23. Kapitel

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Grayson

Amber war so tief in Gedanken versunken, dass sie nicht bemerkte, wie ich sie ansah. In letzter Zeit war sie ständig so abwesend, und ich konnte es nicht ausstehen. Wenn sie so in ihrer eigenen Welt war, fühlte ich mich irgendwie ausgeschlossen. Es war vermutlich ziemlich kindisch, so zu denken, aber ich konnte es nicht ändern.

Ich schnipste mit einer Hand vor ihrem Gesicht. „Am?“ Zugegeben, ich genoss es irgendwie, ihren Spitznamen zu sagen. Es hatte etwas Vertrautes, als würden wir uns schon ewig kennen. Als würden wir auch noch befreundet sein, wenn wir den Keller verließen.

Amber wurde blinzelnd aus ihren Gedanken gerissen und ihr goldener Blick richtete sich auf mich wie ein Scheinwerfer.

„Mmh? Sorry.“

„Woran hast du gerade gedacht?“

„Nichts Wichtiges“, log Amber. Sie hatte nicht so ein Pokerface, wie sie dachte – sie blinzelte immer, bevor sie log.

„Lügnerin“, sagte ich entschieden und verschränkte die Arme vor der Brust. Ich war immer noch leicht verschwitzt. Ekelhaft. Ich wünschte, hier gäbe es Duschen.

Sie hob gelassen die Augenbrauen. „Ach ja? Und, noch wichtiger: Warum kannst du mich Lügnerin nennen und ich dich nicht Schwachkopf?“

„Weil ich Recht habe und du nicht“, sagte ich und grinste, als ich ihren mürrischen Gesichtsausdruck sah. Sie wusste, dass ich Recht hatte. „Wirst du jetzt sagen, worüber du so gegrübelt hast, oder willst du weiterstreiten?“

„Weder noch. Du hast deine Frage von vorhin nicht beantwortet. Was vermisst du am meisten an deinem Zuhause?“

„Menschen, die auf meine Fragen antworten und nicht vom Thema ablenken“, sagte ich und wich Ambers Schlag gerade rechtzeitig noch aus.

"Du bist so eine Schlägerin, weißt du das? Ich wette, ich habe jetzt schon überall blaue Flecken.“

Amber funkelte mich gespielt wütend an, aber ihre Augen blitzten. „An deiner Stelle würde ich jetzt eine vernünftige Antwort geben – ich kann ja nie wissen, wann mir meine Faust ausrutscht.“

Ich verkniff mir ein Lachen. „Wenn du dafür auf meine Frage auch vernünftig antwortest.“

„Nein“, sagte Amber etwas zu schnell. „Ich hab doch gesagt – es war nichts Wichtiges. Kannst du das Thema nicht mal lassen?“

Eigentlich hatte ich es gar nicht so dringend wissen wollen, aber ihre Reaktion machte mich misstrauisch. Irgendwie hatte ich das Gefühl, das dahinter mehr steckte, als sie zugab.

„Komm schon, Willy. Beantworte einfach die Frage.“

Aber in ihren Augen lag eine andere Frage – Bitte hör auf, nachzufragen. Hör auf, es wissen zu wollen. Und es war diese unausgesprochene, unerwartet inständige Bitte, die mich dazu brachte, nicht weiter nachzuhaken.

Sie schaffte es jedes Mal, dass ich tat, was sie wollte. Ich seufzte, aber natürlich machte ich trotzdem nichts. Vermutlich machte ich es ihr viel zu leicht.

„Okay, aber dann lass mich erst nachdenken“, sagte ich und sah, wie ihre Schultern sich fast unmerklich entspannten. So viele Geheimnisse, dachte ich. Und trotz allem würde sie sie mir nicht alle erzählen.

Ich hatte ehrlich gesagt nicht viel vermisst, seit wir hier feststeckten. Die Schule ganz sicher nicht, meine Eltern irgendwie auch nicht wirklich, und auch nicht, alleine in meinem Zimmer zu sitzen und zu lernen oder lesen. Auch wenn mein Zimmer groß, sauber und ordentlich war, gefiel mir dieser hässliche Kellerraum fast besser. Aber das lag wahrscheinlich an Amber.

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⏰ Last updated: Mar 29, 2020 ⏰

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