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Taehyung Pov

Es sind noch vier Stunden bevor die Bar öffnet, aber ich habe es nicht mehr ausgehalten. Die Wohnung, in der ich lebe, ist viel zu groß für eine Person alleine. Sie wird zwar für mich bezahlt, aber wenn es nach mir geht, würde eine kleinere auch vollkommen ausreichen. In dieser fühle ich mich so alleine, noch viel mehr als ich es ohnehin tue. Wenn ich fertig bin mit der Abreit heute, werde ich zum obersten Richter gehen und ihn fragen, ob ich eine andere Wohnung in der Menschenwelt bekommen kann, eine die nur ein Zimmer hat statt fünf. 

Bis dahin heißt es allerdings wieder einen Tag gefüllt mit Menschen, viel zu vielen von ihnen mit ihren verwirrenden Gefühlen, ihrer verwirrenden Art und ihrem häufig mehr als nur nervigen Verhalten. Ich dachte früher, kurz nachdem ich angefangen habe als Richter zu arbeiten, dass es nur Frauen wären, die einem auf die nerven gehen, aber sie sind noch harmlos im Vergleich zu Männern. 

Irgendwann habe ich gelernt, dass es nicht am Geschlecht liegt, es liegt am Charakter und wahrscheinlich auch daran, dass Menschen nichts für ihre Gefühle können. Sie konnten sich nicht aussuchen ob sie damit geboren werden, genau so wie wir nicht die Wahl hatten darauf zu verzichten, sie wurden uns einfach nicht gegeben. 

Ich habe häufig darüber nachgedacht, wie es wohl wäre etwas fühlen zu können. All diese Gefühle, die einen Menschen menschlich machen, Schmerz, Angst, Wut, Liebe, Hass, wie wäre es wohl so viele Gefühle empfinden zu können? All die Gedanken, die sich die Wesen deswegen machen, all die Zeit, die sie mit grübeln verbringen und all die Tränen, die sie deswegen vergießen. Ich habe mich bereits so oft gefragt wie es sich anfühlt zu weinen. 

Ich lege den Lappen beiseite, mit dem ich gerade den Tresen gewischt habe und sehe meine Hand an. Sie sieht aus wie die eines jeden anderen Menschen, sie besteht aus Fleisch, Haut und Knochen und sie ist sogar in der Lage Wärme abzugeben, aber es gibt dennoch eine Sache, die sie nicht kann. 

Langsam hebe ich sie an und lege sie auf meine Brust. Ich schließe die Augen und konzentriere mich in der winzig kleinen Hoffnung etwas zu spüren, aber eben hier liegt der Unterschied. Es ist die Hand eines Menschen, aber in meiner Brust schlägt kein Herz. Ich sehe vielleicht aus wie sie, ich rede wie sie und in bestimmter Weise verhalte ich mich auch wie sie, aber ich werde sie niemals verstehen können, weil ich nicht das fühle, was sie fühlen. 

Die Bar kann eigentlich warten, ich weiß nicht einmal warum ich jetzt schon anfange alles vorzubereiten, es gibt mir viel zu viel Zeit über solch sinnlose Sachen wie Gefühle und die Existenz eines Menschen nachzudenken. Ich schmeiße den Lappen in das Spülbecken, nehme mir die Zigaretten aus meiner Jackentasche und krame das Feuerzeug heraus bevor ich nach draußen trete. 

Vor zwei Tagen als ich Atropos einen Besuch abgestattet habe und gesehen habe, wie sie mit vollkommener Ruhe diese Fäden durch geschnitten hat, ist mir ebenfalls ein Gedanke durch den Kopf gegangen. Sie macht diesen Job bereits viel länger als ich, sie ist auch älter. Die Menschen sind die jüngsten Wesen unter uns, sie sind unwissend und vielleicht fällt es ihr so leicht, weil sie noch nicht so viel Zeit mit ihnen verbracht hat, aber wieso tut es dann bei mir jedes mal weh?

Wir sollten richten können ohne uns von den Menschen beeinflussen zu lassen, aber jedes Mal wenn ich einen Menschen ins Nichts schicken muss, verspüre ich tiefes bedauern. Es gibt welche, die haben es verdient, für sie gibt es nichts gerechteres als das Nichts, aber es gibt auch Menschen, die haben besseres verdient. 

Es ist keine Seltenheit, das wir zwischen zwei Menschen entscheiden müssen und ihnen am liebsten beiden ein neues Leben ermöglichen würden. Die beiden Menschen, deren Namen wir bekommen, sind meistens zum selben Zeitpunkt auf eine ähnliche Weise gestorben, so werden sie ausgewählt. Es wird nicht mit Absicht ein guter Mensch genommen und ein schlechter, denn das würde unseren Job nur zu einem machen in dem geraten wird wer von beiden welcher ist. 

