Teil 19

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Mary Henk

Hey Paps, tut mir leid dass ich gestern einfach aufgelegt hab'., entschuldigte ich mich schuldbewusst, als ich am Abend meinen Vater anrief.

In einer Stunde gab es Abendbrot, Emma stand unter der Dusche und die Anderen waren draußen am Pool. Ich hatte also das Zimmer für mich.

Nicht weiter schlimm., versicherte er mir.

Ich zögerte kurz.

Also... um unser Gespräch von gestern fortzuführen..

Mein Vater seufzte tief und ich wettete darauf, dass er gerade genervt die Augen verdrehte.

Mary hör zu, ich hätte dir davon eigentlich gar nichts erzählen dürfen. Das geht dich nichts an. , sagte er ziemlich streng. Ich schluckte. So einfach konnte ich nicht aufgeben. Und das wollte ich auch nicht.

Nur ein paar Details, bitte!, quengelte ich wie ein Kleinkind. Normalerweise bekam ich ihn so jedes Mal.

Ich kann und will nicht., betonte er fest. Dieser Mann ist dein Lehrer, es hat dich nicht zu interessieren, weshalb er in Behandlung war.

Mein Vater klang diesmal wirklich nicht so, als würde er Späße machen. Er meinte vollkommen ernst was er gesagt hatte.

Aber..., protestierte ich.

Mary!, mahnte er, wie immer, wenn ich über seine Grenzen tritt.

Bitte..., murmelte ich kleinlaut. Wenigstens eine Kleinigkeit musste ich erfahren.

Wieder seufzte mein Vater.

Er war damals so alt wie du jetzt. Das Ganze ist knapp zehn Jahre her, alles Vergangenheit. Also vergiss' es einfach.

Vergessen konnte ich das mit Sicherheit nicht.

Und weshalb kam er zu dir?

Ich werde dir nichts mehr über ihn erzählen Mary. Wieso interessiert dich das so sehr?

Ich erstarrte kurz. Ja, warum interessierte mich das eigentlich so sehr? Wieso hatte ich plötzlich so Mitleid mit diesem Mann und wollte unbedingt alles daran setzen um ihm zu helfen? Und wer sagte überhaupt, dass er Hilfe brauchte? Nur weil er häufig unbeholfen und verloren wirkte, hieß das noch lange nicht, dass das der Wahrheit entsprach. Und vor allem wäre ich wohl die Letzte, die ihm helfen könnte.

Vergiss es..., nuschelte ich heiser.

Du verwirrst mich., war seine Antwort. Ich lächelte schwach. Ja, ich verwirrte mich momentan auch ziemlich.

Geht mich nichts an, du hast recht. Natürlich war ich eigentlich anderer Meinung.

Weißt du was, ich melde mich bald wieder. Gibt eh gleich Essen., lenkte ich vom Thema ab und legte auf, noch bevor er was erwidern konnte. Einen Moment lang saß ich so da, nachdenklich auf meinem Bett. Ich konnte nicht sagen, woran es lag, aber Mr, Graham ging mir nicht mehr aus dem Kopf. Wahrscheinlich hatte Joana mich so sehr mit ihrem Wahn angesteckt, dass ich selbst total verrückt wurde.

Ich sprang vom Hochbett auf den Boden, schlüpfte in meine Schuhe und verließ das Zimmer. Ich brauchte Ablenkung, so schnell wie möglich.

Im Flur war nichts los, alle schienen draußen auf dem Gelände zu sein, um sich die Zeit bis zum Abendessen zu vertreiben. Ich entschied mich dazu, ebenfalls nach draußen zu gehen.

Die Sonne schien noch, somit war es auch ziemlich warm. Ich sah mich neugierig um, überall waren Schüler verstreut. Manche bei den Trampolinen, andere im Pool, und einige Jungs auf dem Fußballfeld.

Fußball hatte mich zwar nie großartig interessiert, doch in diesem Augenblick trieb es mich dazu zum Feld zu laufen, um zuzusehen. Es störte mich überhaupt nicht, die nächste Zeit alleine zu verbringen. Im Gegenteil sogar. Natürlich verbrachte ich gerne mit meinen Freunden Zeit, aber manchmal hatte ich dringend einen Moment für mich alleine nötig.

Erst als ich den Zuschauerbänken näher kam, entdeckte ich Mr. Graham. Er saß schon wieder mit einem Buch in der Hand, allein auf einer der Bänke und kümmerte sich kaum um seine Umgebung.

Am Liebsten wäre ich sofort auf dem Absatz umgekehrt und geflüchtet, immerhin hatte ich gerade vorgehabt mich von diesem Mann abzulenken, nicht mich zu ihm zu setzen. Doch Mr. Johnson, welcher mit einer Trillerpfeife am Rand stand und Schiedsrichter spielte, hatte mich bereits gesehen. Er lächelte kurz, eher sich wieder auf das Spiel konzentrierte. Würde ich jetzt einfach umdrehen, würde das Ganze mehr als komisch aussehen.

Mit geneigtem Kopf schlenderte ich auf Mr. Graham zu. Ich dachte kurz darüber nach, mich auf eine andere Bank zu setzen, doch würde das wohl noch viel peinlicher wirken, als sich einfach zu ihm zu setzen. Außerdem musste ich mir eingestehen, dass er ziemlich gut anzusehen war, wie er mit konzentrierter Miene das Buch verschlang. Seine Brille rutschte ihm währenddessen immer wieder die schön geschwungene Nase hinunter, was ihn dazu zwang, sie immer wieder zu richten.

Ich bemerkte gar nicht, wie ich ihn anstarrte. Aber es gab gerade sowieso niemanden, der das sehen konnte. Warum also nicht ausnutzen?

Inzwischen war ich an seinem Platz angekommen und schaute schüchtern zu Boden.

"Hey.", murmelte ich verlegen, ließ mich auf den äußersten Rand der Bank sinken und starrte auf das Fußballfeld, als würde mich gar nicht interessieren, dass er neben mir saß. Aus dem Augenwinkel sah ich, wie Mr. Graham seinen Kopf hob, und mich musterte.

"Hey.", entgegnete er knapp, eher er einfach weiter las. Vermutlich saß er nicht ohne Grund so einsam hier. Ihm schien wohl nicht nach Reden zumute. Dachte ich jedenfalls einen kurzen Moment, bis ich vom Gegenteil überzeugt wurde.

Keine Minute später nämlich, schlug er sein Buch zu und legte es neben sich, als hätte er jetzt erst realisiert, dass ich mit ihm hier saß. Noch immer verfolgte ich den Ball mit meinen Augen, um uninteressiert an ihm zu wirken.

"Wieso bist du nicht bei den Anderen?", hörte ich ihn fragen. Seine Stimme klang rau und sanftmütig.

Kurz blickte ich zur Seite, nur um dann sofort wieder seinem Blick auszuweichen. Ich konnte ihn nicht ansehen, ohne nervös zu werden.

"Ich brauch' ein bisschen Ruhe.", versuchte ich möglichst cool zu sagen. Und ich glaube das gelang mir sogar relativ gut.

Mr. Graham lächelte müde. "Bei dem ganzen Lärm - verständlich." Ich erwiderte das Lächeln.

"Geht mir nicht anders.", fügte er leise hinzu. Er sah so niedlich aus, wie er neben mir saß, mit den Füßen auf und ab wippte und seinen Blick auf den Boden gerichtet hatte. Wie ein kleiner, verträumter Junge.

Wir schwiegen...

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