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Taehyung Pov

Ich kann mich nicht daran erinnern, während meiner gesamten Existenz je ein vergleichbares Erlebnis gehabt zu haben. Meine Hände auf seinem Gesicht, meine Lippen auf seinen und seine Wärme fühlen sich so richtig an, dass ich nicht glauben kann, dass das hier falsch sein soll. All diese Gefühle, die ich eigentlich gar nicht empfinden dürfte, haben zu dem hier geführt und obwohl ich nach wie vor nicht verstehe, was mit mir passiert, glaube ich endlich verstehen zu können was die Menschen meinen, wenn sie vom verliebt sein sprechen.

Wir werden dazu ausgebildet die Gefühle der Menschen zu verstehen, das müssen wir, ansonsten können wir nicht über sie richten und wir glauben, das richtige zu tun, aber was gibt uns das Recht über Richtig und Falsch zu entscheiden wenn wir nicht einmal wissen wie sich Richtig oder Falsch anfühlen? Wir fühlen nicht ihren Schmerz, wissen nichts von ihrer Freude und ihrer Wut, wir wissen nicht was es heißt Menschlich zu sein. Alles was wir wissen ist wie man beobachtet und wie man anhand dessen, was man sieht eine Entscheidung trifft. Wir entscheiden lediglich anhand von Oberflächlichkeiten über das Schicksal eines Menschen und wir kennen keine falschen Entscheidungen, weil wir keine Reue kennen.

All diese Dinge, schwirren mir erst im Kopf herum seit ich Jungkook kennen gelernt habe. Ich weiß noch, wie ich geweint habe, ich weiß nicht mehr weshalb und ich weiß auch nicht warum, weil es eigentlich gar nicht möglich sein sollte, aber ich erinnere mich an das Gefühl der Beklemmung, etwas was sich anfühlte wie Leere und Hilflosigkeit. Ich erinnere mich an die Tränen, die sich anfühlten wie Regen auf der Haut, aber wärmer.

Langsam löse ich mich von Jungkook ohne ihn los zu lassen und sehe ihm in das Gesicht. Seine Augen bleiben eine Weile geschlossen und geben mir die Möglichkeit ihn ungestört zu beobachten und jedes noch so kleine Detail in mich aufzusaugen. Von seiner Nase, über die er ständig mit seinem Ringfinger fährt wenn er Nervös ist, über seine weder schmalen noch vollen Lippen, bis hin zu den Augen, die er kurz darauf aufschlägt und die Wimpern, die wie ein Rahmen fungieren. Selbst die kleine Narbe auf seiner Wange bleibt nicht unentdeckt, aber sie ist unwichtig, denn sie macht ihn nur noch schöner.

Er runzelt die Stirn und zieht die Augenbrauen besorgt zusammen als er mich ansieht. "Taehyung...", haucht er leise meinen Namen bevor er die Hand langsam hebt und mir sanft mit dem Daumen über die Wange streicht. Zu spät bemerke ich, was der Grund für seine plötzliche Sorge ist und selbst als ich es zu realisieren beginne, kann ich nichts anderes tun als ihn wie erstarrt anzusehen.

Es ist mehr als hundert Jahre her seit mir das das letzte mal passiert ist, ich wusste gar nicht mehr richtig wie sich der Moment davor anfühlt und obwohl meine Sicht verschwommen ist und es an den Stellen in meinem Gesicht kribbelt, an denen die Träne runter läuft, kann ich es nicht glauben. Das Gefühl von Hilflosigkeit und Beklemmung, das Gefühl nicht zu wissen wohin man gehört und was man tun soll ist so präsent wie noch nie und so intensiv, dass ich am liebsten laut los schreien würde.

Ich hebe eine meiner zitternden Hände an mein Gesicht und fahre direkt unter meinem Auge drüber, aber selbst nachdem ich die Tränen auf den Spitzen meiner Finger sehe, verstehe ich es nicht. Das, was damals passiert ist, wurde nie wieder thematisiert und irgendwann habe ich es selber vergessen. Irgendetwas hat dafür gesorgt, das ich angefangen habe zu weinen, obwohl das eigentlich gar nicht gehen sollte. Es ist fast so, als wäre Menschlichkeit eine Krankheit und ich hätte mich damit angesteckt, aber das kann nicht sein. Jemand, der keine Gefühle hat, sollte nicht so fühlen wie ich es tue.

"Bitte rede mit mir, Taehyung", sagt Jungkook leise und nimmt mein Gesicht in seine beiden Hände. Er dreht es zu sich und sorgt dafür das ich nirgendwo anders hin sehen kann als in seine Augen und spätestens da ist es für mich zu spät. Alles, woran ich bisher geglaubt habe, alles, was mich als Richter aus macht, ist vergessen. Für mich zählt nur noch er und nichts anderes auf dieser Welt.

Ich schüttle den Kopf um all die schrecklichen Gedanken los zu werden, die mit dem Kuss gekommen sind. Für Menschen ist es meist etwas schönes, warum also fühlt es sich so an als hätte ich gerade etwas kennen gelernt, was mir jeden Moment entrissen werden könnte? "Ich habe Angst", sage ich mit zitternder Stimme und lege meine Hand auf seine. "Ich habe solche Angst dich zu verlieren, Jungkook."

Es ist das erste mal, seit all das begonnen habe, das ich es mir eingestehe und es ist das erste mal, dass ich mir auch tatsächlich sicher bin. Es gibt keine Beschreibung für das Gefühl von Angst, es gibt keine Definition, weil jeder die Angst anders empfindet. Aber wenn ich es beschrieben müsste, wenn ich diesem schrecklichen Gefühl ein Bild verleihen müsste, dann würde ich es mit einem schwarzen Loch vergleichen, bei dem man das Gefühl hat nie wieder heraus kommen zu können.

Die Verwirrung weicht aus seinem Gesicht, auch wenn sie nicht vollkommen verschwindet und er sieht mich an wie mich noch nie jemand angesehen hat. Wenn es sich eben noch anfühlte wie ein schwarzes Loch, in das man immer tiefer fällt, dann fühlt es sich jetzt, wo ich den Blick und das Glänzen in seinen Augen bemerke, an als wäre ein Licht aufgetaucht, ein Funken, der mit jedem Zentimeter, die seine Mundwinkel nach oben wandern, heller wird.

Er schüttelt den Kopf und sieht mich gespielt fassungslos an. "Ich habe dich doch gerade erst in die Finger bekommen." Vorsichtig, als wäre ich zerbrechlich, fährt er erneut mit seinen Daumen meine Wangen entlang und streicht mir das Haar aus dem Gesicht bevor er mir wieder in die Augen sieht und seine Hand in meine legt. "Ich denke gar nicht daran wieder zu gehen."

Afterlife |Vkook|Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt