Teil 2

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Mary Henk

Der Schultag ging schneller vorbei als erwartet. Trotzdem war ich ziemlich erleichtert, als ich das Schulgebäude endlich verlassen konnte und zur Bushaltestelle trottete. Amy begleitete mich, auch wenn sie eigentlich immer von ihrem Vater abgeholt wurde. Diesmal hatte er sie versetzen müssen.

"Joana hat auf jeden Fall ihr nächstes Opfer gefunden.", murmelte Amy augenrollend, als wir uns zum Warten auf eine kleine Bank setzten. Ich lächelte müde. "Ich bin gespannt wie lange sie an ihm kleben wird.", entgegnete ich. Joana hatte sich in den letzten drei Jahren mindestens an fünf Lehrer rangemacht, ohne Erfolg natürlich. Und trotzdem schien sie einfach nicht damit aufgeben zu wollen. Am schlimmsten war, dass sie mit ihrer Leidenschaft schon etliche Mädchen unserer Schule angesteckt hatte. Dabei merkten sie gar nicht, wie peinlich ihr Nachstellen eigentlich war.

"Was meinst du, wie wird er sie abblitzen lassen?", hakte Amy neugierig nach. Die letzten drei Male hatten wir gewettet, was sie diesmal von ihrer Schwärmerei befreien würde. Mr. Millow hatte ihr bloß in einem Satz klar machen müssen, dass er sowieso auf Männer stand, und zu dem noch vergeben sei, Mr. Johnson hatte sie mit Ms. Fallow auf dem Schulhof beim Küssen gesehen und Mr. Crock hatte sie in einem unglaublich peinlichen Gespräch unter zwei Augen gebeten, ihn doch bitte endlich in Ruhe zu lassen.

Und obwohl sie so harte Körbe erlitten hatte, wollte sie einfach nicht aufgeben. "Wahrscheinlich ist er verheiratet.", vermutete ich lachend. Amy lachte ebenfalls. Der Bus kam und wir stiegen ein. Als wir saßen fuhren wir unser Gespräch fort.

"Ich dachte eigentlich, dass sie mit Adam was am laufen hat?", fragte ich stirnrunzelnd. Adam war der große Bruder einer Klassenkameradin von uns und wahrscheinlich ebenfalls mindestens fünf Jahre älter als Joana. Jeder der Schule wusste bereits, dass sie nur auf ältere stand.

Amy zuckte mit den Achseln. "Das würde sie trotzdem nicht davon abhalten den nächsten Lehrer anzuspringen." Ich lachte leise. Früher hatte ich mich noch ständig über Joana lustig gemacht und sie verspottet, doch heute tat sie mir nur noch leid. Soweit ich wusste, hatte sie ihren Vater nie kennengelernt und auch ihre Mutter schien nie wirklich für sie da zu sein. Kein Wunder also, dass sie einsam war und sich einen Typen nach dem Nächsten suchte. Auch wenn mir das gesamte männliche Kollegium dadurch ziemlich leid tat.

"Ich muss raus.", sagte Amy plötzlich und drückte mich kurz, bevor sie aufstand und aus der Bustür verschwand. Ich lächelte ihr nach, bevor ich mein Handy aus meiner Tasche zog, und mich damit beschäftigte. Es klang vielleicht merkwürdig, doch ich hasste es alleine in der Öffentlichkeit unterwegs zu sein. Die vielen Blicke der Leute, die ich mir wahrscheinlich viel extremer vorstellte, als sie eigentlich waren, schüchterten mich ein. Ich fühlte mich hässlich, klein und unbehaglich wenn ich von Fremden angesehen wurde. Im Laufe meines Lebens hatte ich irgendwie immer mehr an Selbstwertgefühl verloren und daran hatte ich jetzt zu leiden.

Ich fixierte mich also jetzt voll und ganz auf mein Handydisplay, um Niemanden ansehen zu müssen, bis ich endlich aussteigen musste.

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"Hey Schatz!", rief mein Vater, als ich die Haustür hinter mir ins Schloss fallen ließ. "Hey.", rief ich zurück und streifte meine Schuhe ab, bevor ich zu ihm in die Küche kam. "Hey Mary!", empfing mich Charlie, der beste Freund meines Vaters, der mit ihm gemeinsam am Küchentisch saß und einen Kaffee vor sich stehen hatte. Ich lächelte überrascht. "Was machst du denn hier?"

