als Minseok unter der Brücke ankam. Er schrie, als er die Hunde sah, die sich knurrend über Jino beugten und trat nach ihnen, damit sie von seinem kleinen Bruder abließen.

„Jino", flüsterte er. „Wach auf. Wir sind zurück, wir-" Minseok brach in diesem Moment zusammen. Seine Knie trafen auf Schnee und Stein und er zog seine Schwester sorgfältig von seinem Rücken, bevor er das Gesicht im Schnee verbarg und sein Schluchzen darin erstickte.

„Was habe ich getan? Was habe ich nur getan?", weinte er, bevor er zusammenzuckte und auffuhr. Er kroch zu Jinos leblosem Körper hinüber und nahm ihn in die Arme. Sein kleiner Bruder blutete aus den Beinen und Armen, wo Hunde ihn gebissen hatten, aber sein Gesicht sah so friedlich aus – genauso wie das von Mina.

In diesem Moment realisierte Minseok, dass er sie beide verloren hatte. Dass er den Rest seiner Familie sterben gelassen hat. Nein, dass er verantwortlich für ihren Tod war.

„Ist in Ordnung", flüsterte Minseok und strich sich die Tränen fort. Er lehnte Jino wieder an die Wand der steinernen Brücke, so wie er ihn verlassen hatte und brachte auch Mina an seine Seite. „Es ist alles in Ordnung", flüsterte er. Er setzte sich zwischen sie und breitete seine Arme um ihre Schultern aus und zog sie nahe an sich. „Ich lasse euch nicht alleine."

~*~

Luhan wurde von den Engeln zu einem Spiel eingeladen, dass er gelegentlich gerne mitspielte, sagte dieses Mal jedoch ab. Seine Augen waren noch immer auf das Menschenkind gerichtet, dass bereits seinen zweiten Tag an der Seite neben seiner toten Geschwister saß und ungeduldig auf den Tod wartete.

Manchmal sprach Minseok den Zwillingen besänftigende Worte zu und erzählte ihnen Geschichten aus ihrer gemeinsamen Vergangenheit bei ihren Eltern. Er sprach von dem Feuer, das im Winter im Kamin brannte und den Kartoffelsuppen, die ihre Mutter so oft gekocht hatte. Er weinte nicht mehr und Luhan beobachtete Stunde um Stunde, wie das Kind immer schwächer wurde. Es sprach in einem Fieberwahn, der ihn manchmal ganz bedrückt und plötzlich ganz fröhlich machte. Luhan sah ihm beim Sterben zu.

FallenNơi câu chuyện tồn tại. Hãy khám phá bây giờ