Teil 12

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"Ich gehe mir unten was zu trinken holen. Kommst du mit?", flüsterte ich Amy zu, die unter mir im selben Hochbett lag. Es war stockdunkel im Zimmer und seit einiger Zeit hatte niemand mehr ein Wort gesagt.

"Ich bin zu müde. Geh allein'.", nuschelte sie zurück. Ich zögerte kurz. Alleine nachts im Gebäude rumzugeistern war nicht wirklich was, worauf ich Lust hatte. Aber mein Mund vertrocknete, wenn ich nicht gleich einen Schluck Wasser trinken würde.

Leise schlug ich meine Decke beiseite, schlüpfte in eine graue Sweatshirt-Jacke, nahm meine leere Flasche und schlich auf Socken zur Tür. Vorsichtig tastete ich nach dem Türgriff und schob mich in den Flur.

Schwaches Licht brannte überall im Gebäude. Gerade so, dass man sich zurecht finden konnte. Es war totenstill, obwohl es erst kurz nach Mitternacht war. Ungewöhnlich für meine Klassenkameraden. Eilig suchte ich die Treppe auf und lief nach unten in den Speisesaal, der zum Glück offen stand. Ein Getränkespender befand sich direkt am Eingang und war wie es aussah auch jetzt noch zugänglich.

Ich bemühte mich, mich zu beeilen, da ich es zum einen ziemlich unheimlich hier unten fand und zum anderen auf keinen Fall von einem der Lehrer erwischt werden wollte.

Meine Flasche war gefüllt bis zum Rand, ich griff nach ihr und machte mich sofort auf den Weg zurück nach oben.

"Mary?", hörte ich plötzlich jemanden meinen Namen flüstern, als ich gerade durch die Glastür gehen wollte, die zu unserem Mädchenflur führte. Erschrocken wandte ich mich um, suchte die Umgebung mit meinen Augen ab, und entdeckte schließlich eine Gestalt auf der weiteren Treppe, die ein Stock weiter hinauf führte.

Mein Herz raste. "Sean?", fragte ich vorsichtig. Langsam stieg die Gestalt Stufe für Stufe hinab, sodass ich immer besser sein Gesicht erkennen konnte. Er war es tatsächlich. Unwillkürlich musste ich lächeln, als er jetzt einige Meter vor mir stand und ich sein breites Grinsen im schwachen Lichtschein erkennen konnte. Anders als vorhin trug er eine graue Jogginghose mit einem schwarzen Kapuzenpulli. Schlicht, aber ihm stand es ausgezeichnet.

"Was machst du denn hier um diese Uhrzeit?", fragte er so leise wie möglich. Dass wir direkt zwischen beiden Glastüren standen, hinter denen zu jeder Zeit einer meiner Lehrer hervorkommen könnte, machte mich ziemlich nervös.

Ich hielt meine Flasche hoch. "Habe Wasser geholt.", erklärte ich. Er fuhr sich durch sein braunes, dichtes Haar, als wäre er ebenfalls angespannt. "Hast du Lust noch was zu machen?"

Ich sah ihn mit großen Augen an. Noch was machen? Um diese Uhrzeit? Ich weiß nicht wieso, aber ohne nachzudenken nickte ich einfach. Dieses eine Mal wollte ich diejenige sein, die nicht die Anständige war, die brav im Bett liegen blieb. Dieses eine Mal wollte ich Zeit mit jemandem verbringen, dem ich offenbar gefiel. Dieses eine Mal, war es ich und nicht Amy.

Er strahlte überrascht. Er hatte wohl nicht damit gerechnet, dass ich zustimmen würde.

"Komm mit.", forderte er, ohne mich weiter nachdenken zu lassen. Er stieg die Stufen zurück nach oben, von wo er eben gekommen war. Ich folgte ihm langsam. Immer wieder sah ich mich nach hinten um, um mich zu vergewissern, dass nicht Mr. Johnson oder Mr. Graham unten standen und mich beobachteten. Oder noch schlimmer, Ms. Bomer.

