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Freitag, 22. April

,,Die Überlebenschancen des Jungen waren gleich Null. Er hätte es so oder so nicht geschafft, egal was ihr getan hättet“, sagte Namjoon leise.

,,W-...warum haben wir dann überhaupt operiert?! Wenn doch sowieso klar war, dass er sterben würde, warum haben wir den Eltern Hoffnungen gemacht?!“.

Ich schlug auf Namjoon ein, in der Hoffnung, dass mein Kummer dadurch verschwinden würde und anstatt mich festzuhalten, ließ er mich gewähren.

,,Solange der Patient lebt und er selbst oder die Verantwortlichen eine Operation verlangen, dann müssen wir diese auch durchführen, egal wie aussichtslos die Lage ist“, erklärte er.

Meine Fäuste landeten weiterhin auf seiner Brust und drückten meine Wut aus, die ich nicht kontrollieren konnte. Ich war so frustriert, dass sich mein Körper von alleine bewegte.

,,(Y/N). Ich habe dich dieser Operation zugeteilt, damit du lernst. In unserem Beruf haben wir es ständig mit dem Tod zu tun und Kinder sind da keine Ausnahme. Je früher du das begreifst, umso ausgezeichneter wirst du“, erklärte er. ,,Es tut mir leid, dass du das jetzt durchmachen musst aber du verstehst das doch, oder?“.

Ich schlug ihm noch ein letztes Mal auf die Brust und ließ meine Hände auf dieser ruhen. Schweigend nickte ich und starrte auf den grauen Boden, der langsam aufhörte sich zu bewegen. Erst jetzt wurde mir klar, dass mein Schwindelgefühl, das ich gar nicht bemerkt hatte, nachließ.

,,Ich will hier weg...sofort“, flüsterte ich und hob meinen Kopf, um ihn mit meinen verheulten Augen anzuschauen.

Er packte mich am Arm und führte mich durch einige Flure, ehe er stehen blieb und mich in einen Bereitschaftsraum zog, in dem es vollkommen dunkel war. Ich wurde von ihm sanft aufs Bett gedrückt und spürte nur wenige Sekunden später seine weichen Lippen an meinem Hals und seine Hände auf meiner Hüfte.

Wie gelähmt lag ich da und starrte schweigend an die Decke. Die Erinnerung an das breite Grinsen des kleinen Jungen hatte sich in mein Gehirn eingebrannt und ließ mich nicht in Ruhe.

,,N-Namjoon...“.

,,Ja?“, hauchte er gegen meine Haut.

,,Können wir...können wir einfach nur reden?“, fragte ich schon beinahe schüchtern. Es war merkwürdig, ihn um so etwas zu bitten. Hauptsächlich, weil wir nie viel miteinander redeten aber auch, weil ich diesen Moment gerade unterbrochen hatte. Doch mir war klar, dass Sex diesmal keine Lösung sein würde und meine Gefühle dadurch nicht verschwinden würden.

Namjoon entfernte seine Lippen von meinem Hals und legte sich zu meiner Überraschung neben mich. ,,Klar“, sagte er mit solch einer warmen Stimme, die mir aus irgendeinem Grund Angst einjagte.

Ich konnte meine Überraschung einfach nicht verstecken, weshalb ich ihn zuerst mit riesigen Augen und offenem Mund anstarrte.

,,Was denn? Ich bin kein sexsüchtiges Monster. Ich kann mich auch unterhalten“, bemerkte er lachend, was seine Grübchen zum Vorschein brachte.

Seit ich ihn zum ersten Mal gesehen hatte, habe ich mich gefragt, warum er eigentlich Chirurg geworden war. Er hätte sonst einen Beruf ausüben und so viel mehr Geld verdienen können, während er seine Freizeit genoss und andere für sich arbeiten ließ.

,,Warum...bist du eigentlich Arzt geworden?“, wollte ich wissen und ignorierte dabei seine vorherige Aussage, da sie mir ein wenig unangenehm war.

