Teil 6

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Mary Henk

"Du musst mich wirklich nicht fahren.", sagte ich meinem Vater schon zum tausendsten Mal, als er zur Sicherheit nochmal nachfragte. Die letzten Tage waren so schnell vorbei gezogen, dass heute tatsächlich schon Sonntag war, der Tag, an dem unsere Bustour nach Österreich starten würde.

Mein Koffer stand schon fertig gepackt im Flur, jetzt hieß es nur noch abwarten, bis ich das Haus verlassen musste. Amy und ich wollten beide den Bus nehmen, was meinem Vater allerdings nicht wirklich gefiel. "Den Koffer bekommst du gar nicht alleine hoch.", äußerte er seine Sorge, ebenfalls schon zum tausendsten Mal. Ich war aber überzeugt davon, dass er Unrecht hatte, und bestand darauf, den Bus zu nehmen.

Wohl oder übel musste mein Vater einsehen, dass er mich nicht mehr umstimmen konnte.

Nur noch eine halbe Stunde, dann musste ich los.

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"Hast du auch wirklich alles?", fragte mein Vater beunruhigt, als ich in der offenen Haustür stand und nach dem Griff meines Koffers schnappte. Ich verdrehte die Augen und grinste. "Wie oft denn noch? Ja, ich habe alles!" Er lächelte schwach, dann zog er mich zu sich in die Arme.

"Pass bitte auf dich auf.", flüsterte er in unsere Umarmung hinein. Die Sorge meines Vaters war wirklich kaum auszuhalten. Natürlich würde ich auf mich aufpassen, warum sollte ich auch absichtlich nicht?

Ich löste mich aus seinen schützenden Armen, kehrte ihm den Rücken zu und zog den Koffer hinter mir her. Auf dem Rücken trug ich einen vollbepackten Rucksack, in der freien Hand ein kleines Kissen, um vielleicht doch einige Stunden im Bus schlafen zu können.

Bevor ich um die Ecke verschwand, drehte ich mich noch ein letztes Mal um, winkte meinem Vater zu, der noch in der offenen Tür stand, und ging schließlich weiter zur Bushaltestelle.

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"Mary Henk?", rief Mr. Johnson. Er hielt die Namenslisten der zwei Klassen in der Hand, die mitfahren würden und arbeitete sich durch jeden einzelnen Namen durch. Ich ließ meine Hand nach oben schnellen, holte mir meine Platznummer bei ihm ab, und gesellte mich zu denen, die schon aufgerufen worden sind. Mr. Johnson hatte darauf bestanden, uns die Sitzplätze selbst zuzuteilen, da es die letzten Fahrten endlose Diskussionen gegeben hatte, wer neben wem sitzen würde. Eigentlich eine gute Idee, bloß hatte ich wenig Lust die nächsten zehn Stunden Fahrt neben jemandem sitzen zu müssen, den ich nicht leiden konnte.

Es war schon stockdunkel draußen, immerhin war es schon knapp elf Uhr abends. Trotzdem konnte ich Amy sofort finden, als ich Ausschau nach ihr hielt. "Welche Nummer hast du?", fragte ich sofort, als ich mich zu ihr durchgekämpft hatte.

"Nummer 32, Bus 1.", antwortete sie schnell. "Und du?" Ich seufzte tief. "Nummer 22, Bus 2." Sie sah mich mit großen Augen an. "Du bist ja noch nicht mal im selben Bus wie ich!", rief sie entsetzt. Ich nickte enttäuscht. "Dann sehen wir uns wohl nur an den Raststätten." Sie zog einen Schmollmund.

"Wir schreiben.", schlug sie vor und ich lächelte schwach. "Machen wir."

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"Sitzt du hier?", fragte Joana mich, als ich vor ihrem Zweierplatz stehen blieb. Ich konnte meinen Augen kaum trauen, warum musste ausgerechnet ich so ein großes Pech haben? Zehn Stunden neben Joana? Das war wirklich das Letzte, was ich erwartet hatte. Ich nickte langsam. Sie rollte mit den Augen. "Super.", nuschelte sie ironisch, als sie ihre Tasche von meinem Platz hob, und ich mich setzte. Lieber hätte ich neben Ms. Bomer gesessen, als neben Joana.

Ich nahm wortlos mein Kissen, klemmte es mir hinter den Kopf und sah Mr. Johnson dabei zu, wie er einmal durch den Gang schlenderte und alle Schüler durchzählte. Immerhin würde also nicht Ms. Bomer die Aufsicht für diesen Bus übernehmen. Joana und sie zusammen hätte ich wirklich nicht ertragen.

Ich sah, wie Mr. Johnson dem Busfahrer Bescheid gab und sich direkt vor uns auf seinen reservierten Platz setzte. Erst jetzt bemerkte ich, dass es Mr. Graham war, neben den er sich gesetzt hatte. Ich sah stirnrunzelnd zu Joana, welche bereits ihre Kopfhörer aufgesetzt hatte und wohl Musik hörte. Niemals konnte es Zufall sein, dass sie den Platz direkt hinter ihm erwischt hatte. Niemals.

William

Totmüde hatte ich mich im Sitz zurückgelehnt und trank Stück für Stück meinen Kaffeebecher leer. Zehn lange, endlose Stunden lagen vor mir und es war keine einzige Minute Schlaf in Sicht. Schon jetzt brüllten die ersten Schüler durch die Reihen, ohne Rücksicht auf die Anderen zu nehmen. Mein Kopf schmerzte jetzt schon, und alles andere was ich wollte, war auf diese Reise mit zu fahren.

Dean schien im Gegensatz zu mir in einer ganz guten Verfassung zu sein. Er scherzte mit den Beiden Jungen, die neben uns im Zweier saßen und riss einen dummen Witz nach dem Nächsten. Nicht unbedingt etwas, was meine Laune besserte.

Der Bus war vor ungefähr zwanzig Minuten losgefahren, alle schienen sich irgendwie tierisch zu freuen und ich war wohl der Einzige, der sich fehl am Platz fühlte.

Ich schloss meine Augen, obwohl ich wusste, dass an Schlaf sowieso nicht zu denken war und versuchte die vielen, lauten Stimmen auszublenden. Unmöglich.

Mary Henk

"Drei Mal darfst du raten neben wem ich sitze.", schrieb ich Amy. So konnte ich mir die Situation wenigstens ein bisschen angenehmer machen.

"Mr. Johnson?", Ich musste grinsen. Schön wär's.

"Joana.", löste ich auf.

"Du bist so ein Glückspilz." Da gab ich ihr Recht. Und was für Glück ich hatte.

"Und jetzt rate, wer direkt vor uns sitzt."

"Mr. Johnson?"

"Auch. Aber wer noch?"

Amy brauchte eine Weile, bis sie antwortete.

"Mr. Graham!?"

"Exakt."

"Wie hat sie das denn angestellt?" Ich prüfte durch einen kurzen Seitenblick, ob Joana mir vielleicht auf's Handy sehen konnte, doch sie war viel zu sehr auf ihr eigenes fixiert.

"Ich habe absolut keine Ahnung. Zufall war es auf jeden Fall nicht!"

Ich steckte mein Handy zurück in meine Hosentasche, um den Akku sparen. Gelangweilt starrte ich aus dem Fenster in die Finsternis, sah den Autos beim Vorbeiziehen zu und hörte der Stimme von Mr. Johnson zu, welcher sich mit zwei Jungen aus der anderen Klasse unterhielt. Langweiliges Gerede, aber das interessanteste, was es im Moment zu hören gab.

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