2O.

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Am nächsten Morgen klopft es schon früh an der Tür meines Krankenhauszimmers. So früh habe ich keinen Besuch erwartet.

Langsam öffnet sich die Tür und Leo tritt herein. Er sieht gelinde gesagt ziemlich beschissen aus. Er ist blass und unter seinen Augen liegen dunkle Schatten.

"Oh, hoher Besuch. Du lebst also noch", begrüße ich ihn bissig. Mit ihm habe ich wirklich nicht gerechnet, nachdem er sich so lange nicht gemeldet hat. Leo wendet beschämt seinen Blick von mir ab.

"Wie kommt's? Ich dachte schon, du kennst mich nicht mehr", frage ich frech.

Leo kratzt sich verlegen am Kinn und antwortet reumütig: "Es tut mir leid, dass ich mich in den letzten zwei Wochen so rar gemacht habe. Mir ging es nicht gut. Abbas hat mir gestern geschrieben, dass du einen Unfall hattest. Ich bin sofort zum Flughafen gefahren und habe den nächsten Flug nach München genommen. Wie geht es dir? Was ist denn passiert?"

Ich erzähle ihm: "Kitty und ich waren im Infinity. Wir haben beide getrunken und Walid wollte uns nachhause fahren. Dann hat Kitty sich jedoch übergeben und wir wollten sofort weg. Da Walid noch etwas zu tun hatte, haben wir ein Taxi genommen. Auf dem Weg zu Kitty ist das Taxi dann frontal mit einem roten Auto kollidiert. Mehr weiß ich selbst nicht."

Leos Kiefer spannt sich an. Nervös spielt er an seinen Fingern. Etwas quält ihn offensichtlich und ich weiß genau was es ist, auch wenn er es nicht ausspricht.

Ich nehme mein Handy vom Nachttisch und klicke auf Kittys WhatsApp Chat. Kitty und ich haben gestern schon bei WhatsApp geschrieben, da die Krankenschwestern weder Kitty noch mich aus unseren Zimmern lassen.

Ich starte heimlich eine Sprachnachricht und lege dann mein Handy umgedreht neben mich. "Ihr geht es gut", antworte ich nun auf seine unausgesprochene Frage.

Leos Gesicht erhellt sich. "Zumindest körperlich", füge ich hinzu. Seine Mundwinkel sinken wieder nach unten.

"Wen versuchst du eigentlich zu belügen, Leo? Mich oder Kitty oder doch dich selbst? Es sieht doch jeder Blinde, dass du in sie verliebt bist. Was soll dann die ganze Scheiße? Wieso hast du dich nicht ein einziges Mal bei ihr gemeldet? Ist es so schlimm für dich, Gefühle zuzulassen? Passt das nicht zu deinem Image? Hast du Angst, verletzt zu werden, weil dir das erste Mal jemand was bedeutet? Oder ist es wegen deinem Job? Hast du Angst, Karriere und Beziehung nicht unter einen Hut zu bekommen? Was zur Hölle ist dein scheiß Problem? Rede endlich, bevor du Kitty UND mich verlierst!", fahre ich ihn wütend an.

"Nein, Lilli, so ist es nicht. Ich habe keine Angst. Ja, ich mag Kitty und ich wollte ernsthaft mit ihr versuchen, eine Beziehung einzugehen, aber dann ist mir was dazwischen gekommen", rechtfertigt er sich stammelnd.

"Und was Leo? Was ist dir dazwischen gekommen? Dein Job mal wieder? Oder eine andere Frau für eine Nacht?", frage ich provokant.

In dem Moment platzt es aus ihm heraus: "Mein Sohn!", schreit er und ist selbst geschockt, diese Worte aus seinem Mund zu hören.

"Wie dein Sohn? Welcher Sohn?", frage ich ungläubig.

Leo nimmt all seinen Mut zusammen und erklärt: "Ja, mein Sohn. Vor zwei Wochen, nachdem ich bei Kitty war, bin ich nachhause gefahren. Zuhause checkte ich mein Firmenhandy und hatte einen Anruf von Isabelle. Isabelle habe ich letztes Jahr auf einer Geschäftsreise in Lissabon kennen gelernt. Wir hatten einige Wochen eine Affäre, aber seitdem keinen Kontakt mehr. Ich rief sie zurück und sie erzählte mir, dass sie im letzten Monat ein Kind bekommen hat. Ich dachte mir nichts dabei sondern fragte nur, wieso sie mir das erzählte. Dann sagte sie: "Es ist ein gesunder kleiner Junge mit strahlend blauen Augen. Ich habe ihn Milo genannt." In dem Moment ging mir ein Licht auf. Sie bestätigte meine Gedanken, indem sie sagte: "Leo, es ist dein Sohn." Ich wurde total wütend und stellte sie zur Rede, wieso sie mir erst jetzt davon erzählte. Sie sagte mir, dass sie kurz vorher eine Beziehung mit einem anderen Mann hatte und sich sicher war, dass er der Vater sei. Es kam jedoch heraus, dass der Arzt sich bei dem errechneten Geburtstermin vertan hatte. Als der Kleine geboren wurde, hat sie sofort einen Vaterschaftstest gemacht und der stellte heraus, was sie da schon vermutet hatte. Ihr Exfreund war nicht der Vater. Also kam nur ich in Frage. Nach ihrem Anruf bin ich sofort nach Augsburg gefahren, wo die beiden leben. Sie bot mir sofort an, einen Vaterschaftstest zu machen, damit ich es schwarz auf weiß  habe. Das Ergebnis war klar: ich bin der Vater."

