Teil 22

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"Jemand muss Ihnen was in Ihr Getränk gemischt haben." Meine Stimme zitterte kläglich.

"Wie bitte?" Seine eben noch so müden Augen weiteten sich. Mit zittrigen Händen hatte er begonnen sein Hemd wieder zuzuknöpfen. Dabei hatte er ziemlich große Mühe.

Ich wusste nicht was ich erwidern sollte. Dass Joana die Übeltäterin gewesen war, konnte ich ihm einfach nicht sagen. Auch, wenn sie es nicht anders verdient gehabt hätte.

Mr. Graham hatte es inzwischen geschafft, seine Beine anzuwinkeln, sodass er in einer stabilen Sitzlage gegen die weiße Wand lehnte. Die tiefen Falten zierten noch immer seine verschwitzte Stirn.

"W-Wer?", fragte er schließlich. Einen kurzen Moment trafen sich unsere Blicke. Mein Herz klopfte mir bis zum Hals.

"Keine Ahnung." Ich schluckte. Lügen war wirklich nicht meine Stärke. Er schwieg einige Sekunden.

"Wieso weißt du davon? W-Wieso bist du hier?" Er hob sein Becken an, um seine Jeans wieder über die Hüfte zu ziehen.

"Ich bin Ihnen gefolgt, als Sie sich davongemacht haben. Sie sahen gar nicht gut aus."

Ich stellte mich mechanisch wieder auf die Beine, allmählich war ich mir ziemlich dumm vorgekommen, so am Boden kniend. Natürlich wusste ich, dass ihn diese Antwort nicht zufrieden stellen würde.

Als ich jetzt vor ihm stand, konnte ich deutlich spüren, wie unangenehm es ihm war, nicht auf die Beine zu kommen. Ihm schien einfach das Gefühl in den Beinen zu fehlen. Ich wusste genau, welche Frage ihm jetzt auf den Lippen lag.

"Und mein Hemd... hat sich von allein' von mir verabschiedet?"

"Ich habe Sie so gefunden.", erwiderte ich schnell. Gott war das peinlich. Alles deutete darauf hin, dass ich ihn in diesen Zustand gebracht hatte.

Viel zu lange starrte er mich an. Tausende von Fragen schienen ihm durch den Kopf zu gehen, doch er stellte keine einzige.

Sein Brustkorb begann wieder einigermaßen regelmäßig auf und ab zu sinken.

"K-kannst du mir mal helfen... bitte.", murmelte er beschämt.

"Soll ich jemanden holen gehen?", fragte ich verunsichert. Ich wollte seine Würde nicht noch mehr verletzten, indem ich ihm als Mädchen aufhalf.

Er schüttelte seinen Kopf. "Ich möchte nicht, dass dieser Vorfall thematisiert wird."

"Dafür können Sie doch nichts."

Ein müdes Lächeln schlich ihm über die Lippen.

"Vermutlich nicht."

"Vermutlich? Natürlich können Sie nichts dafür!" Meine Stimme war ein wenig zu laut geworden.

"Kannst du jetzt bitte einfach... mir aufhelfen?", lenkte er vom Thema ab. Ich war noch immer verwirrt. Verwirrt und wütend. Wie konnte er nur so hart zu sich selbst sein?

Ich trat einen Schritt auf ihn zu, daran zweifelnd, ob ihm meine Hilfe überhaupt was bringen würde.

Er streckte mir seine rechte Hand entgegen, die ich unschlüssig ergriff. Einen kurzen Moment lang genoss ich diese Berührung, fokussierte mich dann aber schnell wieder auf das Wesentliche.

Ich nutzte jegliche Kraft, die ich hatte, hielt mit der einen Hand seine fest, legte meine andere Hand an seinen Rücken und tat alles dafür, ihn zu stützen. Wir schafften es gerade so weit, dass er sich wenigstens auf die Bettkante setzen konnte. Sein Atem wurde schwerer.

