Teil 16

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Mary Henk

Die Sonne brannte wie Feuer auf der Haut und wir waren noch nicht mal zehn Minuten auf unserem Wanderweg. Meine Wut hatte sich in pure Erschöpfung verwandelt. Was ich brauchte waren dringend ein paar Stunden Schlaf.

Allerdings störte es mich im Moment trotzdem, durchgehend die Stimme von Mr. Johnson zu hören, welcher direkt hinter mir spazierte und sich wieder mit irgendwelchen Jungs unterhielt. Momentan hatte ich echt genug von seinen unlustigen Witzen und dem flachen Humor, der mich sonst eher zum lachen brachte.

Neben mir quälte Amy sich den immer steiler werdenden Bergweg hinauf. Wir waren so außer Atem, dass wir gar nicht die Kraft hatten uns zu unterhalten. Mit so einer enormen Hitze hatten wir hier oben wirklich nicht gerechnet.

Amy wurde unwillkürlich immer schneller, sodass ich irgendwann alleine hinter ihr lief. Doch nicht sehr lange, denn Mr. Johnson nutzte die Gelegenheit sofort, um ihren Platz neben mir einzunehmen. Obwohl ich ihn sofort bemerkte konzentrierte ich mich mühsam auf den Weg, der vor mir lag, und versuchte so gut es ging ihn zu ignorieren. Als er mich dann aber ansprach blieb mir natürlich nichts anderes übrig, als zu reagieren.

"Ich mein' das wirklich nicht böse.", gestand er ehrlich. Er klang so, als würde er sich bei seiner Freundin entschuldigen, nachdem er große Scheiße gebaut hatte. Ich unterdrückte ein Lächeln. Natürlich wusste ich, dass er das nicht böse gemeint hatte. Und trotzdem war ich immer noch eingeschnappt. Ich hatte schon einen Vater, da brauchte ich nicht noch einen. Und schon gar nicht meinen Lehrer.

Ich erwiderte nichts.

"Ich hab mir diese Regeln nicht ausgedacht.", fuhr er fort. Einen kurzen Moment schenkte ich ihm einen Seitenblick. Im Gegensatz zu mir war er noch völlig bei Kräften.

"Weiß ich doch.", murmelte ich. Hoffentlich würde das Gespräch bald beendet sein, ich hatte nämlich wirklich keine Ahnung was ich ihm weiter sagen sollte.

Kurze Zeit schwieg er. Zu meiner Erleichterung. Ein paar Leute hatten uns inzwischen überholt, sodass wir fast ganz hinten gingen. Von Amy war nichts mehr zu sehen. Generell sah ich Niemanden mehr, mit dem ich wenigstens ein paar Worte hätte wechseln können. Meine gesamte Klasse schien an der Spitze zu laufen. Umso abgeschirmter wir waren, umso nervöser wurde ich.

"Ich kann dir natürlich nicht vorschreiben, was du zu fühlen hast.", begann er weiter zu reden. Jetzt wurde ich gespannt. "Aber wenn ich dir einen guten Rat geben darf.. so von Mann zu Frau, dann kann ich nur sagen, dass man Gefühlen nicht immer die Kontrolle über sich geben darf." Ich runzelte die Stirn, ahnungslos was er mir damit hatte sagen wollen. Ich kam mir vor als würde ich mir gerade von meinem Vater anhören müssen, was ich zu tun und zu lassen hatte. Wobei ich den versuchten, nett gemeinten Ratschlag auch irgendwie sehr freundlich von ihm fand.

"Lass dich nicht von deinen Gefühlen verwirren meine ich. Du kennst diesen Mann und seine Absichten nicht. Auch wenn er noch so nett erscheint.", schloss er sein väterliches Gerede ab. Ich hatte wirklich Mühe diese Worte anzunehmen, ohne mich darüber aufzuregen. Natürlich kannte ich Sean kaum, aber trotzdem war ich doch kein dummes Kleinkind was bei einem alten Mann mitging, weil er mir Süßigkeiten angebot. "Ich bin kein Kind mehr.", stieß ich kühl hervor. Ich hatte keine Ahnung wo ich plötzlich diesen Mut hernahm, vermutlich hatte ich so sehr das Gefühl gehabt, mein Vater hatte mir gerade diese Worte gesagt, dass ich ganz vergessen hatte, dass es Mr. Johnson war, der gerade neben mir herging.

