Teil 14

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Mary Henk

Erst am frühen Morgen schlich ich zurück in mein Zimmer. Sean und ich hatten die ganze Nacht auf seiner Couch gesessen und in ewigen Unterhaltungen geschwelgt. Trotz meiner Müdigkeit konnte ich nicht anders als zu grinsen. Ich schwebte auf Wolke sieben.

Gerade rechtzeitig konnte ich mich unter meiner Decke verkriechen, bevor der Wecker ertönte und die Anderen langsam wach wurden. Niemand schien gemerkt zu haben, dass ich die Nacht über weggewesen war.

Nacheinander besetzten wir einige Minuten das Bad, machten uns fertig und gingen anschließend zum Frühstück runter. Schon wieder waren wir unter den Letzten, die den Speisesaal betraten.

Lisa und Maja steuerten bereits auf einen Tisch zu, als Amy abrupt im Türrahmen stehen blieb und mich am Arm festhielt.

"Siehst du was ich sehe?", zischte sie. Emma und ich suchten beide mit unseren Augen den Raum ab, bis sich mein Blick auf Mr. Graham festigte.

Joana hatte sich mit Hannah direkt neben ihn gesetzt und war so dicht an ihn gerutscht, dass man meinen könnte, sie würde gleich auf seinem Schoß sitzen.

"Das ist nicht ihr ernst.", nuschelte Emma. Ich schwieg, ließ Joana dabei aber keinen Moment aus den Augen. Obwohl sie mit dem Rücken zu uns saß, konnte ich mir bestens vorstellen, wie sie gerade siegessicher grinste.

"Kommt mit.", befahl Amy und lief in schnellen Schritten auf den Tisch von Mr. Graham zu. Emma ging ihr nach, ich blieb unsicher zurück. Ich hasste es, wenn Amy mich nicht in ihre Pläne einweihte.

Von weitem beobachtete ich, wie Amy und Emma sich mit an den Tisch setzten, und Amy sofort begann sich zu unterhalten. Zögernd entschied ich mich schließlich dazu, mich zu ihnen zu gesellen.

Schweigend nahm ich den letzten freien Platz ein und lächelte statt einer Begrüßung. Kurze Zeit fielen die Blicke aller am Tisch sitzenden auf mich, dann gingen die Gespräche einfach weiter.

Amy unterhielt sich wieder mit Mr. Johnson, der anscheinend plötzlich ihr bester Freund geworden war, Emma musste sich von Ms. Bomer zureden lassen und Joana redete natürlich mit keinem anderen als Mr. Graham. Auf dem ersten Blick war zu sehen, dass sich sein ganzer Körper verspannt hatte und jedes Wort nur gequält aus ihm heraus stieß. Hannah und ich waren die Einzigen, die in kein Gespräch verwickelt waren.

Anders als gestern Abend war der Tisch diesmal schon gedeckt mit allen Sachen, die man zum Frühstück brauchte. Ich begann meinen Teller zu füllen. Die ganze Zeit schwirrte Sean dabei in meinen Gedanken. Schade, dass sein Dienst noch nicht begonnen hatte.

Ich biss ein Stück von meinem Brötchen ab und schielte dabei unauffällig zu Mr. Graham und Joana. Sie war gerade dabei sich eine Tasse Kaffee einzugießen, was Mr. Graham ausnutzte, um ein wenig zu Mr. Johnson zu rutschen, der ihm daraufhin einen mitleidigen Blick zuwarf.

Ms. Bomer schien nicht die geringste Ahnung zu haben, was hier überhaupt abging.

Gerade als ich meinen Blick von den Beiden abwandte, da gerade nichts interessantes zu passieren schien, ertönte ein schmerzerfüllter Aufschrei, der mir sofort das Blut in den Adern gefrieren ließ.

