Teil 11

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Ich stellte fest, dass der Unbekannte mich von der Seite musterte. Mein Herz raste. Wenn ich eins hasste, dann mit Fremden zu sprechen. Auch, wenn dieser Fremde ein gutaussehender Kerl war. Umso schlimmer eigentlich, denn umso nervöser wurde ich. Ich betete in Gedanken, dass er endlich aufhören würde mich anzusehen.

"Darf ich deinen Namen erfahren?", fragte er plötzlich. Er hatte einen leichten Akzent, allerdings klang dieser eher britisch als österreichisch. Mein Gesicht glühte, als ich ihn jetzt wieder ansah. Er saß so dicht neben mir, dass ich seine langen Wimpern hätte zählen können.

"Mary.", sagte ich schnell. Sein Grinsen verstärkte sich. "Gefällt mir." Ich lächelte nervös.

"Ich bin Sean.", stellte er sich unaufgefordert vor und hielt mir seine braungebrannte Hand entgegen. Mein Gesicht musste rot sein wie eine Tomate, als ich nach seiner Hand griff und sofort die wohlige Wärme spürte, die von ihm ausging. Er war wirklich ziemlich attraktiv, vor allem sein Lächeln, welches ihm die ganze Zeit im Gesicht stand.

Seine Hand löste sich langsam wieder von meiner. Meine Augen verloren sich kurz in seinen, da ich nicht anders konnte als seine knallige Augenfarbe zu bewundern. "Wie das Mittelmeer hab' ich mir sagen lassen.", riss er mich aus meinen Gedanken. Peinlich berührt wandte ich meinen Blick von seinen Augen ab, da ich nun wusste, dass er bemerkt hatte, wie sehr ich sie bewundert hatte.

Er lachte leise.

"Seid ihr auf Klassenreise?", fragte er weiter. Ich nickte. Wieder erkundeten meine Augen die Umgebung. Niemand schien auf uns Beide zu achten, nicht mal Amy. Sie war so damit beschäftigt im Mittelpunkt der Jungen zu stehen, dass sie um sich herum sowieso gar nichts mehr mitbekam. Mr. Graham allerdings konnte irgendwie nicht aufhören von seinem offenen Buch zu uns aufzusehen. Es gefiel ihm gar nicht, dass ich mit einem fremden Mann sprach. Kein Wunder, wir hatten vor der Reise sicher über eine Stunde in der Klasse besprochen, dass wir uns von Fremden fernhalten, und nur in der Gruppe bleiben sollten. Allerdings konnte mir wohl keiner verbieten, ein paar Worte mit einem netten Mann zu wechseln.

"Dann ist der wohl dein Lehrer?", holte er mich erneut aus meinen Gedanken und deutete unauffällig auf Mr. Graham. Ich lächelte gequält. "Offensichtlich, oder?" Sean lachte erneut.

"Es scheint ihm nicht zu gefallen dich mit mir zu sehen.", stellte er sofort fest. "Es wurde uns eigentlich untersagt mit Fremden zu sprechen.", erklärte ich. "Ist wohl einige Male was passiert." Sean nickte nachdenklich, dann lächelte er wieder.

"Da hab' ich ja Glück, schließlich bin ich jetzt kein Fremder mehr.", scherzte er. Ich genoss es offen gestanden sehr, wie er mit mir sprach. Er versuchte mich zum lachen zu bringen und das gefiel mir. Vor allem weil er so ziemlich der Erste war, der sich irgendwie für mich interessierte und zudem noch gut aussah.

"Stimmt.", gab ich ihm Recht, auch wenn ich wusste, dass er das natürlich nicht ernst gemeint hatte.

"Wie alt bist du eigentlich?", fragte er neugierig. Ich zögerte kurz. Womöglich würde er mich sofort in Ruhe lassen, wenn ich jetzt erzählte, dass ich noch minderjährig war. "17."

Sean nickte wieder nachdenklich. Ich schluckte. "Und du?", traute ich mich schließlich zu fragen, bevor er mich wegen meines Alters alleine hier sitzen lassen würde.