Er lächelte schwach. "Das ist mir bewusst. Darum geht es auch gar nicht. Das Alter spielt dabei keine Rolle." Er seufzte. "Ich meine das grundsätzlich. Schenk niemandem Vertrauen ohne dabei kritisch zu denken. Man kann nie wissen, welche dunklen Seiten eine fremde Person verbirgt." Jetzt war ich es, die lachen musste.

"Sie hören sich an wie mein Vater." Er grinste. "Das ist das grauenvollsten, was mir je jemand gesagt hat." Ich musterte ihn nachdenklich. Eigentlich hatte er das Ganze wirklich nur gut gemeint. Und eigentlich war er auch ziemlich in Ordnung.

"Kann man auch als Kompliment betrachten. ", versuchte ich die Sache wieder gut zu machen. "Sie würden sicher keinen schlechten Vater abgeben mit solchen lehrreichen Reden." Ich musste selbst über meine Worte lachen, genau wie er.

"Herzlichen Dank.", scherzte er. Wir hatten uns unbewusst wieder mehr in die Menge begeben, sodass ich Amy, Emma und Lisa etwas weiter vorn entdecken konnte. Mr. Johnson schien sofort zu merken, wie sehr es mich drängte zu ihnen hinzueilen.

"Geh schon.", entließ er mich aus der Unterhaltung. "Aber merk' dir meine Worte!" Ich sah ihn ein letztes Mal an, lächelte kurz und lief davon zu meinen Freundinnen. Ein kleiner Stein fiel mir vom Herzen, als ich endlich von Mr. Johnson weg war. Kein weiteres, fürsorgliches Gerede mehr für's erste.

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Ich war fix und fertig, als wir nach geschlagenen drei Stunden oben auf der Bergspitze ankamen. Alle hatten sich sofort irgendwo ins Gras fallen lassen, und literweise Wasser in sich hineingeschüttet.

Meine Klamotten klebten mir am Körper, so sehr hatte die Anstrengung mich zum schwitzen gebracht. Erleichtert ließ ich mich rücklings ins Gras fallen und schloss einen Moment lang meine Augen. Auf der Stelle hätte ich hier oben einschlafen können. Und mir schien es nicht als Einzige so zu gehen, wie ich bemerkte, als ich mich wieder aufsetzte. Nur einige Meter von mir entfernt saß Mr. Graham im Gras, gegen einen Wegweiser gelehnt. Sein Kopf war leblos zur Seite geneigt, seine Augen geschlossen. Ich konnte nicht anders als zu grinsen. Wie ein Engel schien er zu schlafen, völlig unschuldig und friedlich. Am liebsten hätte ich eine Decke über ihn gelegt, um ihm den Schlaf angenehmer zu machen. Er hatte ja keine Ahnung wie niedlich er gerade aussah. Viel zu lange starrte ich ihn an. So lange, dass er abrupt aufschreckte und mich ansah, als hätte er mit geschlossenen Augen meinen Blick auf sich gespürt. Ich lächelte ihm unwillkürlich zu, worauf er verwirrt reagierte. Er schien noch gar nicht wieder zum Denken fähig zu sein, so tief musste er weggenickt gewesen sein. Ich wunderte mich über mich selbst. Normalerweise hätte ich niemals den Mut aufbringen können auch noch zu lächeln, wenn mich jemand beim Starren erwischt hatte. Doch in diesem Moment war ich so verzaubert von diesem schlafenden Gesicht gewesen, dass ich vollkommen abgeschaltet hatte.

■ I might be in love ■Where stories live. Discover now