Teil 3

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William

Es war erst kurz vor acht , doch von Müdigkeit war im Lehrerzimmer keine Spur. Ich saß wie am Tag zuvor am selben Tisch wie Lucas und musste mir seit geschlagenen zehn Minuten anhören, wie Dean von seiner traumhaften Verlobten schwärmte, während er unaufhörlich seine Hand ihre Oberschenkel auf und ab fuhr.

Ich hatte schon längst aufgehört zuzuhören, stattdessen fragte ich mich, wieso wir abgeschirmt von allen anderen Kollegen am hintersten Tisch des Raumes saßen, und so taten als wären wir die Einzigen hier. Wie es schien hatte ich mich unbewusst einer kleinen Clique angeschlossen, die wohl nur unter sich war.

Ich musste schmunzeln. Eigentlich hatte ich gedacht, dass dieses Bilden von kleinen Gruppen nach der Schulzeit aufhört, doch damit lag ich wohl ziemlich daneben.

Mittlerweile trank ich schon den zweiten Kaffee um wach zu werden, doch auch dieser nützte mir herzlich wenig. Ich konnte mich kaum daran erinnern, wann ich zuletzt eine Nacht durchgeschlafen hatte.

Ich stütze meinen Kopf auf meine Hände, während ich mich darauf konzentrierte, das Gerede von Dean zu ignorieren. Er konnte es einfach nicht lassen, von sich zu prahlen. Allerdings hatte ich ihn schon vom ersten Augenblick so eingeschätzt, als ich seine perfekt gestylten Haare in Kombination mit seinem farblich passenden Outfit gesehen hatte.

Jedes Detail an ihm schrie förmlich "Seht her, ich bin perfekt." Und langsam hatte ich sogar das Gefühl, dass das stimmte. Es schien keine Fehler an ihm zu geben, selbst seine Bartstoppeln schienen vollkommen symmetrisch. Ich seufzte leise.

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"Wenn man ihn besser kennenlernt, ist er gar nicht so übel.", versuchte Lucas mich aufzuheitern, als wir kurze Zeit später durch den Gang schlenderten. Er hatte mir natürlich sofort angemerkt, dass ich Dean für ziemlich arrogant und unnahbar hielt.

"Er wurde sein Leben lang verwöhnt von seiner kleinen, reichen, perfekten Familie. Vorwerfen kann man's ihm also kaum." Ich lächelte. "Was für ein armer Kerl.", murmelte ich sarkastisch. Wie sehr hatte ich mir so ein Bilderbuch-Leben gewünscht.

"Hey Mr. Graham!", unterbrach jemand unsere Konversation. Ich ging der Stimme nach, die, wie ich nun feststellte, keiner anderen gehörte, als dem Mädchen von gestern.

Lucas konnte sich ein breites Grinsen nicht verkneifen." Viel Spaß.", flüsterte er mir zu, bevor er mich ohne weiteres stehen ließ, um in seinem Klassenraum zu verschwinden. Sehr nett von dir, vielen Dank.

Nun stand das Mädchen noch immer vor mir, sah zu mir auf und wartete lächelnd, bis ich etwas entgegnete. Ich wich ihren hellblauen Augen aus, mit denen sie mich förmlich durchbohrte, nuschelte ein unverständliches "Guten Morgen", und schob mich an ihr vorbei zur Tür rein. Irgendwas sagte mir jetzt schon, dass dieses Mädchen ziemlich hartnäckig war.

"Guten Morgen!", sagte ich nun nochmal, als ich mich hinters Pult stellte und alle ihren Platz eingenommen hatten. Diesmal bekam ich wenigstens von einigen eine Antwort, doch wohl eher aus Mitleid.

Ich entschied mich dazu, schnellstmöglich Aufgaben zu verteilen, um mich nicht erneut von irgendwelchen Fragen bombardieren lassen zu müssen.

Das funktionierte auch ganz gut, bis ich mich setzte und müde meine Unterlagen studierte. Es war keine fünf Minuten still in der Klasse, als ich die ersten Mädchen reden hörte, und schließlich eine von ihnen ihren Arm hob.

Ich überlegte kurz, ob ich die Meldung ignorieren sollte, konnte dann aber nicht anders, als das Mädchen aufzurufen. Erwartungsvoll sah ich sie an.

"Wollen sie denn gar nicht unsere Namen wissen, Mr. Graham?", fragte sie mit gespieltem Entsetzen. Ich nahm meine Brille ab und rieb mir die Augen, wie all zu oft, wenn ich über etwas nachdachte. Die Namen dieser Teenagers interessierten mich eigentlich nicht im geringsten, allerdings musste ich mir eingestehen, dass ich früher oder später die Namen wissen musste, um sie zu bewerten. Außerdem musste ich schließlich wissen, wen ich überhaupt vor mir sitzen hatte.

