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Taehyung Pov

Ich reiße die Augen auf und fasse mir automatisch ans Gesicht als ich aus dem Schlaf erwache. Meine Augen fühlen sich schwer an, mein ganzer Körper Taub als ich mich aufsetze und in das helle Licht blinzele, das durch das große Fenster in das Zimmer scheint.

Verwirrt sehe ich mich im Raum auf der Suche nach etwas aus der eben noch da gewesenen Szene um, dem rauschen des Wassers oder Jimin, aber alles was dem auch nur ein Stück nah kommt ist die Wärme der Sonne, die ich auf meiner Haut spüre.

Es sollte eigentlich gar nicht möglich sein, Schlaf ist etwas, was ein Richter nicht benötigt, ganz im Gegenteil, es behindert seine Mission. Wenn ich bisher geschlafen habe, dann waren es lediglich Minuten, höchstens einige wenige Stunden, aber ich kann mich noch genau daran erinnern, dass die Sonne gerade erst unter gegangen ist als Jungkook und ich uns hingelegt haben. Es waren also nicht nur einige wenige Stunden, es war eine ganze Weile.

Aber das ist nicht das, was mich am meisten mit nimmt, es gibt etwas, was ich noch viel weniger verstehe. Langsam hebe ich die Hand als ich das Gefühl in meinen Armen wieder bekomme und setzte mich jetzt ganz auf. Vorsichtig, als könnte ich etwas in meinem Gesicht verschrecken, streiche ich damit meine Wange entlang bis zum Bereich unter meinen Augen, aber ganz gleich wie verzweifelt ich nach dem suche, was ich eben in den Bildern gesehen habe, es ist nicht da.

Obwohl ich weiß, wie verrückt es ist nach etwas zu suchen, was eigentlich gar nicht möglich sein sollte, kann ich es nicht sein lassen.

Ich erinnere mich an Jimin, ich erinnere mich daran das er mich ausgebildet hat und wie wichtig es ihm war mir zu zeigen, was Menschlichkeit ist und wie ich anhand dieses Kriteriums richte, aber diese Szenen gerade sind mir vollkommen Fremd, wie ein Film, der mit jemandem gedreht wurde, der mir viel zu ähnlich sieht.

„Taehyung?", murmelt Jungkook leise hinter mir und fängt an sich zu bewegen. Mein Herz setzt bei dem Klang seiner Stimme einen Schlag aus und obwohl mein ganzer Körper danach verlangt sich umzudrehen und ihn aus irgendeinem Grund in den Arm zu nehmen, bleibe ich starr sitzen und starre gerade aus in die Grelle Sonne. „Hattest du einen Albtraum?"

Albtraum, eine Art von Traum bei der Menschen Angst verspüren. War das, was ich da gesehen habe etwa einer der solchen? Es wäre eine logische Erklärung dafür, warum ich mich bisher nicht daran erinnern konnte, Träume sind meist ohne jegliche Zusammenhänge, der Realität Fremd, aber irgendetwas sagt mir, dass das kein Traum war.

„Ich weiß nicht, was mit mir passiert, Jungkook." Die Bilder, die nach dem aufwachen verschwunden sind, tauchen vor meinem inneren Auge wieder auf und werden deutlicher. Ich sehe wieder Jimin vor mir, die Sonne, höre das Rauschen von Wasser und sehe kurz darauf sogar den Grund für unsere Anwesenheit an diesem Ort.

Ich erinnere mich plötzlich wieder daran wie mein Herz lauter wurde je näher wir den Menschen kamen, über die wir richten sollten und wie schockiert wir waren, als wir letztendlich tatsächlich ankamen.

„Ist alles in Ordnung?", fragt er während er sich direkt hinter mir aufsetzt und seine Hand auf meinen Rücken legt. Für einen kurzen Moment finde ich einen Weg zurück in die Realität, raus aus dem Wirrwarr in meinem Kopf, aber es dauert nicht lange, bis die Bilder zurück kehren.

Am liebsten würde ich den Kopf schütteln, ihm sagen das etwas nicht stimmt, dass es das seit einer ganzen Weile nicht tut. Ich habe noch nie so sehr mit mir kämpfen müssen wie ich es gerade tue, ich hatte nie das Gefühl die Menschen zu belügen, bis jetzt. Ich fühle mich, als würde dieses Geheimnis, aus dem ich geschaffen wurde, mich von innen heraus auffressen.

Ich weiß, dass ich nichts anderes tun kann als zu nicken, obwohl ich lieber Nein sagen würde und ich weiß, dass ich Jungkook nichts anderes liefern kann als die Lüge, weil es alles ist, was ich kenne. Wie soll ich jemandem die Wahrheit sagen, wenn ich sie selber nicht kenne?

"Es war ein Albtraum", sage ich und schließe die Augen als sich Tränen nach dem viel zu langen starren in das helle Licht der Sonne bilden.

Ich weiß noch, wie Jimin das ständig getan hat. Viele Menschen sind fasziniert von dem Mond, schenkt er ihnen bei Nacht doch Licht, aber die Sonne, so habe ich das wahrgenommen, bekommt kaum etwas von dieser Faszination ab. Jimin hingegen beobachtete sie jeden Moment, jede Sekunde, die er konnte, weil er sie für den Anfang von allem hielt und für das Ende.

Ohne die Sonne konnten die Menschen nicht leben, sie würden sterben, aus vielen verschiedenen Gründen, aber irgendwann würde die Sonne ihr Tod sein, wenn sie ihr nicht zuvor kommen. Sie ist nur ein Stern und Sterne teilen das Schicksal der Menschen, sie verenden.

Ich erinnere mich daran, wie wir nach dem richten von Menschen jedes Mal nur da saßen und die Sonne anstarrten ohne auch nur zu zwinkern, denn das müssen wir nicht, es ist nur ein weiterer Mechanismus, der unwichtig für einen Richter ist und es zeigt mir, wie sehr ich mich doch verändert habe, wo ich jetzt nicht einmal mehr wenige Minuten das Licht ertragen kann.

Es war keine Lüge, dass es sich bei den Bildern, die ich während des Schlafes gesehen habe, um eine Art Albtraum handelte, es war eine schreckliche Erinnerung und dennoch fühle ich mich gerade wie das schrecklichste Wesen auf Erden.

Nicht etwa, weil ich Jungkook verheimliche, wer und was ich bin.

Nicht, weil ich dabei bin mich trotz allem in ihn zu verlieben.

Ich fühle mich miserabel, weil ich plötzlich verstehe, was diese Bilder zu bedeuten haben und warum nur ein Name in diesem Umschlag stand.

Afterlife |Vkook|Where stories live. Discover now