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Jungkook Pov

Es dauert eine ganze Weile bis ich den Mut finde die Augen zu öffnen. Die Arme habe ich immer noch über dem Kopf verschränkt, mein Hintern tut vom Aufprall weh und die Angst sitzt mir so tief in den Knochen, dass mein ganzer Körper sich anfühlt als hätte man ihn an einen Anker befestigt und inmitten des Ozeans abgeworfen. Ich sehe nur den Boden vor mir, die grauen Steine und einen der Pfannkuchen, der dort liegt seit ich ihn losgelassen habe. Die Lichter um mich herum nehme ich gar nicht richtig wahr, zumindest nicht in den ersten paar Sekunden, bis mir langsam klar wird, dass ich mich viel zu lebendig fühle um tot zu sein.

Die Stimmen von allen möglichen Seiten strömen auf mich ein, die Lichter fangen an mich trotz Abschirmung meiner Arme zu blenden und trotz der Angst schaffe ich es langsam die Arme runter zu nehmen und mich umzusehen, soweit wie es mir durch die immer dichter werdende Menschenmenge nun mal erlaubt ist.

Das erste, was ich sehe und das, weswegen ich überhaupt hier auf dem Boden hocke, ist das Auto links von mir. Ich habe noch ganz genau das Bild vor mir, von den Scheinwerfern, die viel zu hell waren um zu erkennen wer hinter dem Steuer saß und die mit verantwortlich für die Zweitweise Lähmung waren. Ich bin noch hier, mir ist scheinbar nichts passiert, aber statt mich zu freuen sehe ich nach wie vor das Auto, das auf mich zu rast und von dem ich einen Moment geglaubt habe, dass es das letzte ist, was ich in dieser Welt sehen werde.

Ich balle meine zitternden Hände zu Fäusten und sehe von den Bremsspuren auf dem Boden, die deutlich zeigen wie knapp mich das Auto verfehlt hat, hinauf zu der Gruppe von Menschen, die die scheinbar Bewusstlose Fahrerin aus dem Auto ziehen. Ich möchte mich bewegen, versuche mit aller Mühe irgendetwas anderes zu tun als nur nutzlos hier herum zu sitzen, aber ich fühle mich verloren inmitten der ganzen Blicke, genau wie damals im Innenhof nach dem Einbruch. Es fühlt sich an, als würde jemand mit mir spielen, ein Spiel, über das ich keine Kontrolle habe und kurz habe ich das Gefühl wahnsinnig zu werden, aber ich werde durch eine Berührung an meiner Hand vom Rand des Wahnsinns zurück in die Normalität gezerrt.

"Jungkook", haucht er leise meinen Namen, drückt meine Hand und umklammert mit der anderen mein Kinn. Er dreht es in alle möglichen Richtungen, betrachtet jede Kleinigkeit und sucht scheinbar nach irgendwelchen Verletzungen die ich abbekommen haben könnte, aber da ist nichts. Alles was schmerzt ist mein Hintern, auf den ich gefallen bin als ich versucht habe nach hinten auszuweichen.

"Tae", sage ich und versuche meine Hand aus seiner zu nehmen, aber er umklammert sie so fest, dass es schmerzt und seine Knöchel unter der plötzlich blassen Haut sichtbar werden. Sein Kopf ist gesenkt, sodass seine Haare ihm ins Gesicht fallen und ich den Ausdruck darin nicht sehen kann. Die Menschen um uns herum fangen an lauter zu murmeln, aber Taehyung lässt sich davon nicht beeindrucken. Stattdessen zerrt er mich auf die Beine und drängt die Menge zur Seite um sich einen Weg durch zu bahnen.

"Taehyung", sage ich seinen Namen und versuche ihn dazu zu bringen meine Hand loszulassen. Seine Schritte sind zu schnell für mich, sodass ich Mühe habe mit seinem Tempo mitzuhalten, aber er hört mich nicht und er reagiert auch nicht auf meine Versuche mich von ihm los zu reißen.

Ich habe mir öfter vorgestellt wie es wäre seine Hand zu halten, ich denke das hat jeder, der ihn einmal gesehen hat, aber das hier ist was anderes. Der Taehyung, der mich gerade hinter sich her zieht, ist nicht der Taehyung, den ich Normalerweise vor mir habe. Er scheint wütend zu sein, unglaublich wütend und auch wenn ich nicht weiß auf wen und warum, habe ich Respekt vor dieser Wut. Sie macht mir keine Angst, ich glaube zu wissen was für eine Art Mensch Taehyung ist und das er diese Wut niemals körperlich an mir auslassen würde, aber da ist dennoch der Respekt vor dieser Wut und das verlangen diese zu lindern.

Mit meinem ganzen Gewicht stemme ich mich gegen ihn, aber er hat viel zu viel Kraft und schafft es auch ohne große Mühe mich einfach weiter hinter sich herzuziehen. Mittlerweile ist meine Hand bereits Taub geworden, einerseits wegen der Kälte, andererseits wegen des Drucks seiner Hand um mein Gelenk, sodass ich es erneut damit versuche ihn zu rufen.

"Taehyung." Dieses Mal sage ich seinen Namen lauter, bestimmter und nicht mehr so flehend und tatsächlich reagiert er dieses mal im Gegensatz zu den anderen malen darauf. Mitten auf dem Zebrastreifen auf einer leeren Straße bleibt er stehen und lässt meine Hand los. Schlaff fällt sie neben meinen Körper und obwohl sie wegen der Kälte nicht einmal mehr spürbar ist, ist sie Nebensache. Ich starre seinen Hinterkopf an, in der Hoffnung, er dreht sich gleich zu mir um und sagt etwas, egal was. Alles was ich gerade möchte ist seine Stimme zu hören, selbst wenn es nur mein Name ist, den er sagt, aber stattdessen macht er einen Schritt nach vorne.

Ich bleibe mitten auf der Straße stehen, selbst als er sich bereits einige Schritte von mir entfernt hat und kann nichts anderes tun als seinen Rücken anzustarren während er sich immer weiter entfernt. Erneut spüre ich wie mein Körper sich weigert sich zu bewegen, aber noch deutlicher ist der Schmerz, der sich außer in meinem Hintern jetzt auch in meiner Brust ausbreitet.

Plötzlich bleibt er stehen und dreht sich zu mir um, die Augen groß vor Schreck, den Mund ungläubig geöffnet als er mich ansieht, oder besser gesagt das, was sich auf meiner Schulter befindet. Ich habe es in genau dem Moment gespürt, als er sich zu mir gedreht hat, aber ich betrachte eine Weile nur sein Gesicht bevor ich den Kopf zur Seite drehe und fasziniert das betrachte, was da ganz friedlich auf meiner Schulter hockt.

Es ist wunderschön, so unwirklich, dass ich kurz glaube ich bilde es mir nur ein, aber Taehyung scheint es ja auch zu sehen und trotz seiner Schönheit verursacht das Tier bei mir ein mulmiges Gefühl, das ich erst los werde, als es von meiner Schulter wieder weg fliegt. Ich starre in den Himmel und beobachte wie die Schwarzen Flügel langsam mit dem dunklen der Nacht verschwimmen. Das war das erste mal, das ich einen Schmetterling in dieser Farbe gesehen habe.

Einen schwarzen Schmetterling, so dunkel wie die Nacht.

Afterlife |Vkook|Where stories live. Discover now