I9.

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Als ich wach werde brummt mein Kopf und mein ganzer Körper schmerzt. Es riecht nach Desinfektionsmittel. Ich höre regelmäßig ein leises Piepen und ein gleichmäßiges Atmen direkt neben mir.

Ich scheine in einem Krankenhaus zu sein, aber wie zur Hölle bin ich hierhin gekommen?

Je länger ich darüber nachdenke, desto mehr Bilder kommen in meinem Kopf. Kitty und ich im Infinity, wie wir lachen und tanzen. Walid und ich, wie wir uns küssen. Kitty und ich im Taxi. Ein rotes Auto, welches frontal auf uns zurast.

Dann ein lauter Knall. Überall Scherben. Blut an meinen Händen. Kitty voller Blut. Blaulicht und Sirenen. Das war's. An mehr kann ich mich nicht erinnern, egal wie sehr ich mich anstrenge.

Alles was ich aus diesen kleinen Erinnerungfetzen schlussfolgern kann, ist, dass wir einen Autounfall hatten und ich nun im Krankenhaus liege.

Mir tut alles weh, aber zum Glück lebe ich noch. Ich lebe doch, oder? Panik steigt in mir auf. Ich versuche erneut meine Augen zu öffnen, aber es gelingt mir nicht.

Wenn ich nichts sehen kann, bin ich doch bestimmt tot. Ich spüre eine warme Träne über meine rechte Wange laufen. Dann schlafe ich erschöpft wieder ein.

Als ich das nächste Mal aufwache, vernehme ich zwei mir vertraute Stimmen, die sich fast flüsternd unterhalten.

Diese beiden Stimmen erkenne ich auch blind - sie gehören Abbas und Walid.

Ich lausche angestrengt, um zu verstehen, was die beiden sagen.

Abbas flüstert leise: "Ich hätte sie nicht so verrückt machen dürfen wegen diesem beschissenen Maserati. Ich habe sie total verunsichert, sodass sie sich nicht getraut hat, damit zu fahren, sonst wäre sie doch niemals mit dem Taxi gefahren. Oder ich hätte sie bringen und abholen müssen, wie oft hat sie das für mich getan? Sie ist so ein Engel und ich bin Schuld daran, dass sie jetzt hier liegt."

Dann ertönt leise Walids Stimme: "Nein, das stimmt nicht. Wenn jemand Schuld ist, dann ich. Sie hat an dem Abend getrunken, schon bevor sie ins Infinity kam. Sie hätte so oder so nicht fahren können, nicht den Maserati und auch kein anderes Auto. Ich hätte sie persönlich nachhause fahren sollen. Ich hätte die beiden nicht mit dem Taxi fahren lassen dürfen. Und außerdem hat sie sowieso nur wegen mir getrunken. Hätten wir uns nicht gestritten, hätte sie überhaupt nicht getrunken, und dann hätte sie auch selbst fahren können und zwar mit meinem Auto."

Abbas fragt nun neugierig: "Was war denn eigentlich los? Wieso habt ihr euch gestritten? Sie hat mir das nicht erzählt. Sie kam gestern morgen mit verheulten Augen in den Garten, aber wollte nicht drüber reden. Abends hat sie mich dann angerufen und meinte, dass sie mein Auto braucht und deins nicht mehr hätte. Aber auch da wollte sie nicht darüber reden."

"Wir haben uns gestritten, weil ein Mitarbeiter von mir mein Auto nachts vor dem Club gesehen hat. Ich lag aber längst im Bett und Lilli hatte das Auto. Ich hab mich vorgeführt gefühlt und Angst bekommen, dass sie mich verarscht. Dann habe ich sie angerufen und zur Rede gestellt. Anstatt sie erstmal zu fragen, wieso sie dort war, habe ich sie direkt mit Vorwürfen bombardiert. Daraufhin ist sie wütend geworden und meinte, dass es wohl besser sei, wenn wir getrennte Wege gehen, da ich ihr anscheinend nicht vertraue. Ich habe ihr zugestimmt und wollte sie erstmal zur Ruhe kommen lassen. Stattdessen ist sie dann mitten in der Nacht zu mir gefahren, hat mir meine Autoschlüssel hingeschmissen und mir eine Ohrfeige gegeben", klärt Walid meinen großen Bruder über die Geschehnisse auf.

Fassungslos fragt Abbas: "Was hat sie? Lilli? Das kann ich mir gar nicht vorstellen."

"Ja, Lilli. Wir haben uns aber ausgesprochen und versöhnt. Ich war voller Hoffnung, dass jetzt endlich alles gut wird und dann kam dein Anruf, dass sie einen Unfall hatte und im Krankenhaus liegt. Da ist meine Welt zusammengebrochen", sagt Walid und ich höre deutlich den Schmerz in seiner Stimme.

