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Taehyung Pov
Korea, 30. August 2003

Es fühlt sich an, als wäre es erst einen Tag her als ich aufgeweckt und Jimin zugeteilt wurde. Die Götter verschwenden keine Zeit, in jeder Sekunde jeden Tages sterben Menschen und für jeden von ihnen muss es jemanden von uns geben, der über sie richtet. Atropos weiß zwar nicht wie viel Zeit den Menschen genau bleibt, aber sie erkennt an den Fäden wenn der Tod naht und genau dann werden wir eingesetzt.

Das Leben eines Menschen ist ohnehin nicht lang, es ist für unsere Verhältnisse so kurz, dass es beinahe lächerlich ist und doch sind sie für die Götter so wichtig, dass sie ihnen ihre ganze Existenz widmen. Der heutige Tag zeichnet das siebzehnte Jahr aus, das seit dem Beginn meiner Existenz vergangen ist. Für Menschen ist das bereits eine lange Zeit, in ihren 17 Jahren passiert viel, aber für mich war jeder Tag, seit ich die Augen aufschlug und Jimin sah, der gleiche.

Eigentlich arbeiten Richter für sich alleine, vom Beginn ihrer Existenz an bis zu ihrem Ende, weil sie bereits von Anfang an wissen was sie zu tun haben. Ich bin der erste und einzige Richter, der einen anderen, erfahrenen zur Seite gestellt bekommen hat. Jimin ist so etwas wie mein Mentor, er erklärt mir wie Menschliche Gefühle funktionieren, was ihre Motive hinter bestimmten Taten sein könnten und er macht mir jedes Mal aufs neue klar wie viel Gewicht unser Urteil hat und wie viel Verantwortung darin steckt, denn eine Seele, die ein mal ins Nichts geworfen wurde, kann niemals wieder zurück kehren.

Richter kriegen stets zwei Menschen zugeteilt, die sie bis zu ihrem Tod beobachten müssen. Erst nachdem dieser Eintritt wird unser Urteil gefällt, eine Seele bekommt die Chance wiedergeboren zu werden, die andere schwirrt für die Ewigkeit im Nichts umher.

Das hier ist das 104. Menschenpaar über das wir richten, ein Mann und sein Sohn, die wir knapp über zwei Monate beobachtet haben. Der Mann selber hat gerade sein vierzigstes Lebensjahr erreicht, das Kind wäre morgen sechs Jahre Alt geworden.

Ich habe nie verstanden, warum Kinder sterben müssen, warum die Götter, die mächtigsten Wesen im Universum, solche Grausamkeiten zulassen und dann glauben über so etwas wie Menschlichkeit sprechen zu müssen. Diese Frage habe ich auch Jimin ein mal gestellt, aber er sagte lediglich das die Dinge so laufen, das wir wie Schwerter sind, die von den Göttern geschwungen werden und Schwerter hinterfragen nun mal nicht.

„Was ist mit ihnen passiert?", frage ich und sehe Jimin an, der mit dem Rücken zu mir steht und ohne eine Miene zu verziehen direkt in die Sonne starrt.

Mich und Jimin trennen hunderte von Jahren, doch trotz dieses Altersunterschiedes und seiner höheren Position als mein Mentor ist er mehr wie ein Freund für mich. Ich weiß, dass Richter keine Gefühle haben und dementsprechend auch eigentlich keine Beziehungen aufbauen können, aber wir sind komischerweise nicht die einzigen unserer Art, zwischen denen sich eine Beziehung entwickelt hat. Die Götter gaben uns zwar keine Gefühle, dementsprechend sollten wir auch keine Liebe empfinden können, aber sie gaben uns Pflichtbewusstsein und Loyalität, welche auch in Freundschaft münden können.

Jimin antwortet nicht sofort auf meine Frage, er blickt weiterhin ohne auch nur ein einziges Mal zu Zwinkern oder eine Träne zu vergießen in das Licht der Sonne hoch am Himmel und ballt die Hand, in der er die Sterne aufbewahrt, zu einer Faust.

Jeder Mensch hat seit dem Zeitpunkt seiner Geburt einen Stern hoch am Himmel stehen, ein Stern, der erst vom Himmel fällt, wenn das Leben endet. Die beiden Sterne in Jimins Händen gehören zu den beiden toten, über die wir heute richten müssen, zu dem Vater und seinem Sohn, darin befinden sich ihre Seelen. Einer von ihnen wird zurück in den Himmel kehren und explodieren, damit die Seele frei gesetzt wird, wenn der Zeitpunkt der Wiedergeburt gekommen ist. Der andere Stern wird vernichtet und die Seele wird in die tiefste Ebene geworfen, die es im Universum gibt, ins Nichts.

Afterlife |Vkook|Where stories live. Discover now