Sofort unterbrachen alle am Tisch stattgefundenen Gespräche. Erschrocken blickte jeder von uns zu Mr. Graham, der mit schmerzerfülltem Gesicht verzweifelt nach einem Stapel Servierten griff und damit sofort über seine beige Hose tupfte. Joana hielt sich die Hände vor's Gesicht. "Das tut mir so leid!", wiederholte sie immer wieder. Doch Mr. Graham hörte ihr gar nicht zu. Ihre komplette heiße Tasse Kaffee hatte sich mitten über seinen Schoß ergossen. Kaum vorzustellen, welche Schmerzen das verursachen musste. Amy und ich starrten uns mit großen Augen an. Dass Joana so weit gehen würde, hätte wirklich keiner von uns gedacht.

Mr. Johnson war es schließlich, der eingriff. Er rutschte mit seinem Stuhl zurück, sprang auf die Beine und eilte in die Küche. Mr. Graham selbst schien noch gar nicht richtig realisiert zu haben, was gerade passiert war. Ebenso wie wir alle. Diese Situation hatte sich von null auf hundert ergeben, ohne jegliche Vorwarnung. Selbst Ms. Bomer konnte nicht anders, als entsetzt auf den vollkommen durchnässten Schoß von Mr. Graham zu sehen, auf dem sich bereits etliche Servierten stapelten. Sein Gesicht schien jeden Moment vor Hitze zu explodieren. Mehr des Schmerzes als der Peinlichkeit wegen. Er schien gar nicht zu wissen, wie er handeln sollte, dafür stand er zu sehr unter Schock.

Joana vergrub noch immer ihr Gesicht in ihren Händen, als Mr. Johnson endlich zurückkehrte. Er hielt einen großen Eisbeutel in der Hand, den er sofort an Mr. Graham reichte. Erleichtert ließ er diesen auf seinen Schoß sinken. Keiner von uns traute sich ein Wort zu sagen. Einige Nachbartische lugten bereist neugierig zu uns rüber.

"Du setzt dich wohl besser woanders hin.", zischte Mr. Johnson durch zusammengebissene Zähne. Er warf Joana einen vernichtenden Blick zu, welche ohne zu zögern aufsprang, sich Hannah schnappte und eilig davon lief. Sie hätte sich wohl lieber vorher die Konsequenzen ihres Handelns überlegen sollen. Ich sah ihr nach, wie sie den Speisesaal verließ, anstatt sich einen neuen Platz zu suchen. An ihrer Stelle würde ich mich jetzt auch lieber nicht mehr blicken lassen.

Ms. Bomer war sprachlos. Wir alle waren das. Ich konnte nicht aufhören Mr. Graham anzustarren, auch wenn ich wusste, dass die Situation für ihn ohnehin schon unangenehm genug war. Er tat mir unheimlich leid.

Mr. Johnson tauschte ein paar Worte mit ihm aus, die für uns anderen unverständlich waren. Mr. Graham nickte krampfhaft. Langsam schwand sein schmerzerfüllter Gesichtsausdruck und die Lage schien sich zu entspannen. Trotzdem konnte ich nicht aufhören ihn anzusehen. Er sah so hilflos und jung aus, dass man ihn am liebsten einfach in die Arme geschlossen hätte, um ihn zu trösten. Sowas hatte er wirklich nicht verdient.

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Erst als wir wieder auf unserem Zimmer waren, wagte Amy es die betroffene Stille zu brechen. "Träume ich oder ist das gerade wirklich passiert?", fragte sie aufgebracht. Lisa und Maja hatten keine Ahnung, was sie meinte, immerhin hatten sie an einem ganz anderen Tisch gesessen.

"Was ist denn passiert?", wollten beide sofort wissen. Emma grinste gespielt. "Joana hat Mr. Graham den Schritt verbrannt. Das ist passiert.", antwortete sie kühl. Ich war noch immer fassungslos.

"Hoffentlich hat er n' dicken Stoff drunter, sonst ist sein Schwanz in Zukunft nutzlos.", scherzte Amy lachend, worauf ich ihr einen warnenden Blick zuwarf. Solche Scherze konnte ich im Moment wirklich nicht hören. Mit Verbrennungen war tatsächlich nicht zu spaßen. Und überhaupt war dieser Witz einfach nur taktlos. Ihr Lachen schwand, als sie den Ernst der Lage wieder realisierte. "Sorry.", murmelte sie schuldbewusst.

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