,,Meine ganze Familie besteht aus Ärzten. Schon vor meiner Geburt wurde entschieden, dass ich einmal ein Chirurg werden würde“, erzählte er.

,,Also wolltest du das alles gar nicht?“.

Er dachte eine Weile nach, bevor er meine Frage beantwortete. ,,Sagen wir es so. Hätte ich die Wahl gehabt, dann hätte ich mich wahrscheinlich für einen anderen Beruf entschieden aber das heißt nicht, dass ich meine Arbeit nicht liebe, auf keinen Fall. Dieser Job erlaubt es mir, Tag für Tag Leben zu retten und Menschen glücklich zu machen“, sagte er lächelnd und fuhr sich durch die blonden Haare.

Ich schaute ihm tief in die Augen, ehe ich mein Gesicht und meine Hände leicht gegen seine Brust presste. ,,Wieso hast du mir das eigentlich nie erzählt?“.

,,Du hast nie gefragt“, lachte er leise und legte seinen Arm um mich. ,,Versuch zu schlafen. Du hattest heute einen harten Tag“, flüsterte er und schloss ebenfalls die Augen.

Ich nickte und brachte ein leises "Danke" heraus, das er wahrscheinlich nicht einmal gehört hatte.

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Ich wachte aufgrund eines lauten Piepen auf und stellte fest, dass es Namjoons Pager war, der einen Notfall meldete.

Namjoon ließ mich los und sprang sofort auf, um sich auf den Weg in die Notaufnahme zu begeben.

,,Warte! Ich komme mit dir!“.

,,Bist du dir sicher? Vielleicht solltest du lieber noch etwas schlafen“, bemerkte er immer noch ein wenig besorgt.

,,Sehr sicher“, antwortete ich und stürmte aus dem Bereitschaftsraum, gefolgt von Namjoon.

Ich hatte sowieso nicht richtig schlafen können, da mich das Gesicht des kleinen Jungen sogar in meinen Träumen verfolgt hatte. Die einzige Möglichkeit mich irgendwie abzulenken, war die Arbeit.

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Nachdem sich die Notaufnahme nach mehreren Stunden endlich beruhigt hatte und keine weiteren Ärzte mehr benötigt wurden, machte ich mich auf den Weg in die Cafeteria und setzte mich mit meinem Tablett an den Tisch, an dem Taehyung saß.

,,Man. Das war echt stressig“, seufzte ich und lehnte mich zurück.

Ein "Mhm" war das einzige, was Taehyung von sich gab. Er rührte mit dem Löffel in seinem Schokopudding herum und starrte nur vor sich hin.

,,Alles okay? Du siehst nicht gut aus“, fragte ich nach.

,,Das Gesicht geht mir nicht mehr aus dem Kopf...“, murmelte er wie traumatisiert.

,,Ja...mir auch nicht“.

Taehyung schnappte tief nach Luft und schaute mir zum ersten Mal seit unserer Unterhaltung in die Augen. ,,Die Reaktion der Eltern des kleinen Jungen...ich konnte förmlich spüren...wie ihre Welt zusammengebrochen ist als Doktor Lee ihnen berichtet hat, dass ihr Sohn es nicht geschafft hat“.

,,Tae...“.

,,Ich möchte in der Pädiatrie arbeiten. Ich will mich darauf spezialisieren und Kindern ein glückliches Leben ermöglichen“, sagte er selbstbewusst und setzte sein überall bekanntes Grinsen auf. ,,Was hältst du davon?“.

,,Ich finds super. Du konntest schon immer gut mit Kindern umgehen“, stimmte ich seiner Idee zu und verfluchte mich selbst, weil ich die Sache nicht so angehen konnte wie er.

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Versichert ◃▹ Jeon Jungkook x ReaderWo Geschichten leben. Entdecke jetzt