13. Kapitel

95 13 5
                                    

Amber

„Bist du schwul?", fragte ich. Das hatte auf jeden Fall gesessen. Graysons Gesichtszüge änderten sich schlagartig von einem fröhlichen Grinsen zu einer finsteren Miene. Beschämt versuchte er, meinem Blick zu entweichen.

Ich muss zugeben, die Frage war echt fies gewesen, aber ich war trotzdem froh, dass ich gefragt hatte. Wir hatten ausgemacht, nicht über den GAYSON-Skandal zu reden, aber von seiner sexuellen Ausrichtung haben wir nicht gesprochen. Dann war ich ja mal gespannt...

„Ähm, also...", setzte er an, „ist das nicht ohnehin klar?" Ich antwortete ihm: „Naja, ich meine, da gibt es dieses eine Bild von dir und diesem Jungen, aber zeigt dieses Bild wirklich die Wahrheit? Fotos können ja auch eine komplett verzerrte Wahrheit oder sogar eine Lüge vermitteln, man sieht nur das, was man sehen will. Und, klar, auf einer Highschool erst recht, da stürzt sich doch jeder nur so auf den neuesten Gossip oder irgendwelche Gerüchte." „Du redest über den GAYSON-Skandal...", sagte Grayson, „das war so nicht abgemacht." „Okay, tut mir Leid, aber ich will doch nur wissen, ob es wahr ist. Ob du wirklich auf Jungen stehst, mein ich", sprach ich auf ihn ein.

„Ich stehe, ich meine stand, auf diesen einen Jungen. Pedro. Zufrieden?", entgegnete er. „Möchtest du darüber reden?", setzte ich erneut an und hoffte, dabei nicht zu weit gegangen zu sein. Er zögerte. Öffnete seinen Mund. Schloss ihn wieder. Geduldig wartete ich. Schon wieder öffnete sich sein Mund, aber diesmal fand er die richtigen Worte, um das loszuwerden, was er sagen wollte: „Ich kann das nicht. Ich meine, auf einmal soll ich einem wildfremden Mädchen, das ich gerade mal vor ein paar Stunden kennengelernt habe, von meinen intimsten Erfahrungen und Gefühlen erzählen. Darüber habe ich doch nicht mal mit Mia geredet. Das ist doch verrückt!"

Ich konnte ihn verstehen, aber trotzdem hatte ich das Gefühl, dass ich weiter nachhaken sollte und ihm so ganz langsam auf den Zahn fühlen konnte. „Manchmal sind die verrücktesten Dinge im Leben die, die man später am wenigsten bereut", ermutigte ich ihn. Dabei wunderte ich mich über mich selber, weil ich mit so einem poetischen Spruch fast so klang wie eines dieser 12-jährigen Mädchen meiner Highschool, die solche Sprüche täglich in ihrer Instagram-Story oder in ihrer Whatsapp-Info posten. Ew.

Trotzdem, im Moment passte dieser Spruch einfach. Und dann kam von Grayson eine Antwort, die ich im Leben nicht erwartet hatte: „Okay. Könntest du mir einen Gefallen tun und dich einfach auf die andere Seite drehen? Dann muss ich dir nicht in die Augen schauen, und ich glaube, es würde mir ein bisschen einfacher fallen, darüber zu reden", bat er mich. Als Antwort wechselte ich die Seite, auf der ich lag und blickte auf den Boden. Gespannt lauschte ich, was Grayson mir zu erzählen hatte. Zuerst ging er noch kurz zum Lichtschalter und ließ mich wissen, dass es ihm langsam zu hell war und er es lieber dunkel hatte, bevor er zurück zu mir kam und sich wieder hinlegte.

Dann fing er an zu erzählen: „Es war an einem heißen Sommertag im Juni. Ein ehemaliger Freund von mir, Jonah, hatte Geburtstag, und gefühlt ganz Amerika war auf seine Party eingeladen. Die Party war riesig. Jonah hat bei sich zuhause in einer riesigen Villa gefeiert, es gab Alkohol, einen Pool, laute Musik und eben alles, was zu einer richtigen Party dazugehört. Naja, und irgendwann musste ich halt auf die Toilette und habe mich dafür einmal quer über die Tanzfläche gearbeitet. Und dabei bin ich mit Pedro zusammengestoßen." Sofort erhellte sich seine Stimme. „Es war wie im Traum. Ich merkte, wie ich gegen jemanden gerumpelt war, und drehte mich schlagartig um. Und dann sah mich Pedro an, mit seinem dunkleren Teint, den braunen Haaren und den fast schon schwarzen Augen. In dem Moment realisierte ich, dass ich für diesen Jungen mehr verspürte, als ich es je für ein Mädchen getan hatte.

Natürlich war mir total peinlich, dass ich gegen ihn gerumpelt war, und entschuldigte mich vielmals dafür, aber zum Glück nahm es Pedro total gelassen. Irgendwie schaffte ich es auch, ihn zu fragen, ob er mit mir einen Cocktail trinken wollte, und zu meinem Glück willigte er ein. Und ab da verbrachten wir den ganzen Abend zusammen und hatten wahnsinnig viel Spaß. Also, auf der Party, meine ich. Und irgendwann, als sich der Abend zu Ende neigte, überredete ich ihn dazu, mit mir ins Gebüsch zu kriechen. Ich dachte, wir wären dort alleine, unbemerkt, unsichtbar. Wie falsch ich doch lag...

Wir haben, wie wir da im Gebüsch saßen, noch eine halbe Ewigkeit miteinander geredet. Und ganz plötzlich überkam mich dieser unwiderstehliche Drang, Pedro zu küssen. Und ich tat es einfach. Pedro erwiderte den Kuss. Noch nie in meinem Leben war ich so glücklich gewesen, es fühlte sich so unglaublich gut an, seine Lippen auf meinen zu spüren. Endlich vernahm ich mal das Gefühl der Vollkommenheit. Ich war richtig am Platz. Wir hätten ewig so dasitzen können.

Tja, und dann fing der ganze Skandal am nächsten Tag an, mit den Bildern von Pedro und mir in der Schülerzeitung, den gehässigen Kommentaren am Spind, ab davon weißt du ja Bescheid. Daraufhin hab ich den Kontakt mit Pedro abgebrochen, das hätte ich nicht tun dürfen. Aber trotz all dem, was ich mir alles wegen des Skandals anhören musste, habe ich den Kuss keine einzige Sekunde lang bereut", beendete Grayson seine Erzählung.

Aber ich, ich bereute eine Sache zutiefst.

----------------------------------------
Dieses Kapitel wird lotta_soph gewidmet, die unser erster Fan war, den wir nicht persönlich kannten, und uns von Anfang an unterstützt hat 😘


STUCKWo Geschichten leben. Entdecke jetzt