"22.", sagte er und grinste. "Im Kopf also wahrscheinlich nicht viel weiter entwickelt als du, wir Männer hängen ja laut Gerüchten immer hinterher." Mir entwich ein herzliches Lachen. "Das ist wohl wahr."

Wieder verlor ich mich einige Zeit in seinen Augen. In mir kribbelte alles. Es war so schön mit ihm gemeinsam hier zu sitzen und zu lachen, obwohl wir uns gerade erst kennengelernt hatten.

"Du gefällst mir wirklich sehr.", flüsterte er etwas. Wieder spürte ich die Röte in meinem Gesicht. Ich fand keine passende Entgegnung, doch die brauchte ich auch nicht mehr. Im selben Moment kam nämlich Amy mit Emma auf uns zu, beide tropften vor Nässe.

Noch bevor ich ein Wort sagen konnte, nahm Sean sich sein Handtuch, stand auf und ging. Ich sah ihm überrascht nach, bis Amy mich aufgeregt konfrontierte.

"War das etwa der Typ von der Rezeption!?", schrie sie ganz aufgeregt. Ich verkniff mir ein Grinsen. "Ja, war er."

Amy platzte beinahe vor Neugier und vor Eifersucht. "Was wollte er? Wie heißt er? Was hat er gesagt?"

Ich schüttelte lachend meinen Kopf. "Nichts besonderes, er hat sich nur vorgestellt.", spielte ich die Situation ein wenig runter. Ich hatte keine Lust, dass Amy mir auch diesen Kerl vor der Nase wegschnappen würde. Das wäre nämlich wirklich nicht das erste Mal, dass mir jemand gefiel und sie ihn dann mit ihrem Scharm um den Finger wickelte.

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Einige Stunden später saßen alle auf ihren Zimmern. Das Abendessen war längst vorbei und die Nachtruhe stand schon bevor. Wir alle trugen bereits gemütliche Kleidung zum schlafen, hatten geputzte Zähne und waren umhüllt von unseren Bettdecken.

"Ich wette Joana geistert diese Nacht durch die Flure und 'verirrt' sich in das Zimmer von Mr. Graham!", fantasierte Amy, und musste letztendlich über sich selbst lachen.

"Oder sie lauert schon in seinem Zimmer und wartet bis er ins Bett geht.", schlug Lisa vor. Wir lachten. Joana war einfach nicht einzuschätzen, sie war zu allem fähig.

Unser Gespräch wurde unterbrochen, als es an die Tür klopfte. "Herein.", schrie Amy, ohne vorher nachzudenken. Wir alle blickten gespannt zur Tür, die sich langsam öffnete.

Es war Mr. Graham, dessen Kopf sich vorsichtig durch den Spalt zwischen Tür und Türrahmen schob. Er trug seine Brille nicht mehr, wodurch er ungewohnt anders aussah, als sonst.

"In zehn Minuten ist Nachtruhe.", verkündete er müde. Wir nickten synchron. "Morgen früh um 8:00 Uhr gibt es Frühstück.", fügte er hinzu. Sein Blick ruhte einige Sekunden auf mir. Es schien ihm etwas auf der Zunge zu brennen, doch er sprach es nicht aus. Stattdessen lächelte er schwach. "Gute Nacht."

"Gute Nacht Mr. Graham!", rief Amy zurück, dann zog er seinen Kopf aus der Tür und verschwand. Ich wurde das Gefühl nicht los, dass er mich wegen Sean hatte ansprechen wollen. Ich sollte mich in Zukunft sicher von ihm fernhalten, dass hatte er mir sagen wollen. Doch so lange er es mir nicht wörtlich gesagt hatte, würde ich es auch nicht einhalten. Wenn ich ihn überhaupt nochmal alleine antreffen würde.

Amy und die Anderen kicherten plötzlich. "Ich hoffe er stand nicht die ganze Zeit im Flur als wir unsere Theorien über Joana aufgestellt haben.", prustete Emma. Ich lächelte müde, wie immer, wenn ich keinen Grund fand um mit zu lachen, aber dennoch nicht eiskalt erscheinen wollte. In manchen Dingen unterstützte ich einfach nicht denselben Humor wie die Anderen.

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