Sofort ermahnt Abbas ihn: "Walid, hör auf so zu reden. Lilli lebt, ihr geht's gut. Sie hat Verletzungen, aber die werden auch wieder verheilen und dann könnt ihr bis an euer Lebensende inschallah glücklich und zufrieden zusammen sein."

"Inschallah", wiederholteWalid leise.

Ich nehme all meine Kraft zusammen und öffne meine Augen. Das helle Licht schmerzt in meinen Augen, sodass ich zu blinzeln beginne. Mein Hals kratzt und ich räuspere mich leise.

Walid und Abbas springen sofort von ihren Stühlen am Fußende meines Bettes auf und stellen sich neben mich.

Jeder nimmt eine meiner Hände und aufgeregt plappern sie durcheinander: "Lilli, wie geht's dir? Wie fühlst du dich? Hast du Schmerzen? Brauchst du was?"

Ich bekomme kaum einen Ton raus und flüstere schwer verständlich: "Wasser. Wasser bitte."

Abbas nimmt sofort eine Wasserflasche vom Nachttisch und kippt mir etwas in ein kleines Glas. Dann hebt er behutsam meinen Kopf an und hilft mir etwas zu trinken. Das kalte Wasser durchspült meine Kehle und ich fühle mich augenblicklich besser.

Walid verlässt das Zimmer und kommt kurz darauf mit einer jungen Ärztin zurück. Sie sagt: "Hallo Frau El-Habib. Mein Name ist Frau Doktor Langen. Sie sind hier, da sie gestern einen Autounfall hatten. Wie geht es ihnen? Haben sie Schmerzen?" Ich nicke nur.

"Sie sind zum Glück nur leicht verletzt. Sie haben zwei geprellte Rippen und eine leichte Gehirnerschütterung, sowie Schürfwunden und Hämatome an Armen und Beinen. Alles in allem hatten sie wirklich einen Schutzengel. Wir würden sie gerne noch zwei Tage zur Beobachtung hier behalten, aber danach können sie ohne Bedenken nachhause entlassen werden. Für die nächsten zwei Wochen steht aber absolute Schonung auf dem Plan und in den ersten Tage am besten auch noch strenge Bettruhe."

Dann sagt sie mit einem Blick auf Walid und Abbas: "Sie haben ja zwei starke Herren, die sie in dieser Zeit versorgen können." Ich grinse und die beiden versichern der Ärztin sofort, dass sie dies tun werden.

Ich räuspere mich und frage mit krächzender Stimme, was mir schon die ganze Zeit auf meinem Herzen liegt: "Kitty?"

Die Ärztin schaut fragend zu Abbas, der ihr erklärt: "Ich denke sie meint ihre Freundin Katharina Sanchez, mit der sie gemeinsam den Unfall hatte. Können sie uns etwas über ihren Zustand sagen?"

Die Ärztin schiebt ihre Brille zurecht und antwortet leise: "Eigentlich darf ich ihnen solche Informationen aus datenschutzrechtlichen Gründen nicht mitteilen. Da sie aber gemeinsam verunglückt sind, mache ich mal eine Ausnahme. Ihre Freundin hatte nicht so viel Glück wie sie. Sie hat ein Schleudertrauma sowie Knochenfraktionen an Unterarm und Handgelenk. Alles in allem geht es aber auch ihr den Umständen entsprechend gut. Sie wurde gestern notoperiert und ist in einem stabilen Zustand. Trotzdem wird Frau Sanchez uns hier etwas länger mit ihrer Anwesenheit beehren müssen als sie."

Ich bin erleichtert und traurig zugleich. Traurig, dass es ihr so schlecht geht, und erleichtert, dass es ihr nicht noch schlechter geht. Die Ärztin untersucht mich noch kurz, verabschiedet sich dann und verlässt wieder das Zimmer.

Abbas bleibt noch eine gute halbe Stunde und verabschiedet sich dann, da er noch zur Arbeit musst.

Als Walid und ich alleine sind, nimmt er meine Hand und drückt mir einen sehr langen Kuss auf die Stirn. "Ich hatte solche Angst um dich, bitte mach sowas nie wieder", sagt er mit verzweifelter Stimme.

Meine Stimme kommt langsam wieder zurück, wenn auch noch kratzig und so antworte ich: "Versprochen und jetzt mach dir keine Sorgen mehr, mir geht es gut."

Walid bleibt noch bis zum späten Abend bei mir. Nachmittags holt er Nudeln von einer Pizzeria und wir essen gemeinsam. Wir reden so gut es geht miteinander und zwischendurch schlafe ich ein wenig, aber Walid weicht nicht eine Sekunde von meiner Seite.

Abends verabschiedet er sich nur schweren Herzens von mir. Ich habe das Gefühl, er wäre am liebsten auch noch über Nacht an meinem Bett sitzen geblieben. Er verspricht mir, morgen gleich wieder zu kommen und ich freue mich schon jetzt darauf, ihn wieder zu sehen.

In meinem Herzen nur duWhere stories live. Discover now