Das Erdloch

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Den restlichen Tag lang musste ich mir Geschichten über die Elfenwelt anhören. So auch die ,,Legende des verschollenen Prinzen", die Oma mir abends erzählte, als wir in Sesseln vor dem Kamin saßen. ,,Es gab vor gar nicht allzu langer Zeit ein Königspaar", begann sie, ,,Dieses Königspaar machte sein Glück mit einem Sohn vollkommen. Der König freute sich sehr über den Jungen, da er nun einen Nachfolger hatte, falls er sterben sollte. Doch ein böser Mann gönnte dem Königspaar den Erfolg nicht. Egan der Energische wollte die Macht für sich. Da traf es sich, dass er zur selben Zeit einen Sohn hatte, der dem der Königsfamilie glich. Eines Tages, um Mitternacht, brach er in den Palast ein und legte seinen eigenen Sohn in die Wiege. Das Königskind hingegen nahm er mit. Keiner weiß, was mit dem wahren Kronprinzen geschehen ist. Doch das ist eine Legende. Es ist nicht sicher, ob diese stimmt. Das Königspaar regiert immer noch und der Sohn sieht dem Vater eigentlich ziemlich ähnlich. Aber man weiß ja nie...", schloss sie.

Ich dachte eine Weile über diese absurde Geschichte nach. ,,Oma", sagte ich, ,,Das hört sich alles so an, als... wärst du selbst dort gewesen." ,,Nun ja, Schätzchen, hör auf dein Herz. Ich kann dort gewesen sein, aber wie du weißt, kann ich auch einfach gut erzählen. Gute Nacht." Sie zwinkerte mir zu, bevor sie den Raum verließ. Meiner Meinung nach entsprach eindeutig die zweite Möglichkeit der Wahrheit. Oma konnte schon immer gut erzählen. Und es war total unwahrscheinlich, dass es diese Elfen tatsächlich gab. Mit diesem Gedanken im Kopf ging auch ich schließlich ins Bett.

An diesem Morgen wurde ich von der Sonne geweckt, die meine Nase kitzelte. Ich musste direkt niesen. Ich dachte, ich hätte das gesamte Haus geweckt, aber zu meinem Erstaunen blieb es still. Leise stieg ich aus meinem Bett und zog mich an. Nachdem ich Frühstück gegessen hatte, schnappte ich mir meinen Rucksack und packte alles mögliche ein: Essen, Trinken, meine Sonnenbrille, mein Handy mitsamt Kopfhörer und zu meinem eigenen Erstaunen auch das Elfenbuch. Ich schloss auch gleich meine Kopfhörer ans Handy und war auch schon im Begriff das Haus zu verlassen, als sich jemand hinter mir räusperte. Ich drehte mich um und sah Oma. ,,Wo geht's denn hin?", fragte sie. ,,Spazieren. Bin zum Mittagessen wieder da.", versicherte ich ihr und verließ das Haus. Ich hörte nur noch, wie Oma irgendetwas rief, ich solle auf mich aufpassen, wegen der Portale oder so. Schmunzelnd drehte ich die Musik auf und stöpselte mir die Kopfhörer ins Ohr.

Ich ging eine große Runde durch den Wald und summte zur Musik mit. Ich sah Vögel über mir fliegen und hin und wieder Rehe davonspringen. Es war so herrlich friedlich hier. Keine Oma, die mir irgendetwas über Waldelfen und sonstigen Quatsch erzählen wollte. Hin und wieder trank ich etwas oder las im Elfenbuch. Je mehr ich las, umso mehr fühlte ich mich von Verrückten umgeben. Gab es denn außer Mama, Papa und mir keine vernünftigen Menschen in Irland? Offenbar nicht. Als mir diese Tatsache bewusst wurde, vermisste ich meine Freundinnen in Berlin. Die hätten mich verstanden. Mit den Gedanken an meine Clique setzte ich mich und holte mein Sandwich hervor. Es gefiel mir, draußen in der Natur zu sein, umgeben von all den Tieren und Pflanzen. Wie spät war es eigentlich? Ein Blick auf mein Handy ließ mich zusammenfahren. 13.45 Uhr! Ich sprang auf und lief los. Was würde Oma zu meiner Verspätung sagen? Wahrscheinlich irgendetwas, was mit Elfen zu tun hatte. Elfen. Mir entfuhr ein spitzer Schrei. Der Boden wurde mir unter den Füßen weggerissen. Ich spürte einen harten Schlag auf den Kopf, der solche Schmerzen auslöste, wie ich sie noch nie in meinem Leben gespürt hatte. Ich schrie und weinte. Dann wurde alles schwarz und ich konnte mich nicht mehr wehren.

The hidden worldWhere stories live. Discover now