Wir kamen auf einen langen, breiten Flur, in dem es um einiges weniger Türen gab, als in unserem. An jeder der Türen stand in goldenen Buchstaben "Personal" geschrieben. Grinsend ging Sean voran, bis wir vor der hintersten Tür halt machten, und er einen Schlüssel hervorkramte.

Ich staunte nicht schlecht, als wir jetzt in ein kleines, hübsch eingerichtetes, Apartment traten. Das musste wohl sowas wie sein Zuhause sein.

"Willst du was trinken?" Seine Stimme klang um einiges lauter als eben, wodurch ich den schönen Klang noch mehr genießen konnte. Er stand vor mir mit fragendem Blick.

Er hatte eine angenehme Körpergröße, im Gegensatz zu den meisten Männern, die ich täglich sah. Mit meinen 155cm war ich nun mal kleiner als die Meisten, doch bei ihm störte es mich kaum. Er war vielleicht 175 cm groß, würde ich schätzen.

"Was hast du denn da?", fragte ich ziemlich mutig für meine Verhältnisse. Er gab mir ein wenig von dem Selbstbewusstsein, was mir fehlte.

Er verschwand kurz in der Küche und kehrte mit zwei Flaschen zurück. "Bier oder Bier?" Ich musste grinsen. "Da fällt mir die Auswahl natürlich schwer." Er grinste zurück, hielt mir eine der Flaschen hin und wartete, bis ich sie nahm. Das tat ich sofort.

"Setz dich doch.", bat er und deutete auf eine kleine Couch in unmittelbarer Nähe. Ich nahm das Angebot sofort an. Er ließ sich mit einem großen Abstand neben mich sinken, hielt seine Bierflasche hoch und ließ sie mit meiner zusammenprallen. "Auf's Wohl.", raunte er, setze die Flasche an seine Lippen und trank. Ich tat es ihm gleich.

"Wo kommst du eigentlich her?", fragte er irgendwann in die aufgekommene Stille hinein. Er sah mir dabei fest in die Augen.

William

"Alle auf ihren Zimmern?", fragte Dean, als ich nach meinem Rundgang in unser gemeinsames Zimmer kam. Was hätte ich nur für ein Einzelzimmer gegeben...

Ich nickte schweigend, zog mir meinen Pullover über den Kopf, knöpfte mein kariertes Hemd auf und stand schließlich nur noch im weißen T-Shirt da. Endlich war ich frei von meiner viel zu warmen Kleidung. Dean saß auf seinem Bett am anderen Ende des Zimmers und starrte konzentriert auf sein Handy.

Ich knöpfte meine Jeans auf, streifte sie Bein für Bein ab und ersetzte sie durch eine schlichte, graue Pyjamahose. Müde rieb ich mir meine Augen, schlurfte ins kleine Badezimmer und griff nach meiner Zahnbürste. In wenigen Minuten würde ich im Stehen einschlafen, wenn ich nicht bald endlich in mein Bett fallen konnte. Ich war so müde wie lange nicht mehr. Diese Kids hatten mir sämtliche Kräfte entnommen, die ich hatte.

Ich verließ das Bad, schaltete das Licht aus und suchte mein Bett auf, auf das ich mich sofort fallen ließ. Die Decke war viel zu warm, wie ich feststellte, als ich sie über mich gelegt hatte. Bei diesen Temperaturen wäre beinahe gar keine Decke nötig.

Ich drehte mich auf den Bauch, schob meine Hände unter mein Kissen und platzierte meinen Kopf auf ihnen. Innerhalb von Sekunden hätte ich einschlafen können, wenn Dean nicht genau in diesem Augenblick einen Anruf erhalten hätte.

"Hey Baby.", rief er aufgeregt, ohne dabei zu beachten, dass ich mich im selben Raum wie er befand. Verzweifelt seufzte ich, presste mein Kissen an meine Ohren und versuchte zu ignorieren, dass Dean nun sämtliche Details über sein Liebesleben mit seiner Verlobten preisgab, da er anscheinend einfach vergessen hatte, dass ich alles mit anhören konnte, vergeblich. Jedes einzelne Wort konnte ich hören und mein Gehirn wollte nicht abschalten, bis das Gespräch endlich beendet war.

■ I might be in love ■Where stories live. Discover now