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Taehyung Pov

Mit großen Augen betrachtet er den Pfannkuchenstand, der nur einige Meter von uns entfernt inmitten der vielen anderen Stände steht. Die Atmosphäre hier in der Stadt ist weihnachtlich, man fühlt sich trotz der eisigen kälte wohl, was zum Teil auch an den warmen Lichtern und der hellen Stimmung hier liegen könnte. Es ist nicht mein erstes mal auf solch einem Fest, die Menschen scheinen zu dieser Zeit des Jahres häufig und gerne her zu kommen, aber es ist das erste mal, dass ich mich selber so geborgen fühle und nicht nur wie ein stiller Beobachter, der ich ja eigentlich auch bin, an der Seite stehe.

Ich mische mich nicht häufig in das Leben der Menschen ein, deren Namen ich im Umschlag bekomme, meistens ist es besser zu beobachten wenn man nicht bemerkt wird, denn Menschen lüften Geheimnisse und ihr wahres Ich meistens dann, wenn sie alleine sind. Andere Menschen beeinflussen sie viel zu sehr, machen sie zu etwas, was sie vielleicht nicht sind. Nur die wenigsten gestatten ihnen so zu sein, wie sie wirklich sind. Jungkook allerdings ist anders.

Mal abgesehen von der offensichtlichsten Tatsache, die ihn von den anderen meiner bisherigen Fälle unterscheidet, nämlich der, das dieses mal nur ein Name statt zweien im Umschlag war, hat er auch nicht viele Menschen, die ihn beeinflussen können. Der einzige Freund, den er hat, ist gleichzeitig sein Bruder, Seokjin und bei dem scheint er sich auch so zu benehmen wie bei mir. Ich bin bereits mehrere Male in sein Auto gestiegen, wenn er damit durch die Gegend gefahren ist, ohne das er es bemerkt. Das ist der Vorteil daran, sich unsichtbar zu machen und der Grund warum wir das überhaupt können, nämlich das Stille beobachten. Aber Jungkook zeigt nie eine andere Seite von sich, als die, die ich bereits kenne.

Ich habe eine lange Zeit überlegt, ob er wirklich der erste Mensch sein könnte, der keine dunkle Seite hat, aber das kann nicht sein. Die Götter definieren das gute in einem Menschen viel zu Oberflächlich. Gutmütigkeit, Großzügigkeit, Freundlichkeit, Mut und Selbstlosigkeit, das alles sind einige der Dinge, die einen Menschen in ihren Augen Gut machen, Kriterien die ihm eine Wiedergeburt ermöglichen können, aber in meinen Augen ist das mehr als Falsch. Gefühle wie Angst, Hass, Gier, sie sind ein Teil der Menschen, das, was sie überhaupt erst Menschlich macht und die Angst habe ich bei Jungkook bereits kennen gelernt. Es hat mich wieder erkennen lassen, wie unterschiedlich wird sind. Er, der Mensch, dessen Schicksal es ist zu sterben und ich, der Richter, der über seine Menschlichkeit richten soll.

"Taehyung", sagt Jungkook meinen Namen und dreht sich mit einem breiten lächeln und glänzenden Augen, die heller leuchten als die Lichter hier, zu mir um. "Marmelade, Nutella oder Puderzucker?" Seine Stirn ist gerunzelt und trotz der Freude, die er offenbar verspürt, ist da eine gewisse Ernsthaftigkeit in seinem Gesicht.

Verwirrt ziehe ich die Augenbrauen zusammen und erwidere seinen Blick. "Ich verstehe nicht ganz, worauf du hinaus willst."

"Marmelade, Nutella oder Puderzucker?", fragt er erneut, aber dieses mal langsamer, als würde ich so besser begreifen worauf er hinaus will. Anscheinend möchte er, dass ich eine Entscheidung treffe ohne überhaupt zu wissen wofür und auch wenn ich nach wie vor mehr als nur verwirrt bin, beschließe ich sein Spiel zu spielen.

