4. Kapitel

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Amber

Schnell stellte ich mein Wasser ab und ging mit eiligen Schritten aus dem Vorratskeller in Richtung Kellertür, um herauszufinden, was diesen Krach verursacht hatte. Im Geräteraum war es so dunkel, dass man kaum etwas sehen oder gar erkennen konnte. Deshalb öffnete ich die Tür zu dem Vorratsraum, aus dem ich gekommen war und aus dem Licht strömte, besonders, sodass man die groben Umrisse einer Gestalt am anderen Ende des Raums erkennen konnte. 

Schließlich ließ mich die Jungenstimme erneut hochschrecken. „Verdammt", fluchte sie. Was in aller Welt passierte hier gerade? Ich spürte, wie mein Herz anfing, schneller zu schlagen und mein Atem sich beschleunigte. Panisch suchte ich weiter den Lichtschalter, doch er war zu weit von meinen Händen entfernt, ich konnte ihn einfach nicht finden. Im schwachen Licht, das aus dem Vorratsraum strömte, konnte ich aber grob sehen, wer da war: Vor mir stand ein schlanker Junge, den ich ungefähr auf mein Alter schätzen würde. Er trug eine große Kiste in der Hand, die voll mit Trikots gefüllt war und einen Teil seiner Sicht versperrten. Seine Haare waren blond, und mehr konnte ich nicht erkennen, da er so weit weg stand und das Licht nicht ideal war. „Was war das denn?" fragte ich in einem etwas vorwerfenden Tonfall, der so eigentlich gar nicht gewollt war. Aber anstatt zu antworten, starrte er mich weiter an, als hätte er noch nie ein trainierendes Mädchen gesehen. Was war das denn für ein komischer Vogel? Genervt stemmte ich meine Hände in die Hüften und versuchte es erneut: „Kannst du auch reden, Trikotjunge?" Anscheinend bin ich endlich zu ihm vorgedrungen, denn ich bemerkte, wie er den Blick von mir abwand und peinlich berührt in die Gegend starrte. Wenn ich es auf die Entfernung richtig erkennen konnte, wurde er sogar ein bisschen rot auf den Wangen. „Entschuldigung für meine Unhöflichkeit. Das Geräusch kam von der Tür, weil sie ins Schloss gefallen ist", sagte er schließlich mit einer etwas unsicheren Stimme.
Nicht. Sein. Ernst. Ich merkte, dass ich immer angespannter wurde. Die ganze Woche war für mich echt beschissen gewesen, ich wollte eigentlich nach dem Training einfach nach Hause gehen und das ganze Wochenende im Bett liegen bleiben. Und jetzt sowas, darauf konnte ich echt verzichten. „Die Tür ist zur Sicherung der Geräte und Vorräte hier unten nur mit einem Schlüssel zu öffnen, wenn sie erst mal zu ist, und mein Schlüssel -" 

Endlich bekam ich einen kleinen Knopf zu fassen, den ich drückte, und tatsächlich ging daraufhin das Licht an. Plötzlich wurde mir klar, wer der Junge war. Seine kühlen, grauen Augen, dazu die langen Wimpern und Sommersprossen, die sein ganzes Gesicht verzierten wie Farbflecken ein weißes Blatt Papier. Entfernt nahm ich war, wie er „Was?", fragte, doch ich war wie in einer Trance und konnte einfach nicht antworten. Sein breites Kreuz, seine dünnen Arme, die er scheinbar nie trainierte und durch die er wie ein Strichmännchen aussah: Es war eindeutig er. Ich wusste nicht, was überwog: Der Schreck, ihm noch einmal so kurz wiederzusehen, nach dem, was er meiner Mutter und damit auch mir angetan hat, oder die Wut, die ich noch immer auf ihn hatte und auch immer haben werde. Oder auch ein bisschen Schuld- wegen dem, was ich ihm angetan hatte.

„Was denn?", hakte er nach und ich wurde wieder in die Gegenwart zurück gerissen. „Grayson Alexander Willims", sagte ich in einem kalten Ton, „Ich nehme an, das sind Willims Trikots?" „Äh - ja", antwortete er und man merkte, dass er keine Ahnung hatte, wer ich war und woher ich ihn kannte. Verwirrt fragte er: „Soll ich sie irgendwo abstellen...?" Natürlich sollte er das. Ich signalisierte ihm stumm, dass er sie in das große Regal stellen sollte, das sich im Geräteraum befand. Er ging dort hin. Man merkte noch mehr, dass er nie trainierte, denn er hatte sichtlich Probleme damit, die Kiste ins Regal zu wuchten. Bei seinem ersten Versuch dabei endete er kläglich damit, dass die Hälfte der Trikots in seinem Gesicht landete, sodass er die ganze Box nochmal ganz heraus nehmen musste. Beim zweiten Versuch schaffte er es zwar mit Mühe, aber man sah ihm die Anstrengung an. Dennoch war er sichtlich zu stur und eingebildet, um mich um Hilfe zu bitten. Als er sich wieder zu mir wandte, fragte er mich: „Kennen wir uns eigentlich?" Natürlich kannten wir uns, wir waren auf derselben Highschool, sogar im selben Jahrgang, und hatten durch einige, nennen wir es familiäre Angelegenheiten, viel miteinander zu tun gehabt - lange Geschichte. Er sollte es eigentlich wissen, doch scheinbar hatte er keinen Plan. Aber ich wollte es ihm auch nicht zu einfach machen, er sollte selber darauf kommen, wer ich war. „Jeder kennt dich, Bonzensöhnchen", entgegnete ich stattdessen frech.

STUCKWhere stories live. Discover now