47.

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Meine Brüder schweigen und tauschen bestürzte Blicke aus. Ich gehe einen Schritt auf sie zu und wiederhole lauter und leicht hysterisch: "Abbas, Momo, was ist passiert?"

"Lilli, setz dich erstmal..", sagt Abbas leise und nicht besonders energisch.

"Nein, ich will mich nicht setzen. Ich will sofort wissen, was passiert ist!"

Dann fällt es mir wie Schuppen von den Augen und ich rufe laut: "Baba! Es ist was mit Baba! Was ist passiert? Jetzt klärt mich doch endlich auf, verdammt!"

Abbas holt tief Luft. "Baba hatte einen Herzinfarkt Lilli. Er ist vorhin im Gerichtssaal zusammen gebrochen. Er wird heute noch notoperiert. Moe ist daraufhin sofort hierhin geflogen um uns zu benachrichtigen und einige wichtige Papiere zu holen."

Ich schlucke. Das kann nicht wahr sein. Ich blicke zu Momo, der wie ein Häufchen Elend da sitzt und sich mit einer Hand durch die Haare fährt.

Momo hat eine sehr enge Bindung zu unserem Vater. Im Gegensatz zu uns hat er seine ganze Kindheit mit ihm verbracht und arbeitet nun seit Jahren mit ihm in seiner Kanzlei. Er ist mehr bei ihm im Libanon als in München.

Abbas hingegen war immer ein Mama-Kind. Er war sieben Jahre alt als sie starb und ist nie darüber hinweg gekommen. Er vergötterte sie und wenn er von ihr spricht, was er sehr selten tut, kann man in jedem Wort seine Liebe zu ihr hören.

Ich kann mir vorstellen, was Babas Herzinfarkt in ihm für eine Panik auslösen muss, durch den Tod unserer Mutter hat er sowieso schon seit seiner Kindheit starke Verlustängste.

Ich hingegen habe an unsere Mutter keinerlei Erinnerung. Alles was ich von ihr weiß entspricht Bildern oder Erzählungen. Das ist schrecklich für mich und ich bin oft neidisch auf meine Brüder, dass sie sie so lebhaft in Erinnerung haben.

Unser Vater war zwar ständig weg und versuchte das oft mit Geschenken auszugleichen, trotzdem ließ er nie einen Zweifel daran, dass er uns über alles liebt und wenn wir ihn brauchten, war er immer sofort da.

Er würde Himmel und Hölle in Bewegung setzen, damit es uns an nichts fehlt.

Ich laufe zu Momo und lasse mich neben ihn auf die Couch fallen. Dann streichele ich liebevoll durch seine Haare und frage besorgt: "Moe, wie geht's Baba denn jetzt?"

Leise antwortet er: "Er ist stabil, aber muss heute noch operiert werden. Die Ärzte sagen, er hat gute Chancen und wird wohl keine Folgeschäden davon tragen, vorausgesetzt die Operation verläuft wie geplant, aber er wird kürzer treten müssen in nächster Zeit."

"Das wird schon wieder, Momo. Baba ist zäh, das weißt du doch", versuche ich ihn zu beruhigen und streichele seinen Arm.

Abbas setzt sich neben mich und lehnt seinen Kopf an meine Schulter. Ich streichele auch ihm über den Kopf und drücke ihm einen Kuss auf die Wange. "Alles wird gut, Abbas, okay?", sage ich aufmunternd. Er nickt nur stumm.

Als Abbas sich ein wenig beruhigt hat, kündigt er an: "Lilli, Momo fliegt in zwei Stunden zurück nach Beirut und ich werde ihn begleiten."

Ich zucke mit den Schultern und sage: "Gut, ich werde euch auch begleiten. Ich gehe schnell hoch und packe das Nötigste ein und dann können wir los."

Ich merke, dass mein Vorschlag Abbas erleichtert. Er hat mich immer gerne in seiner Nähe, auch um auf mich aufzupassen, aber gerade wohl eher, weil er mich braucht.

Ich gehe nach oben und werfe wahllos Jeans, Pullover, Jacken, Schals, Schuhe und Taschen in meinen großen rosegoldenen Koffer. Dann nehme ich aus meiner Kommode meinen Reisepass und ausreichend Bargeld und stecke alles zu meinem Portemonnaie in meine Handtasche.

In meinem Herzen nur duWo Geschichten leben. Entdecke jetzt