Sein Kopf neigte sich zu Boden, seine Arme hatte er links und rechts als Stütze neben sich in die Matratze gepresst.

"Sind Sie sicher, dass ich niemanden holen soll?" Ich sah mitleidig zu ihm herab.

"Es reicht schon, dass eine Person davon weiß.", stieß er mit zusammengebissenen Zähnen hervor.

Ich wollte noch immer nicht verstehen, wieso er so dachte.

"Aber-""Ich denke nicht, dass mir jemand was ins Trinken gemischt hat.", unterbrach er mich. Er hob seinen Kopf an, um mich anzusehen.

"Solche Vorfälle sind nichts neues für mich."

Natürlich hatte ihm jemand was untergemischt, das wusste ich genau. Doch beweisen konnte ich das wohl kaum.

"Solche Vorfälle?", hakte ich nach. Er rang deutlich mit sich, ob er weitersprechen, oder es lieber lassen sollte.

"Blackouts."

"Blackouts? Was meinen Sie?"

"Es passiert nicht gerade selten, dass ich irgendwo zu mir komme und nicht weiß, was passiert ist."

Er lachte hysterisch. "Ich sollte dir gar nichts davon erzählen. Du bist meine Schülerin."

Ich ignorierte diesen Satz, viel zu sehr hatte er meine Neugier geweckt.

"Seit... seit wann ist das so?"

"Seit meiner Kindheit."

Am liebsten hätte ich ihn augenblicklich in die Arme geschlossen. Er sah so bedauernswert und elendig aus, wie er vor mir auf dem Bett saß, und sich in irgendeiner Weise öffnete. Nun begriff ich langsam, weshalb mein Vater ihn damals als Patient bei sich gehabt hatte.

Trotzdem wusste ich, dass diese Sache keiner seiner Blackouts war. Ohne Joana zu verraten, konnte ich ihn davon aber nicht überzeugen.

"Du solltest jetzt gehen.", sagte er plötzlich, nachdem er sein Gesicht wieder nach unten gelenkt hatte. Alles andere hätte ich in diesem Moment gewollt, aber bloß nicht jetzt zu gehen. Ich wollte hier bleiben, bei ihm. Für ihn da sein, ihm zuhören. Doch das Ganze konnte ich mir sofort abschminken. Es hatte sich nichts daran geändert, dass er mein Lehrer war, und wir die Grenze eigentlich jetzt schon überschritten hatten.

"Wenn Sie das wollen."

Er starrte weiter zu Boden. "Bitte, geh." Seine Worten trafen mich wie ein Messer ins Herz. Ich wusste genau, dass er mich nicht gehen sehen wollte. Dass er mich bitten musste zu gehen, weil er wusste, dass es falsch war mich bleiben zu lassen.

Ich stolperte einen Schritt rückwärts, bevor ich mich umwandte und wortlos das Zimmer verließ. Beabsichtigt ließ ich die Tür laut ins Schloss fallen. Kindisch, dachte ich im nachhinein, doch ich wollte ihn spüren lassen, dass ich verletzt war.

Meine Laune war so bedrückt, dass ich auf keinen Fall zurück zu den Anderen wollte. Ich wusste genau, dass jeden Moment die ersten Tränen über meine Wangen laufen würden. Nicht, weil Mr. Graham mich rausgeworfen hatte, sondern weil ich wusste, dass zwischen uns niemals auch nur sowas wie eine Freundschaft entstehen würde. Und das wollte ich mehr, als alles andere. Ich wollte Zeit mit ihm verbringen, ihn aufbauen, alles über ihn wissen.

Unbewusst war ich den Gang entlang, bis zu meinem Zimmer gelaufen. Ich schloss die Tür auf und ließ sie sofort hinter mir zu fallen. Meine Sicht verschwamm durch die Tränen, die den Kampf schließlich gewonnen hatten.

"Verdammte scheiße.", fluchte ich und ließ mich an der Tür hinab sinken, bis ich am Boden saß.

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