Teil 10: Der Schwur zweier Menschen

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Der Thronsaal war auf Hochglanz poliert worden. Der Marmor unter seinen Sandalen blitzte von stundenlangem Reinigen mit edlem Öl und sogar die Ritzen zwischen den kleinen Mosaiksteinen waren ordentlich von Schmutz entfern worden. Chanyeol kannte diese Arbeit gut und er wusste wie viel Schweiß und Mühe sie bedeutete. Wie die Hände der Sklaven manchmal zu bluten begannen wegen all dem Wasser, den rauen Tüchern und der stechenden Brennnessel-Seife. Er kannte diese Arbeit, weil sie einst ihm aufgetragen wurde. Doch nicht heute und von nun an niemals wieder.

Chanyeol durchschritt den Thronsaal. Seine Füße hallten von den Wänden wieder, weil alle Aufmerksamkeit auf ihn gerichtet war. Gesang und Musik, Gespräche und Gelächter – alles war verstummt, als die Flügeltüren für ihn aufgestoßen wurden und er eintrat. Ein Sklave. Gekleidet in feinste Baumwolle, bestickt mit goldenen Ornamenten, wie sie nur ein Prinz tragen konnte. Ausgestattet mit goldenen Reifen an seinen Handgelenken und einer goldenen Brosche, an der Schulter, die sein Gewand festhielt. Sie trug das Zeichen des Prinzen – nicht des Königs.

Kissen, Decken und dick-gepolsterte Matten lagen an den Wänden aufgereiht und auf ihnen streckten sich die nobelsten Herren des Landes aus. Könige und Prinzen benachbarter Ländereien, wohlhabender Adel, wichtige Geschäftspartner, Krieger und Sportler die sich in ihrer Disziplin einen Namen gemacht hatte. Sogar jene, die der Legende nach von Göttern abstammten hatten ihren Weg hierher gefunden. Halbgötter unter Sterblichen. Für Chanyeol waren sie alle Götter. Für einen Sklaven wie er es einmal war...

Der König und Jongin saßen auf einem Podest, zwischen Decken und Kissen und Sklavenmädchen, die ihnen Datteln auf Tellern und Wein aus Porzellankrügen servierten. Sie waren in feinste Gewänder gehüllt und trugen königlichen Kopfschmuck. Der goldene Reif auf Jongins blonden Haaren glitzerte mit seinen Strähnen um die Wette.

Er erhob sich, geschmeidig wie jemand der seit seiner Geburt in Eleganz und Anmut gelehrt wurde. Chanyeol kannte jedoch auch seine andere Seite. Die gefährlich schnellen Bewegungen, die ihn zu einem bemerkenswerten Schwertkämpfer machten.

Jongin blieb vor ihm stehen, seine Augen waren voller Wärme auf ihn gerichtet. Chanyeol ging vor ihm auf die Knie, so wie sie es vor nur wenigen Stunden geprobt hatten.

„Ich frage dich vor meinem Vater Chanyeol – Sohn des Sklaven Denautius – wirst du mein Gefährte? In Krieg und Kampf mein erster Offizier, in Frieden und Ruhe mein wichtigster Berater? Wirst du dein Leben als das meine Akzeptieren, und das meine als das deine? Wirst du schwören mich niemals zu verraten, so wie ich dich von nun an niemals verraten werde? Wirst du an meiner Seite bleiben, selbst wenn Schwert und Gewalt uns zu trennen versuchen?"

Chanyeol hatte zu Boden gesehen, blickte für seine Antwort jedoch in Jongins Augen. „Ich schwöre." Seine Worte hallten an den Wänden wieder. „Schwörst du?" Chanyeol hörte Leute erschrocken nach Luft schnappen. Nicht in jeden Kreisen konnte eine Verbindung zwischen einem Sklaven und einem Prinzen entstehen und ganz gewiss wurde sie nicht einmal in Jongins eigenem Königreich gutgeheißen.

Jongin griff nach seinen Händen, die auf den Boden lagen. Er half ihm auf. „Ich schwöre dasselbe", sagte er. Er wandte sich seinem Vater zu. „Dieser Mann ist ein Sklave Vater, aber er ist auch mein Gefährte."

Der König nickte grimmig. „Ich erlöse ihn von seinem Stand. Er mag von nun an gleichgestellt mit dir sein Jongin. Und wie einen Prinzen haben ihn alle anderen zu behandeln." Noch mehr schockiertes Einatmen und nach Luft schnappen, aber niemand wagte Einwende zu ergreifen. „Beendet die Zeremonie."

Semachites trat mit einem breiten Grinsen zu ihnen heran und reichte Jongin einen Dolch, in dessen Griff große Smaragde eingelassen waren und der einzig für solche Zeremonien eingesetzt wurde. Jongin hob die Hand mit der Handfläche nach oben, in die Chanyeol seine eigene legte. Er fuhr mit der scharfen Klinge über seine Handfläche und reichte denn Dolch weiter an Chanyeol. Purpurnes Blut floss aus der dünnen Wunde in Jongins Handfläche als Chanyeol seinen Schnitt ebenfalls vollzogen hatte.

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