28. Achtundzwanzig

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Grayson


„Reed, ich will nichtmehr", murrte ich angestrengt und trocknete mir mit meinem Handrücken meine Stirn, die durch das tägliche Training mit meinem Bruder mit Schweißperlen übersät war. Die pralle Mittagssonne, der wir ausgesetzt waren, unterstützte meine Situation auch nicht gerade.

„Gray, du weißt, dass Dad wieder sauer sein wird, wenn du den Griff schonwieder nicht kannst", konterte mein Bruder gelassen und reichte mir seine Hand. In seinem Blick war nicht mal irgendein Anschein von Anstrengung. Genauso locker zog er nun meinen Kleinkindkörper wieder auf die Füße. Doch kaum stand ich mit beiden Beinen wieder auf dem Boden, schnappte mich Reed mit seinen Händen, warf mich über seine Schultern und mein schlaffer Körper landete, zum tausendsten Mal im Gras. Der Aufprall schnürte für eine Millisekunde meine Sauerstoffzufuhr ab und ließ mich nach Luft schnappen.
Und ein weiterer blauer Fleck gehörte jetzt zu meiner stolzen Sammlung.

Genervt starrte ich nun den Himmel empor und beobachtete wie die Wolken über mein Sichtfeld hinweg schwebten. Mit meinen kleinen Händen fuhr ich durch den, schon wieder viel zu langen, Rasen und riss vereinzelt Grashalme aus.
Wir lebten zurzeit mitten im Nirgendwo.
In ein paar Wochen wahrscheinlich schon wieder mit einer anderen Identität in einem anderen Staat. Ich sollte eigentlich gerade irgendwelche Spiele mit meinen Freunden spielen, wie zum Beispiel Fangen, oder Verstecken, wie jedes andere 5-jährige Kind. Doch stattdessen verbrachte ich meine Freizeit damit, mit meinem Bruder irgendwelche unnötigen Nahkampfgriffe zu trainieren und hundertmal am Tag eine Pistole laden und wieder entladen.
Natürlich musste das in Lichtgeschwindigkeit passieren.
Und wozu?
Das würde ich anscheinend noch verstehen.
Ich war allen Anscheines nach noch zu jung um erfahren zu dürfen, wofür mir meine Eltern meine Kindheit nahmen.

„Na los, steh auf", warf mein großer Bruder wieder ein, beugte sich über mich und zerstörte mir mein wunderschönes Luftschloss, dass ich mir soeben baute. Sein blondes Haar hing ihm über seine Stirn und er stützte seine Hände lässig in seinen Knien. Er ließ alles so einfach wirken. Er war ja auch perfekt in allem. Wahrscheinlich würde er auch später erfolgreicher bei den Mädchen sein. Ich musste mich darauf einstellen auf ewig in seinem Schatten zu stehen, wie das schwarze Schaf der Familie. Im Gegensatz zu mir war er auch groß und stark. Der eindeutige Liebling meiner Eltern. Ohne Zweifel würde er das auch auf ewig bleiben, immerhin wurde er ihren Anforderungen immer gerecht. Unsere Eltern meinten zwar immer, dass sie uns beide gleich lieben würden, jedoch trug ich die enttäuschten Blicke meines Vaters, auf meinen Schultern wie tonnenschwere Steine. Seiner Ansicht war ich viel zu schwach und schlacksig. Ich hörte ihn und meine Mutter oft genug diskutieren, dass ich nur Schande über unseren Familiennamen bringen würde, wenn es so weiterging.

Seine ganzen guten Gene wurden eben schon an Reed weitergegeben, ihren wunderbaren Erstgeborenen. Und für mich war nun nichts mehr übrig gewesen.

Vielleicht machte ich es mir gerade deswegen zur Lebensaufgabe meinen Vater stolz zu machen. Ich musste wohl damit klarkommen, dass meine Kindheit nie normal sein würde und meine Zukunft bereits geschrieben war. Bis dahin bewunderte und beneidete ich wohl weiter meinen großen Bruder.
Vielleicht brauchte ich diesen Konkurrenzkampf aber auch, um zu dem Mann zu werden, der ich jetzt war.

„Wo ist eigentlich Mum?", fragte ich mit enttäuschten Unterton und formte einen leichten Schmollmund, „sie wollte an meinem Geburtstag wieder zuhause sein"

„Gray, du weißt, dass sie manchmal bei Aufträgen länger braucht. Deinen Geburtstag können wir nachfeiern."

Er hatte Recht. Geburtstage waren in unserer Familie nie besonders wichtig gewesen. Irgendwann musste ich mich auch damit abfinden. Immerhin ist man sowieso nur ein Jahr älter geworden, und das war ja wohl keine Sensation. Trotzdem schmerzte es, nicht einmal eine Kurze Nachricht von seiner eigenen Mutter zu bekommen. Es war uns verboten, während Aufträgen mit unseren Eltern in Kontakt zu treten. Wir lebten nicht ohne Grund auf einem verlassenen Bauernhof, den wir in den nächsten Wochen sowieso zurücklassen mussten, da wir uns schon viel zu lange in der selben Umgebung befanden.

Wir zogen von Ort zu Ort, weswegen sich mein Besitz auf so wenig beschränkte, dass ich es problemlos in meinen Jackentaschen verstauen konnte.

Mit einem verbissenen Nicken richtete ich mich wieder auf und klopfte mir die Erde von der Hose. Ich strich mir die blonden Locken aus dem Gesicht und versuchte zum ersten Mal Reed anzugreifen. Immerhin war ich einen Schritt weiter als die letzten Versuche. Doch bei dem Versuch meinen Bruder über meine Schultern zu werfen rührte sich sein Körper kein Stück. Ich bekam nur eins seiner spöttischen Lachen zu hören.

Das Lachen, welches mich jetzt auch aus meinem Schlaf riss.

Reed saß an meinem Bettende, um Jahre älter, jedoch immer noch das selbe charmante Grinsen, wie in seinen jüngeren Jahren. Es war mir immer noch ein Rätsel wie er es schaffte immer wieder ins Schloss, ohne großes Aufsehen, einzudringen und wieder zu verschwinden. Aber er war eben schon immer besser in allem.

„Happy Birthday, Schlafmütze", grinste Reed verschwörerisch und zog mir die Bettdecke vom Leib.

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written by artisticwinchestxr

Ein kleiner Einblick in Graysons Vergangenheit ^^ <3

Was haltet ihr von Reed?

Wie stellt ihr euch Graysons Vergangenheit sonst so vor?

Meinungen zum Kapitel?

Kritik und andere Anmerkungen sind immer erwünscht!

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