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Taehyung Pov

Sie öffnet die Augen nachdem sie die nebeneinander gereihten Fäden durchgeschnitten hat und lässt den Arm mit der Schere sinken. Nur sie weiß, was in solchen Momenten in ihr vorgeht und nur sie weiß, welche Fäden sie gerade überhaupt durchgeschnitten hat, weil nur sie durch die Augen dieser Viecher die Menschen beobachten kann. 

Ich weiß nicht, wie viele Fäden das gerade waren, jeder einzelne ist dünner als ein Haar. Es könnten hunderte gewesen sein oder aber auch tausende. Letztendlich weiß nur sie es, nur sie sieht ihre letzten Momente vor sich bevor sie ihr Leben beendet und nur die Schere in ihrer Hand ist überhaupt in der Lage das zu tun. 

Die Fäden mögen hauchdünn sein, aber sie sind stark, immerhin repräsentieren sie das von den Göttern geschenkte Leben an die Menschen. Nichts kann es zerstören, außer der Schere, die Atropos gegeben wurde um den Lebensfaden eines jeden Menschen zu zerschneiden, wenn der Moment gekommen ist. Sie trägt sie immer bei sich, denn sie aus der Hand zu legen würde die Gefahr mit sich bringen, dass sie geklaut werden könnte.

Es dauert eine Weile, bis sie bemerkt das ich überhaupt da bin. Nach dem zerschneiden der Fäden ist sie stets für eine Weile in ihrer eigenen Welt, kaum ansprechbar, aber als sie sich umdreht, um zu den nächsten Fäden zu gehen, die gesponnen und bereit zum zerschneiden sind, sieht sie mich. 

Besonders überrascht scheint sie nicht über mein auftauchen, es scheint sogar ganz so als hätte sie damit gerechnet. Sie geht einfach an mir vorbei, öffnet die Schere und führt sie an die Fäden, bereit sie zu zerschneiden wenn sie den passenden Moment kommen sieht.

"Dieser Ort ist nicht für Wesen wie dich gedacht. Handelt es sich um einen Notfall? Wenn nicht, kannst du wieder gehen." Sie hat die Augen geschlossen und redet vollkommen monoton mit mir, als würde die ganze Sache sie nichts angehen und als wäre ich nur hier, um sie zu fragen ob sie mir ihre Schere ausleihen kann damit ich ein Preisschild abschneiden kann. 

Sie weiß genau so gut wie ich weswegen ich hier bin, sie wusste dass es mich durcheinander bringen würde, wenn sie jemanden auf Jungkook ansetzt, das ist auch der Grund warum sie mich durch ihre Viecher hat beobachten lassen. Sie hat damit gerechnet, dass ich hierher kommen würde, ich glaube sogar, dass sie genau das wollte. 

"Du hast deine Ruhe vor mir, wenn du aufhörst dich in meine Arbeit einzumischen. Ich richte über diesen Menschen, du hast lediglich die Aufgabe auf den richtigen Moment zu warten um seinen Faden zu zerschneiden, also misch dich nicht ein."

"Richten?", fragt sie und öffnet ihre Augen. Langsam dreht sie sich um, die Schere nach wie vor in der Hand, aber ihre Aufmerksamkeit ist jetzt mir zugewendet, nicht länger den Fäden. 

Ich komme nicht häufig hierher, deswegen sehe ich sie auch nicht so oft, vielleicht zwei mal alle zwanzig Jahre, aber ihre Augen jagen einem immer wieder aufs neuste einen Schauer durch den Körper. Sie sind beide vollkommen weiß, bis auf die beiden Zeiger darin und die Zahlen von eins bis zwölf. Es sind Uhren in ihren Augen, die die Zeit der Menschen repräsentieren. Es ist faszinierend und zur gleichen Zeit beängstigend.

Sie sieht mich an und legt den Kopf schief. "Wenn dir dein Job so wichtig ist, dann erledige ihn, Taehyung."

Ich schüttle den Kopf und sehe sie verständnislos an. "Dieser Junge fängt langsam an mir zu vertrauen, er öffnet sich mir langsam"

"Viel zu langsam!" Sie fährt mit ihrer Schere durch die Luft und sieht kurz zu ihren Fäden rüber, die sich langsam anspannen, weil der Moment, in dem sie zerschnitten werden sollten, immer näher kommt. Wenn Atropos die Fäden nicht im perfekten Moment zerschneidet, dann reißen sie und gerissene Fäden bedeuten einen qualvollen Tod für die Menschen. 

Trotz dieser Tatsache dreht sie sich wieder zu mir. "Deine Aufgabe ist es nicht sein Vertrauen zu gewinnen und es ist auch nicht deine Aufgabe dich in ihn zu verlieben! Alles was du tun sollst ist eine Entscheidung zu treffen. Nichts oder Wiedergeburt? Um eine Entscheidung zu treffen, musst du jede Seite eines Menschen sehen. Du musst ihn wütend machen, seine Verzweiflung herauf bezwingen, nur dann kannst du sehen was für eine Art Mensch er ist und was er verdient hat." 

Ihre Worte überraschen mich in keinster Weise, Atropos war schon immer so, seit ich damals nach meiner Erschaffung hierher kam und von ihr eingewiesen wurde. Eine Sache allerdings wundert mich trotzdem. Sie sagte, ich wäre dabei mich in ihn zu verlieben, dabei ist das nicht einmal Möglich.

Wir Richter werden ohne jegliche Gefühle erschaffen, das ist der Grund warum wir überhaupt über Menschen wie Jungkook richten können. Ihre Worte ergeben keinen Sinn, ich habe kein Herz das schlägt, ich kann nicht in der Lage sein ein Gefühl wie die Liebe zu empfinden. 

Ich beschließe nicht näher darauf einzugehen, sondern mich wieder auf die Sache mit Jungkook zu konzentrieren, deswegen bin ich hier. "Wut, Schmerz, Verzweiflung, was auch immer es ist das er empfinden soll, es ist meine Aufgabe. Misch dich nicht mehr ein, bring ihn nicht noch einmal in Gefahr."

Sie mustert mich nach wie vor, unsere Blicke sind ineinander verankert als würden wir damit einen Kampf austragen wollen und erst nach einer gefühlten Ewigkeit, ist sie es, die sich zeuerst regt.

Langsam dreht sie sich um, öffnet die Schere wieder und führt sie an die Fäden, die Augen geschlossen und bereit sie jeden Moment zu zerschneiden. 

"Wenn der Mensch mit Gefahr konfrontiert wird, wenn wir ihn vor die Wahl stellen, was glaubst du passiert dann, Taehyung?", fragt sie vollkommen vertieft in die Bilder, die sie gerade von all den Menschen vor sich sehen muss bevor es passiert. 

Langsam und vorsichtig schließt sie die Schere und zerschneidet die Fäden alle im gleichen Moment ohne auch nur eine Miene zu verziehen. Erst dann dreht sie sich wieder zu mir, lässt den Arm mit der Schere sinken und sieht mich vollkommen ungerührt an. 

"Der Mensch hört auf Mensch zu sein und wird zum Tier."

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