Manchmal sind beide gute Menschen, aber man verlangt eine Entscheidung von uns. Wir müssen sie testen, ihnen Schmerzen zufügen und sie an den Rand der Geduld bringen um zu sehen, wie sie in Extremsituationen reagieren, ob sie Menschlich bleiben oder sich in Tiere verwandeln. Wir müssen mit ihnen genau das machen, was Atropos auch bei Jungkook mit dem Einbruch machen wollte und normalerweise tue ich es auch, aber hier ist es anders.

Ich habe nur einen Namen, ich darf frei über ihn entscheiden, warum also tut sie das? Vorgestern hatte ich die Möglichkeit sie so vieles zu fragen, unter anderem auch warum ich überhaupt erst nur einen Namen bekommen habe, aber ich weiß, dass sie es mir nicht gesagt hätte, auch wenn sie es weiß. Sie hätte gesagt, dass es meine Aufgabe ist eine Entscheidung zu treffen, egal in was für einer Situation ich mich befinde. 

Alleine der Gedanke an diese Frau nervt mich so sehr, dass ich mir eine zweite Zigarette aus der Schachtel nehme, aber gerade als ich das Feuerzeug aus meiner Hosentasche kramen möchte um sie anzuzünden, sehe ich etwas, was für mich viel interessanter und wichtiger ist als diese Zigarette. Ich stecke sie zurück in die Schachtel und gehe auf das Auto zu, das nur wenige Meter entfernt ist und auf dessen Fahrersitz sich gerade jemand bewegt hat, den ich glaube nur all zu gut zu kennen.

Ich versuche nicht zu auffällig hinzugehen, für den Fall das er es doch nicht ist, aber als ich einen kurzen Blick durch die Fensterscheibe werfe, erkenne ich tatsächlich Jungkook der die Lehne des Fahrersitzes nach hinten geklappt hat und seine Jacke als Decke benutzt während er dort schläft. 

Verwirrt starre ich ihn an und klopfe an die Fensterscheibe. Er zuckt erschrocken zusammen, wirft sogar die Jacke von sich und sieht sich mit zerzausten Haaren und einem perplexen Ausdruck im Gesicht um, bis er mich erkennt, der vor seinem Fenster steht und sich herunter gebeugt hat um ihn ansehen zu können. 

Ich muss lächeln, weil der Anblick eines verschlafenen Jungkooks mehr als nur putzig wirkt. Er fährt sich sogar kurz über die Haare und versucht sie mit seinen Fingern zu kämmen als er realisiert in was für einer Situation er sich befindet. Ich trete nach hinten damit er die Tür aufmachen kann und streiche ihm eine widerspenstige Strähne glatt, die nach oben absteht. 

"Was tust du hier?", frage ich und kann nicht aufhören zu lächeln. Er wirkt immer noch vollkommen neben der Spur, kein Wunder wenn man bedenkt das er gerade erst aufgewacht ist. Er muss nach wie vor Müde sein, so sieht er zumindest aus, aber er kratzt sich lediglich am Hinterkopf und versucht so zu tun als sei alles in Ordnung.

"Ich wollte eigentlich mit dem Auto in die Stadt, ich muss wohl eingeschlafen sein." Er zuckt mit den Schultern als wüsste er selber nicht wie das passiert sein konnte und ich nicke obwohl ich ihm das nicht abkaufe, aus vielen Gründen. 

Zu aller erst ist da die Tatsache, dass er dieses Auto nie benutzt um in die Stadt zu fahren. Alles was er damit tut ist in der Gegend herum zu fahren wenn er nachdenken muss, das habe ich bereits heraus gefunden. Außerdem wäre seine Rückenlehne nicht zurück geklappt wenn er einfach eingeschlafen wäre und er hätte sich nicht die Mühe gemacht auch noch seine Jacke auszuziehen. 

"Wie auch immer, es war schön dich zu sehen, aber ich muss zurück zur Arbeit." Er macht die Autotür wieder auf und schnappt sich die schwarze Tüte, die ich auch schon an dem Tag des Einbruchs bei ihm gesehen habe. Ich weiß zwar nicht was sich da drin befindet, aber wieso schleppt er es bereits seit Tagen mit sich herum? 

Er winkt mir zu während er geht und ich rufe ihm noch ein schnelles "Bis dann" hinterher bevor er die Treppen nach oben rennt, in seiner Kanzlei verschwindet und mich verwirrt zurück lässt. 

Afterlife |Vkook|Where stories live. Discover now