Ich kann gar nicht darauf antworten, ich bin absolut sprachlos.

Nach einer kurzen Pause redet Leo weiter: "Lilli, ich war total überfordert. Mein ganzes Leben wurde mit einem Anruf auf den Kopf gestellt. Ich war verzweifelt und am Boden zerstört bis ich den Kleinen das erste Mal auf dem Arm hatte. Ich war so stolz und verliebt wie noch nie zuvor. Er guckte mich mit seinen großen blauen Augen an und ich wusste, dass ich alles für ihn tun würde. Also setzten Isabelle und ich uns zusammen und besprachen alles. Ich kann ihn immer sehen, wann ich will. Wenn er älter ist, darf er auch alleine zu mir und wenn er groß genug ist, darf er bei mir übernachten. Wir treffen alle Entscheidungen zusammen. Isabelle und ich haben sofort am nächsten Tag das gemeinsame Sorgerecht beantragt. Wir verstehen uns super und machen dieses ganze Eltern-Ding echt ganz gut zusammen. Allerdings ist auch für uns beide klar, dass wir einfach nur Eltern sind und Freunde. Wir waren nie ein Paar und werden auch nie eins sein. Mein Herz ist bei einer anderen, aber vor allem ist es jetzt bei Milo."

Meine Sprachlosigkeit verwandelt sich in pures Glück. "Leo, das ist wunderschön was du sagst. Ich freue mich so sehr für dich. Herzlichen Glückwunsch! Ich hoffe, ich lerne deinen Kleinen ganz bald kennen. Aber Leo, wieso hast du denn nicht mit uns geredet? Das ist doch was Schönes. Wir hätten uns doch alle mit dir gefreut."

Leo antwortet: "Ja du vielleicht. Und die Jungs wahrscheinlich auch. Aber Kitty ganz sicher nicht. Anfangs war ich überfordert und habe mich zurück gezogen um das alles zu verarbeiten. Dann hab ich meine Zeit damit verbracht, meinen Sohn kennen zu lernen und mit Isabelle alles zu organisieren. Und dann hatte ich mich so lange nicht bei euch gemeldet und euch damit verletzt, dass ich mich einfach nicht mehr getraut habe. Außerdem habe ich natürlich Angst, wie Kitty darauf reagieren wird. Sie wird bestimmt nicht in ihrem Alter mit einem Mann zusammen sein wollen, der schon ein Kind mit einer anderen hat. Und das will ich ihr auch nicht zumuten."

In dem Moment fällt mir die Sprachnachricht wieder ein. Schnell nehme ich mein Handy und sende die Aufnahme ab.

Dann wende ich mich wieder Leo zu und sage: "Nein, das stimmt nicht Leo, so ist Kitty nicht. Sie ist selbst in einer Patchwork-Familie aufgewachsen. Du musst mit ihr reden und dann kann sie selbst entscheiden, was sie sich zumuten will und was nicht."

"Nein Lilli, das traue ich mich einfach nicht.." Ich nehme ihn in den Arm. Auf einmal hebt er den Kopf und fragt stolz grinsend: "Willst du mal Fotos sehen?"

Ich nicke überschwänglich. Leo holt sein Handy raus und zeigt mir mehrere Bilder seines Sohnes. Der kleine Milo ist ein traumhaft schönes Baby mit dunkelblonden Haaren und blauen Knopfaugen. Ich schmelze dahin.

In dem Moment klingelt mein Handy. Kitty. Ich gehe ran und sie fragt: "Ist er noch da? Dann stell mich mal bitte auf Lautsprecher."

Dann sagt sie: "Hey Leo, ich bin's Kitty. Es tut mir leid, aber Lilli hat dir die Aufgabe abgenommen, mit mir zu reden. Sie hat euer Gespräch aufgenommen und es mir geschickt. Gott sei Dank, denn du hättest ja wahrscheinlich nie mit mir geredet. Erstmal herzlichen Glückwunsch. Es gibt nichts Schöneres auf der Welt als Kinder. Ich habe großen Respekt davor, dass du dich so toll um den Kleinen kümmerst und bin überzeugt davon, dass du ein toller Papa bist. Ich möchte, dass du weißt, dass das niemals zwischen uns stehen wird. Ich bin die Letzte, die damit ein Problem hat. Der Kleine gehört zu dir, und damit - wenn du möchtest - auch zu mir. Das mit uns läuft jetzt schon so lange und ich möchte endlich, dass daraus eine richtige Beziehung wird. Lass es uns zumindest versuchen."

Leo antwortet erleichtert: "Wirklich? Bist du dir da sicher? Wenn es dir zu viel ist, kann ich das völlig verstehen."

"Nein Leo!", dringt es bestimmt durch den Lautsprecher. "Ich bin mir sicher."

Ich gucke Leo grinsend an und fragt: "Na los, worauf wartest du noch? Kitty liegt nur zwei Zimmer weiter. Geh und küss' deine Freundin."

Das lässt er sich nicht zwei Mal sagen. Er verabschiedet sich hektisch von mir und läuft zu Kitty. Diese sagt noch schnell: "Danke Lilli!", und legt dann auf.

Am Abend bekomme ich eine Nachricht von Kitty, in der sie mir nochmal bestätigt, was ich eh schon wusste. Die beiden haben den ganzen Nachmittag miteinander verbracht und sind nun endlich zusammen. Ich freue mich riesig für meine besten Freunde und schlafe glücklich ein.

In meinem Herzen nur duWo Geschichten leben. Entdecke jetzt