Teil 5

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Mary Henk

"Das hab ich total vergessen.", murmelte Amy, als ich ihr am nächsten Tag von der Studienfahrt erzählte." Ich glaube wir alle haben das vergessen.", entgegnete ich.

Wir gingen gemeinsam durch den Haupteingang unserer Schule. "Schade, dass Mrs. Cowell nicht dabei sein wird.", schmollte Amy. Ich nickte zustimmend. Mrs. Cowell war die Vorgängerin von Mr. Graham gewesen, bis sie vor einigen Wochen in den Mutterschaftsurlaub gegangen war. Wirklich schade, sie war ziemlich feinfühlig und außerdem eine ausgesprochen gute Mathelehrerin.

Ein wenig in Eile suchten wir unseren Klassenraum auf, wir hatten nur noch wenige Minuten. "Guten Morgen die Damen.", rief Mr. Johnson mit gehobener Stimme, als er zu uns stieß, und den Rest des Weges neben uns her ging, da wir ihn gleich im Unterricht hatten. Amy wünschte ihm lächelnd einen guten Morgen zurück, während ich nur ein müdes Lächeln erwiderte. Ich hielt mich meistens zurück, wenn ich von mehreren Personen umgeben war, da ich sowieso nicht das Gefühl hatte, dass jemand sich groß für meine Anwesenheit interessierte, und schon gar nicht für das, was ich sagte.

Mr. Johnson fing an ein wenig mit Amy zu plaudern, ohne zu merken, dass ich überhaupt anwesend war. Typisch für mich übrigens. Kaum jemand schien zu bemerken, dass ich existierte. Zum einen war wohl meine mickrige Größe der Grund dafür, immerhin war ich nur 1.55 m groß, zum anderen wohl einfach meine schüchterne Art, die mich davon abhielt viel zu sprechen.

Außerdem war Amy im Gegensatz zu mir vollgepumpt mit Selbstbewusstsein, sodass sie nicht davor halt machte sich mit jedem über Gott und die Welt zu unterhalten. Übersehen konnte man sie daher überhaupt nicht, vor allem auch, weil sie mindestens 1.75 m groß war, und somit unübersehbar.

Ich betrat nach den Beiden das Klassenzimmer, schlich hinter Amy her zu unserem gemeinsamen Tisch in der letzten Reihe und packte sofort meine Englischsachen aus.

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"Liegt es an mir, oder hat Mr. Johnson sich total verändert?", fragte Amy begeistert, als wir nach der Stunde auf einer Bank auf dem Schulhof saßen. Er hatte sich tatsächlich enorm verändert in den drei Jahren, die wir ihn nun schon kannten. Anfangs haben ihn alle für ein aufgeblasenes Arschloch gehalten, dem sein Aussehen wichtiger war als alles andere, doch inzwischen konnte man zumindest teilweise durch ihn hindurch sehen und feststellen, dass er tief im Herzen ein echt netter Kerl war. Womöglich tat ihm Ms. Fellow aber auch einfach ziemlich gut.

"Sogar sehr.", bestätigte ich. Amy hatte vor zwei Jahren so schlechte Noten bei ihm gehabt, dass sie sich jede Stunde mit ihm angelegt hatte und plötzlich fing er sogar damit an, auf dem Gang mit ihr zu plaudern. Er hatte sich also auf jeden Fall verändert, und das freute mich umso mehr für Amy.

"Vielleicht bekommst du jetzt endlich deine eins in Englisch.", scherzte ich. Dabei wusste ich, dass sie darauf tatsächlich hinaus wollte. In jedem Fach lag sie mindestens auf einer zwei, sowas wie schlechte Noten wurden bei ihr gar nicht geduldet. Kein Wunder also, dass sie sich auf einmal bei ihm einschleimte, um ihre Note zu verbessern.

William

"Was siehst du dir da an?", fragte Lucas neugierig, als er über meine Schulter, auf meinen Laptop sah. Ich drehte mich kurz zu ihm um, um ein schwaches Lächeln als Begrüßung zu signalisieren, bevor ich wieder auf meinen Bildschirm starrte.

"Die Location der Studienreise.", murmelte ich in Gedanken. Lucas ließ sich mir gegenüber an den Tisch sinken. "Da fährst du mit?", fragte er überrascht. Ich sah zu ihm auf und zog meine Augenbrauen ein wenig in die Höhe. "Gibt es schon wieder was, was ich wissen sollte?", hakte ich unruhig nach. Seitdem Dean mir gestern von Joana Paker erzählt hatte, war ich wirklich auf alles gefasst. Dieser Name schwirrte mir noch immer durch den Kopf. Was für ein Glück, dass ich sie erst wieder am Freitag sehen musste. Zumindest hoffentlich.

Lucas lachte. "Ich habe nur nicht gewusst, dass du mitfährst. Das ist alles.", beruhigte er mich. Ich atmete erleichtert aus. "Allerdings...", setzte er nun fort und brachte somit erneut mein Herz zum Rasen.

"Allerdings solltest du wissen, dass Dean auch mitfahren wird." Ich unterdrückte ein tiefes Seufzen. Wieso denn ausgerechnet er? Lucas musterte mich grinsend.

"Ist doch perfekt um ihn mal besser kennenzulernen.", neckte er mich belustigt. Doch mir war nicht wirklich nach Lachen zumute. Stattdessen sah ich mir weiter Bilder des Ortes an, zu dem wir fahren würden, um mich davon abzuhalten in schlechte Laune zu verfallen.

"Viel mehr würde ich mich auf Ms. Bomer freuen.", holte er mich wieder aus meiner Gedankenwelt zurück. Wieder sah ich ihn kurz an. "Ms. Bomer? Wer ist das?" Lucas konnte doch nicht von mir erwarten, dass ich am dritten Tag schon das gesamte Kollegium kennen würde. Genau genommen kannte ich vielleicht gerade mal zehn Namen, und selbst die konnte ich nicht richtig zuordnen. Es war schon genug Arbeit, sich erstmal die Namen meiner Schüler einzuprägen, vor allem, da ich jetzt fünf Klassen zu unterrichten hatte.

"Sie fährt dieses Jahr das letzte Mal mit, dann geht sie in Rente.", erzählte er. Ich wartete, bis er noch mehr berichten würde.

"Totaler Kontrollfreak.", seufzte er. "Sie lässt einen für keine Sekunde aus den Augen. Am liebsten macht sie die ganze Arbeit sowieso allein'." Ich lächelte müde. Die Vorfreude auf diese Reise wuchs von Sekunde zu Sekunde.

"Entweder sie mag dich, oder sie hasst dich.", fügte er leise hinzu. Dann stand er auf und begab sich zur Kaffeemaschine, wie ich feststellte, als ich ihm kurz hinterher sah. "Gutes Gespräch.", sagte ich zu mir selbst. Offene Enden bei Gesprächen schienen hier wohl üblich zu sein, so kam es mir jedenfalls vor, als ich schon wieder einfach wortlos zurückgelassen wurde. Umso besser eigentlich, so musste ich mich zumindest keinen erzwungenen, endlosen Gesprächen stellen, an denen ich wirklich kein Interesse hatte.

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