Ich senke den Blick und fange an ernsthafter als es eigentlich nötig wäre darüber nachzudenken. Normalerweise würde ich sofort Puderzucker nehmen, damit würde ich auf einem sicheren Weg gehen, immerhin weiß ich nicht worauf genau er sich bezieht, aber im Moment klingt etwas, das Schokolade beinhaltet, deutlich besser.

"Nutella", sage ich selbstsicher und erwidere sein Lächeln, das sich auf seinem Gesicht ausbreitet.

"Weise Entscheidung. Warte hier, ich bin sofort wieder da." Ohne auf eine Erwiderung irgendeiner Art zu warten geht er direkt auf den Pfannkuchenstand zu, den er die ganze Zeit mit großen Augen angestarrt hat und lässt mich alleine inmitten der ganzen Menschen zurück.

Pfannkuchen, dafür wollte er also wissen was von den dreien ich bevorzuge und tatsächlich bin ich auch froh über meine Entscheidung. Marmelade mag ich ohnehin nicht, Puderzucker wäre zwar auch nicht so schlimm gewesen, aber nichts geht über Pfannkuchen mit Schokolade oder Ahornsirup, zwei der besten Dinge, die die Menschheit zu bieten hat.

Ich verschränke die Arme vor der Brust und versuche ihn trotz der Menschenmenge im Blick zu behalten. Natürlich ist es nicht meine Aufgabe ihn in jeder noch so kleinen Situation seines Lebens zu beobachten, aber gerade tue ich das auch nicht, weil es meine Aufgabe ist, sondern weil ich es will. Es fühlt sich komisch an es so auszudrücken, aber so ist es nun mal. Jungkook hat mich von sich aus eingeladen, im Gegensatz zu anderen Gelegenheiten, in denen wir uns gesehen haben, wurde das hier nicht von mir inszeniert und das macht mich nur umso glücklicher.

Er steckt seine Geldbörse zurück in seine Hosentasche, nimmt die beiden Pappteller mit den Pfannkuchen drauf entgegen und kommt mit einem noch breiteren Grinsen als zuvor auf mich zu. Ich habe selten jemanden gesehen, der sich so sehr über Pfannkuchen freut wie er es so offensichtlich tut und ich komme nicht umhin zu bemerken, wie süß es ist. Die Hände in den Hosentaschen vergraben starre ich ihn an, nicht imstande meinen Blick von diesem Körper und diesem Gesicht abzuwenden und so bemerke ich auch nicht, wie das Licht zu meiner linken Seite heller wird.

Es fühlt sich an als wäre ich in meiner eigenen Welt, das grelle weiße Licht stört mich nicht, ich bemerke es ja nicht einmal und als die ganzen Menschen um mich herum schreiend ausweichen und damit meine Aufmerksamkeit auf das Geschehen ziehen, ist es bereits zu spät.

Das Lächeln vergeht mir als ich kurz zur Seite blicke um zu sehen was der Grund für den plötzlichen Tumult ist. Verkäufer, die plötzlich ihre Stände verlassen und so weit weg wie nur möglich rennen, Menschen, die ihre Liebsten an den Händen packen und ebenfalls das weite suchen und die Frau, die an mir vorbei rennt und mir laut zu ruft: "Lauf!"

Ich bewege mich keinen Zentimeter, stattdessen sehe ich rüber zu Jungkook, der auch erst gerade eben verstanden zu haben scheint was vor sich geht. Im gleichen Moment wie ich dreht er den Kopf zur Seite, seine Haare fallen in sein Gesicht, die Hände fangen an zu zittern, aber er rührt sich kein Stück. Wie erstarrt steht er da und starrt direkt in die grellen Scheinwerfer des Autos, das direkt auf ihn zugerast kommt.

Mein Körper braucht eine Weile bis er sich bewegt nachdem mein Gehirn verstanden hat was hier in wenigen Sekunden passieren wird, aber als ich den ersten Schritt nach vorne mache, ist es bereits zu spät. Die Sicht vor mir verschwimmt, ich sehe nicht genau was passiert, aber ich höre es, das quietschen der Reifen und das Geräusch des Autos, als es mit etwas zusammen knallt und zum stehen kommt.

Afterlife |Vkook|Όπου ζουν οι ιστορίες. Ανακάλυψε τώρα