Ich setzte meine Brille wieder auf und nickte schließlich.

"Natürlich.", sagte ich.

"Am Besten ihr schreibt mir einen Sitzplan mit euren Namen.", fuhr ich mit wenig Begeisterung fort. Sofort schnellte ein weiterer Arm in die Höhe. Ich musste ein Seufzten unterdrücken, als ich feststellte, dass es sich um das aufdringliche Mädchen aus dem Flur handelte.

"Kann ich den machen?", fragte sie, noch bevor ich sie überhaupt dran genommen hatte. Ich nickte ihr zu. "Von mir aus." Es interessierte mich nicht im geringsten, von wem ich letztendlich diesen Plan erhalten würde. Sie grinste zufrieden, ich wandte meinen Blick von ihr ab. Zugegeben war es die Hölle von so vielen Augen gleichzeitig angesehen zu werden. Ich konnte nicht mal ein einziges Augenpaar handeln und nun hatte ich sicher zwanzig Stück vor mir. Nur mit großer Mühe konnte ich mich auf etwas anderes als ihre Augen konzentrieren.

Mary Henk

Ich hatte meinen Kopf auf die Tischplatte gelegt, meine Augen geschlossen und hoffte, dass die Stunde möglichst schnell vorbei sein würde. Ich hatte letzte Nacht nur drei Stunden geschlafen und somit keinerlei Konzentration für den Matheunterricht. Dazu kam, dass ich mich am liebsten Unsichtbar machen wollte, weil ich mich so für Joana schämte, als sie sich lautstark als Freiwillige meldete, den Sitzplan zu schreiben.

Mr. Graham musste schon im ersten Augenblick gemerkt haben, dass sie es voll und ganz auf ihn abgesehen hatte. Dabei schien er wirklich so, als wäre er der letzte Lehrer unserer Schule, der sich auf eine Schülerin einlassen würde. Er wirkte ziemlich schüchtern wenn man ihn ansah, und nicht wirklich so, als wäre er ein großer Freund von Menschen. Aber wahrscheinlich war ich auch die einzige, die das bemerkt hatte. Ich konnte es einfach nicht lassen jedes kleine Detail aufzunehmen. Die letzten Deutschstunden hatte ich mich nicht eine Minute konzentrieren können, weil Ms. Ryans ihren Scheitel anders getragen hatte, als sonst. Amy hielt mich schon für verrückt deswegen, doch so war ich einfach.

Genauso hatte ich inzwischen jedes Detail von Mr. Graham studiert, obwohl er noch immer ziemlich undurchdringbar wirkte. Seine Brille hatte einen braunen, dezenten Rahmen, der für sein Gesicht schon beinahe zu groß war. Allerdings stand es ihm relativ gut. Seine Haare lockten sich sowohl über seine Ohren, als auch seine Stirn. Sein stoppeliger Bart enthielt einige, kleine Lücken, in denen wohl einfach keine Haare wachsen wollten, dennoch sah der Dreitagebart dadurch nicht ungepflegt oder fehlerhaft aus. Ein karierter Hemdkragen ragte oben aus dem Kragen seines Pullovers, welcher nebenbei bemerkt beigefarben war. Seine Augenfarbe schwankte zwischen grün und grau, soweit ich es von meinem Platz aus erkennen konnte.

Seine Augenbrauen waren dezent, fast als seien sie gezupft. Seine Nase hatte einen eleganten Schwung,wie eine Sprungrampe, oder anders gesagt, wie die eines kleinen Jungen. Allgemein wirkte er sowieso etwas wie ein kleiner Junge. Unbeholfen und schüchtern. An den Beinen trug er eine gewöhnliche, blaue Jeans, welche zur Hälfte seine braunen Lederschuhe bedeckte. Er war nicht besonders gut, und auch nicht besonders schlecht gekleidet. Mit anderen Sachen konnte man ihn sich auch gar nicht vorstellen. Dass er anderen nicht in die Augen sehen konnte, war mir ebenfalls schnell aufgefallen. Eine Gemeinsamkeit also, die er mit mir hatte. Ebenso wie die braunen Haare.

Jetzt, wo ich mich wieder aufgerichtet hatte, um ihn zu mustern, bemerkte ich, dass Amy mir einen Zettel vor die Nase geschoben hatte.

"Joana schreibt mit Sicherheit gleich ihre Handynummer auf den Sitzplan"

Las ich.

Ich grinste. "Eher ihre Adresse.", flüsterte ich. Nun grinste Amy ebenfalls.

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