Mein Vater lachte. "Nette Begrüßung." Ich schob mir verlegen ein paar Haarsträhnen hinters Ohr. Mit Leuten zu sprechen war nicht gerade meine Lieblingsbeschäftigung, zumindest, wenn sie nicht aus meiner Familie stammten. Zwar kannte ich Charlie schon seitdem ich klein war, aber trotzdem hatte ich es lieber, wenn ich nach Hause kam und nur meinen Vater antraf. So musste ich mich keinen erzwungenen Gesprächen stellen.

"Ich war zufällig in der Nähe.", rechtfertigte er sich jetzt. Ich nickte nur. "Hast du Hunger?" Mein Vater deutete auf einen der Töpfe, die auf dem Herd standen. Wieder nickte ich nur, wich den Blicken von Charlie und meinem Vater aus, und füllte mir einen Teller voll mit Essen. Schweigend verließ ich damit die Küche und ging in mein Zimmer. Ich aß für gewöhnlich nicht in der Küche, wenn mein Vater dort mit seinem Besuch plauderte. Ich fühlte mich sonst einfach nur beobachtet, bei jedem Bissen, den ich tat.

Ich ließ mich sofort auf mein Bett sinken, stellte meinen Teller auf meinem Schoß ab und schaltete den Fernseher ein.

William

Auch wenn ich immer noch meinem alten Job hinterher trauerte, musste ich doch zugeben, dass der erste Tag nicht so schlecht gelaufen war, wie ich vorher gedacht hatte. Natürlich hatte ich mich noch lange nicht an die merkwürdigen Schülerinnen, und schon gar nicht an Dean Johnson gewöhnt, aber mit etwas Zeit würde ich mich wohl oder übel daran gewöhnen.

Ich war dennoch ziemlich erschöpft, als ich Zuhause ankam. Sofort ging ich meinem Hunger nach und fing an zu kochen. Etwas, was ich ziemlich gut beherrschte. Nicht verwunderlich, wenn die eigene Mutter jeden Tag betrunken auf der Couch gelegen hatte, der große Bruder den ganzen Tag mit Kumpels um die Häuser gezogen und der eigene Vater im frühen Alter gestorben war.

Ich lächelte krampfhaft, wie jedes Mal, wenn ich an diese höllische Zeit zurück dachte. Wie froh war ich gewesen, als ich mit 18 endlich meine eigene Wohnung bekam und mich von alldem lösen konnte.

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Es war schon früher Abend, als ich endlich gegessen hatte, und mich somit entspannt zurücklehnen konnte. Ich schnappte mir eines meiner Bücher, um darin zu lesen. Noch eine große Leidenschaft, die ich pflegte. Lesen. Mein Bruder hatte nie verstanden, wie ich lieber Zuhause mit einem Buch sitzen konnte, anstatt sich draußen in Bars nach irgendwelchen One-Night-Stands umzusehen. Ich verspürte einfach nicht den geringsten Reiz, wenn ich an Alkohol, und erst recht nicht wenn ich an One-Night-Stands dachte. Ich konnte nicht mal dreißig Sekunden jemandem in die Augen sehen, wie sollte ich dann irgendwelche fremden Frauen ansprechen? Abgesehen davon, dass ich die Würde einer Frau niemals auf so eine Art und Weise verletzten würde.

Nach kurzer Zeit gab ich das Lesen auf und ließ mich auf dem Rücken auf meine Couch sinken. Ich war viel zu müde, um mich noch konzentrieren zu können. Der Tag hatte mich wohl doch mehr Energie gekostet, als ich dachte.

Ich nahm meine Brille ab und legte sie zur Seite, bevor ich sie zum etlichen Male im Schlaf kaputt machen konnte, faltete meine Hände auf meiner Brust und schloss meine Augen. Ich genoss jede einzelne Sekunde, in der ich nun die Ruhe genießen konnte. Wenn es nach mir ginge, konnte man das Sprechen komplett abschaffen. Ruhe war das schönste, was es für mich gab. Keine nervtötenden Stimmen, keine undurchdachten Aussagen, kein Zwang, sich unterhalten zu müssen. Ich lächelte schwach, bevor ich schließlich in einen leichten Schlaf dämmerte...

■ I might be in love ■Where stories live. Discover now